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Erst jetzt, als sie ihm ganz nahe waren, sah Skar, wie gewaltig der Goldene Tempel der Quorrl wirklich war: die Insel war gut dreihundert Fuß breit und vielleicht fünfmal so lang, aber der Tempelkomplex bedeckte sie zur Gänze, ausgenommen des schmalen sandigen Streifens, auf dem sie standen. Das knappe Dutzend goldgedeckter Kuppeln und Dächer mußte sich eine halbe Meile über ihnen befinden, und wohin er auch blickte, sah er Gold und andere edle Metalle. Und nichts war so, wie er es sich vorgestellt hatte - der Tempel war von geometrischer Strenge, alle Linien klar und gerade und bar jedes barbarischen Zierrates und Schmuckwerks, wie er es unwillkürlich bei einem von Quorrl erschaffenen Heiligtumes angenommen hatte. Es gab nur ein einziges - allerdings gigantisches Tor, das die fugenlosen Mauern durchbrach. Zu Skars Erstaunen war es nicht einmal geschlossen. Die beiden dreißig Meter hohen Flügel aus goldbedecktem Holz standen weit offen und gaben den Blick auf einen weitläufigen, von einer verwirrenden Symmetrie kleiner ineinandergeschachtelter Gebäude umschlossenen Innenhof frei. Schatten bewegten sich darauf, und manchmal blitzte etwas im Widerschein des unheimlichen roten Lichtes und verriet, daß der Hof nicht ganz so leer war, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte.

Als sie sich langsam dem Tor näherten, schlugen Flammen aus dem Boden.

Eine zehn Meter hohe Feuerwand brach aus dem Sand, grelles Licht und sengende Hitze ergoß sich wie der Atem eines zornigen Drachen über Skar und die vordersten Krieger. Einige der Quorrl schrien auf und ergriffen die Flucht, und auch Titch prallte entsetzt zurück und riß beide Arme in die Höhe, um sein Gesicht zu schützen.

Skar ging fast gelassen weiter. Er spürte die Hitze wie die Quorrl, und das Licht stach wie mit Dolchen in seine Augen. Er konnte nicht mehr atmen; als er es versuchte, schienen sich seine Lungen mit Flammen zu füllen. Und trotzdem wußte er, daß nichts davon real war. Es gab dieses Feuer sowenig, wie es die Drachen gegeben hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen, um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken, ging er weiter und trat mit einem entschlossenen Schritt in die Wand aus brodelnden Flammen hinein.

Das Feuer erlosch, und mit ihm Hitze und Licht. Im ersten Moment stöhnte Skar abermals, denn nach der eingebildeten Höllenglut war die Kälte der Nacht fast ebenso schmerzhaft, aber nach einer Sekunde verging auch dieser neue Schmerz. Er drehte sich herum und winkte den Quorrl. »Es war nur eine Illusion!« rief er. »Ihr habt nichts zu befürchten. Sie können euch nichts mehr tun!« Er ging weiter, ohne auf Titch und die Quorrl zu warten.

Und blieb abermals stehen, als er das Tor durchschritt und der Innenhof vor ihm lag. Jetzt, nicht mehr geblendet vom düsterroten Schein des unheimlichen Lichtes, sondern selbst darin eingeschlossen, konnte er fast so gut sehen wie bei Tage.

Und was er erblickte, das ließ ihn vor Zorn und Entsetzen aufstöhnen. Entsetzen, als er begriff, wie heimtückisch die Falle gewesen war, die Ennart und seine Brüder für sie aufgestellt hatten, und Zorn, als ihm ihre Sinnlosigkeit zu Bewußtsein kam. Der Hof war voller Ultha. Wie schwarze Trümmer bedeckten sie die goldenen Fliesen, mit verrenkten Gliedern und zerbrochenen Panzern über- und nebeneinandergestürzt, so, wie sie der Tod getroffen hatte; Hunderte, wenn nicht Tausende der schlanken Insektenkreaturen, die auf Titch und ihn gewartet hatten. Und ihr Anblick verfehlte nicht einmal jetzt seine Wirkung. Skar hörte, wie die ersten Quorrl hinter ihm auftauchten und entsetzt zurückprallten; und für Augenblicke brach endgültig Panik unter den Kriegern aus. Keiner der Dämonen war noch am Leben, aber ihr bloßer Anblick erschütterte die Quorrl bis ins Innerste »Gütiger Gott!« flüsterte Titch neben ihm. »Was ist das?«

»Das Empfangskomitee«, antwortete Skar, ohne sich zu ihm herumzudrehen. Seine Stimme wurde bitter. »Eine kleine Überraschung, die sich Ennart zu unserer Begrüßung ausgedacht hat.«

»Was ... was hat sie umgebracht?« stammelte Titch. Selbst er kämpfte mit aller Macht um seine Selbstbeherrschung. Skar mußte ihn nicht einmal ansehen, um zu erkennen, daß auch Titch am liebsten seine Waffen fortgeworfen hätte und geflohen wäre. »Nichts«, antwortete er. »Sie haben niemals gelebt, Titch.«

»Aber die Ssirhaa«, murmelte Titch. »Sie ... sie haben -«

»Es gehorcht ihnen nicht mehr«, unterbrach ihn Skar. »Verstehst du denn immer noch nicht? Sie haben die Kreatur erweckt, aber sie haben keine Macht mehr über sie!«

»Aber warum hier?« flüsterte Titch, der seine Worte gar nicht gehört zu haben schien. »Das... das müssen Tausende sein! Warum hier?« Er schrie fast, und Skar begriff, daß er die Antwort auf seine eigene Frage so gut wußte wie er. »Sie hätten uns vernichten können! Sie hätten uns mit einer Handbewegung auslöschen können, die ganze Zeit über!«

Es war Kiina, die antwortete, nicht Skar. »Weil das nicht in ihre Pläne gepaßt hätte, Titch. Was hätte es genutzt, die Bastarde zu schlagen? Ein paar hätten überlebt, so oder so.« Sie lachte bitter. »Kannst du es dir wirklich nicht denken, Quorrl? Kannst du dir nicht vorstellen, was dein Volk empfunden hätte, wäre dein Heer in den Tempel einmarschiert und nicht wieder herausgekommen?«

Titch starrte sie an, und auch Skar spürte einen erneuten, eisigen Schauer von Zorn, als ihm die ganze Brutalität des Denkens klar wurde, das hinter diesem Plan stand.

»Dafür werden sie bezahlen«, murmelte Titch. »Ich werde diesen verdammten Tempel niederreißen, mit eigenen Händen. Sie werden -«

Ein Scannerblitz zuckte über den Hof, verfehlte ihn um weniger als eine Handbreit und tötete einen seiner Krieger.

Skar schrie auf, warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf Kiina und riß sie zu Boden, und hinter ihm barst die Front der Quorrl auseinander wie unter einer lautlosen Explosion.

Eine Sekunde später brach auf dem Hof die Hölle los.

Dutzende von grellen, stabdünnen Bändern aus Licht stachen nach den Quorrl, und plötzlich waren überall Gestalten; grotesk plumpe, hastende Schatten mit übergroßen Köpfen und in schwarzen Rüstungen, die jäh zwischen den gestürzten Ultha hervorwuchsen oder aus Türen und Fensteröffnungen herausstürmten.

Ein weiterer Scannerblitz schlug nach Skar. Er warf sich herum, rollte fünf-, sechsmal über den Boden und riß Kiina dabei einfach mit sich und kam endlich wieder auf die Beine. Kiina riß fluchend ihren Scanner aus dem Gürtel und schoß auf eine der schwarzgekleideten Gestalten, ohne sie zu treffen.

Skar opferte eine kostbare Sekunde dafür, sich umzusehen. Der Hof hatte sich in ein Tollhaus verwandelt. Schon der erste Angriff der Zauberpriester hatte fast einem Viertel ihrer Krieger das Leben gekostet, und Ians Brüder schossen erbarmungslos und mit tödlicher Präzision auf die, die bisher überlebt hatten. Dutzende von Quorrl lagen bereits tot oder mit furchtbaren Brandverletzungen am Boden, und noch während sich Skar herumdrehte, fielen drei, vier weitere Schuppenkrieger unter den grellen Lichtblitzen der Zauberpriester.

Skar rannte los, stürmte im Zickzack auf eine der monströsen Gestalten zu und tötete sie mit einem Schwertstreich, ehe sie seine Annäherung auch nur bemerkte. Ein Scannerblitz züngelte nach ihm. Er ließ sich fallen, riß noch im Sturz einen Shuriken aus dem Gürtel und schleuderte die Waffe. Der winzige Metallstern bohrte sich in die Rüstung des Zauberpriesters, der auf ihn geschossen hatte. Der Wurf war nicht kräftig genug, den wuchtigen Panzer völlig zu durchdringen, aber die rasiermesserscharfen Klingen des Shuriken schienen irgend etwas im Inneren der Rüstung zerstört zu haben. Der Mann taumelte plötzlich, ließ seine Waffe fallen und griff sich an den Hals. Etwas zischte. Blaues Feuer brach aus den Sehschlitzen seines Helmes, hüllte den Zauberpriester in ein zischendes Netz dünner, weißblauer, wabernder Funken und tötete ihn, und fast in der gleichen Sekunde traf ein Blitz aus Kiinas Scanner einen weiteren Zauberpriester und ließ seine Rüstung explodieren.