Diesmal war die Wirkung ungleich schrecklicher als vorhin über dem Fluß. Ein rotoranger Feuerball breitete sich auf dem Hof aus, verschlang auf zwanzig, dreißig Meter alles, was sich ihm in den Weg stellte und fegte Menschen und Quorrl von den Füßen, und die kochende Hitzewelle, die Skars Rücken versengte, war dieses Mal nicht eingebildet, sondern grausame Wirklichkeit. Sekundenlang blieb er schweratmend und keuchend vor Schmerz liegen, ehe er mühsam den Kopf hob und halbblind nach seinem Schwert tastete.
Kiinas Schuß hatte den Kampf entschieden. Vielleicht hatte die Explosion den Quorrl einfach die Sekunden verschafft, die sie brauchten, vielleicht war es auch nur eine Laune des Zufalls, daß sich die meisten Zauberpriester in der Nähe des Mannes aufgehalten hatten, auf den Kiina zielte, und von der Druckwelle getötet oder ebenfalls von den Füßen gefegt worden waren, vielleicht war es auch einfach der Schock, einen der ihren von ihren eigenen Waffen getötet zu sehen - aber das mörderische Feuer hatte aufgehört. Und die Quorrl, die noch am Leben waren (nicht einmal die Hälfte ihrer ursprünglichen Zahl, dachte Skar schmerzhaft), griffen nun ihrerseits erbarmungslos an. Die Zauberpriester brauchten vielleicht nur Sekunden, um sich neu zu formieren, aber diese winzige Zeitspanne reichte: aus der massiven Wand aus Licht und Feuer, die den Schuppenkriegern entgegengeschlagen war, wurde ein chaotisches Durcheinander fast ungezielt abgegebener Schüsse, die nur noch selten ihr Ziel trafen. Und wo es den Quorrl gelang, die Zauberpriester zum Zweikampf zu stellen, stand der Sieger von vornherein fest. Es vergingen nur noch Sekunden, bis Ians Brüder die Sinnlosigkeit ihres Widerstandes einsahen und die Flucht antraten.
»Skar! Dort drüben!«
Skar wandte den Kopf, sah Titch wild mit den Armen zum gegenüberliegenden Ende des Hofes deuten und blickte in die gleiche Richtung.
In dem Durcheinander von Häusern, Türmchen und Erkern hatte sich ein Tor geöffnet, aus dem waberndes rotes Licht herausfiel, stechender und irgendwie... böser als der Schein, der den Hof erfüllte. Die überlebenden Zauberpriester versuchten dieses Tor zu erreichen, aber gleichzeitig kam auch etwas daraus hervor, etwas Riesiges, Formloses, wie kriechende Schatten, die versuchten, Form und Gestalt anzunehmen.
Der Ansturm der Quorrl geriet abermals ins Stocken. Die Zauberpriester hatten vollends aufgehört zu schießen - nur noch sehr wenige waren am Leben -, aber nun war es das Tor und das, was aus ihm herauskam, das die Krieger innehalten ließ. Es waren Drachen. Die gleichen häßlichen Bestien wie draußen auf der Brücke, aber diesmal nur drei - und diesmal waren sie echt.
Skar wußte es. Es gab keinen Unterschied zwischen ihnen und den Trugbildern, die ihnen der schwebende Zauberpriester vorgegaukelt hatte, aber er wußte einfach, daß er den Ungeheuern jetzt wirklich gegenüberstand; drei titanischen schuppengepanzerten Kolossen, deren Augen voller tückischer, böser Intelligenz auf ihn und die Quorrl herabstarrten und in deren Nacken drei gewaltige, goldschimmernde Gestalten saßen.
»Das ... das ist Ennart!« flüsterte Kiina fassungslos. Sie war neben ihn getreten, und Skar sah erst jetzt, daß sie verletzt war: quer über ihren Hals und die linke Wange zog sich eine dünne, aber tiefe und heftig blutende Wunde, und eine Strähne ihres blonden Haares war verkohlt, ihr Gewand voller Blut. Aber ihre rechte Hand hielt noch immer den Scanner. Skar hielt ihren Arm fest, als sie die Waffe heben und auf die vorderste Drachenbestie zielen wollte.
Über den drei Ungeheuern begannen sich Schatten zu bilden. Wie Rauch, der aus dem Nichts kam, begannen wolkige dunkle Schemen über den Köpfen der drei Bestien und ihrer Reiter zu wogen, zogen sich zusammen, trieben wieder auseinander, ballten sich erneut zu vergänglichen Formen ...
Das Blitzen von Gold, der Farbe der Ssirhaa... Ein riesiges, ins Ungeheuerliche vergrößertes Gesicht, halb Mensch, halb Quorrl, und gleichzeitig auch etwas anderes, etwas gleichermaßen Fremdes und Böses wie auch Edles und unbeschreiblich Schönes...
Skar sah aus den Augenwinkeln, wie einer der Quorrl aufschrie und auf die Knie fiel. Andere schleuderten ihre Waffen fort und flohen oder erstarrten einfach zur Reglosigkeit, als sich die Gestalt eines Ssirhaa aus den Schatten bildete, ein fast absurd großer Koloß, halb so hoch wie der höchste Turm des Goldenen Tempels und mit Ennarts Gesicht.
Ihr Verfluchten! dröhnte eine Stimme über den Hof, die Stimme eines Gottes, eines zornigen Gottes, laut und mächtig genug, sich die Quorrl vor Schmerz krümmen zu lassen. Ihr wagt es, unser Heiligtum zu schänden! Ihr werdet den Zorn der Götter spüren!
Skar ließ das Schwert sinken. Rings um ihn herum fuhren die Quorrl fort, auf die Knie zu sinken oder einfach zu fliehen, aber er selbst spürte nichts als eine große, fast friedvolle Ruhe. Er begriff plötzlich, wie verzweifelt Ennart sein mußte, zu diesem letzten, fast schon lächerlichen Mittel zu greifen.
»Gib auf, Ennart«, sagte er. »Wir glauben deinen Lügen nicht mehr.«
Er hatte nicht einmal laut gesprochen. Trotzdem wandten sich die drei goldenen Gesichter über den Drachenköpfen in seine Richtung; und Augenblicke später auch das übermannsgroße Antlitz der Göttergestalt.
Du wagst es, dich den GÖTTERN in den Weg zu stellen? dröhnte die Stimme. Dann wirst du sterben, so wie alle anderen! Die Riesengestalt beugte sich vor. Ihre Hand senkte sich, und der ausgestreckte Zeigefinger berührte einen Quorrl-Krieger, der dicht neben Titch auf die Knie gesunken war.
Der Quorrl starb.
Er mußte so gut wie Skar wissen, daß das Abbild des gigantischen Ssirhaa nichts als ein weiterer Trick war, eine Illusion wie die Drachen und das Feuer, aber dieses Wissen nutzte ihm nichts. Er stand seinem Gott gegenüber, dem Inbegriff all dessen, woran er je geglaubt - und was er je gefürchtet! - hatte, und er spürte seinen Zorn und dann seine Berührung, und sie tötete ihn. Und dies war wirklich der letzte Fehler, den Ennart beging. Titch schrie auf, als wäre er es gewesen, den die Hand des zornigen Gottes berührte, aber es war keine Furcht, sondern Zorn, alles hinwegfegender, kochender Zorn, der ihn aufbrüllen ließ. Seine Hand riß den Bogen vom Rücken und tastete nach einem Pfeil.
Aber Skar war schneller.
Sein Schwert klirrte zu Boden, als er zum Gürtel griff und einen weiteren Shuriken aus seiner Schlaufe löste. Einer der Ssirhaa vor ihm fuhr mit einem Mal herum und riß den Arm in die Höhe, etwas Kleines, Silbernes blitzte in seiner Hand, aber die Bewegung schien mit einem Mal lächerlich langsam zu sein, als hätte sich die Zeit geteilt, und Skar befände sich auf der anderen, schnelleren Seite: er riß den Arm in die Höhe, bewegte die Finger in schnellen, zahllose Male geübten Gesten - und schleuderte den Wurfstern.
Die fünfzackige Scheibe aus Sternenstahl traf den Hals des Drachenungeheuers und bohrte sich hinein. Ihre Wucht war kaum groß genug, die Hornplatten der Bestie zu durchdringen, und wahrscheinlich spürte das Tier nicht einmal Schmerz - aber es war auch nicht der Shuriken, der es tötete.
Es war Skar.
Etwas in ihm. Die ungeheure, finstere Macht, die sein Dunkler Bruder ihm geschenkt hatte, und die er jetzt zum ersten Mal bewußt entfesselte. Der Drache starb, nicht weil die lächerliche Waffe ihn getötet hätte, sondern einfach, weil Skar es wollte. Mit einem gellenden Schrei bäumte sich das Ungeheuer auf, brach wie vom Blitz getroffen zusammen und zermalmte seinen Reiter unter sich, und es riß noch im Zusammenbrechen das zweite Monstrum mit sich. Der Drache schrie, strauchelte und warf seinen Reiter ab, drohte für Sekunden ebenfalls zu stürzen und fand im letzten Moment seine Balance wieder. Dann traf ihn ein Blitz aus Kiinas Scanner und verwandelte seinen Kopf in eine auseinanderspritzende Masse aus Fleisch und kochendem Blut. Das Ungeheuer torkelte noch ein paar Schritte weiter, vielleicht einfach zu dumm, um zu begreifen, daß es bereits tot war, ehe es sich mit einer grotesken Bewegung zur Seite neigte und endlich fiel. Im Zusammenbrechen begrub es drei oder vier Zauberpriester unter sich.