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»Es wird keine Zukunft geben, du Narr«, flüsterte der Priester. »Keine Ordnung mehr. Keine Regeln. Cant wird untergehen, und alles wird im Chaos versinken.«

Skar hörte das Schleifen von Metall und wußte, was er erblicken würde, noch ehe er sich herumdrehte und Titch erkannte. Der Quorrl hatte das Schwert gehoben. Seine Augen waren schwarz vor Haß.

»Geh mir aus dem Weg!« zischte er. »Geh zur Seite, damit ich diesen Hund erschlagen kann.«

Skar stand tatsächlich auf. Aber statt den Weg freizugeben, trat er Titch im Gegenteil entgegen und drückte seinen Waffenarm herunter.

»Was würde es nützen, ihn zu töten?« fragte er. »Wem würde es nützen? Er hat dasselbe getan wie wir; nur auf seiner Seite. Er hat getan, was er tun zu müssen glaubte.«

Titchs Arm zitterte. Aber Skar hielt ihn mit unerbittlicher Kraft fest. »Ihr braucht ihn, Titch«, sagte er beinahe beschwörend. »Ihr müßt eine neue Welt aufbauen, und ihr werdet jedes bißchen Hilfe brauchen, das ihr bekommen könnt.«

»Ihn?« Titch kreischte es fast. »O ja, sicher - wir brauchen Männer wie ihn. Sie werden uns helfen, nicht wahr? So lange, bis sie sich einen neuen Gott gebaut haben. Bis die Ssirhaa wiederkommen, oder andere.«

»Das werden sie nicht«, sagte Skar ruhig. »Nie wieder, Titch. Es gibt sie nicht mehr. Schon lange nicht mehr.«

»Vielleicht hat es sie nie gegeben«, flüsterte der Priester. Skar und Titch sahen überrascht auf ihn herab. Der Quorrl hatte sich aufgerichtet und saß, Kopf und Oberkörper gegen den Altarstein gelehnt und mit schmerzverzerrtem Gesicht da, aber die Furcht in seinem Blick war etwas anderem, viel tiefer Reichendem gewichen.

»Was willst du damit sagen?« schnappte Titch. Sein Mißtrauen war keineswegs besänftigt, aber die Worte des Priesters hatten ihn verwirrt.

Statt zu antworten, hob der Quorrl müde die Hand und deutete auf einen dunkelroten Vorhang hinter Titch. »Zieh ihn auf.«

Titch zögerte. Sein Blick wanderte unsicher zwischen Skars und dem Gesicht des Priesters hin und her. Vielleicht vermutete er eine Falle, aber möglicherweise hatte er auch nur Angst vor dem, was ihn hinter dem dunkelroten Samt erwarten mochte. Dann, ganz plötzlich, drehte er sich mit einem Ruck herum und riß den Stoff mit einer einzigen Bewegung zur Seite.

Dahinter kam eine schmale, nicht ganz mannshohe Nische zum Vorschein, die früher vielleicht einmal Teile der verwirrenden Technik dieses Raumes beinhaltet hatte, denn aus ihren Seitenwänden ragten noch die Enden abgeschnittener oder herausgerissener Kabel und Geräte. Jetzt enthielt sie einen hohen Felssockel, auf dem eine weniger als anderthalb Meter hohe Statue aus grünlichem Stein stand.

Titch keuchte, und Rowls Augen weiteten sich in jähem Entsetzen, als er die steinerne Figur erblickte.

Skar trat neugierig näher. Er verstand den Grund für Titchs Schrecken nicht - die Skulptur zeigte keine der namenlosen Schrecken quorrlscher Dämonologie, keinen Daij-Djan oder Ultha oder andere Schreckensgestalten, sondern ein schlankes, echsenhaftes Wesen mit fein geschnittenen Zügen und fast zerbrechlichen Gliedern. Das Vorbild, nach dem es geschaffen worden war, konnte nicht viel größer als ein Kind gewesen sein, und auch nicht bedeutend kräftiger, wenn die nadelspitzen Fänge in dem halb geöffneten Maul und die schrecklichen Krallen an den Enden seiner Finger und Zehen auch seine Wehrhaftigkeit bewiesen. Es hatte einen Schwanz, wie die Reitechsen der Errish, und in den Augen, die kunstvoll aus rotem Kristall nachempfunden waren, stand eine große, noch nicht menschliche, aber auch ganz und gar nicht mehr tierische Klugheit.

»Was ist das?« murmelte Skar verwirrt.

»Wir«, antwortete der Priester. Skar hörte, wie er aufstand und sich stöhnend näherschleppte. Weder Titch noch der Bastard versuchten ihn daran zu hindern. »Das Volk, aus dem wir gemacht wurden, Satai. Unsere Vorfahren.«

Skar besah sich die Statue noch einmal und genauer, und nach ein paar Sekunden begriff er, daß der Priester die Wahrheit sprach. Das kleine Echsenwesen hatte kaum Ähnlichkeit mit einem Quorrl, und doch schien alles, was die großen Schuppenkrieger ausmachte, schon vorhanden zu sein, wie etwas, das unter der Oberfläche des Sichtbaren schlummerte und nur darauf wartete, hervorzubrechen.

»Ich habe ihn mir angesehen«, flüsterte der Priester. »Seit ich das erste Mal hier heruntergekommen bin, habe ich ihn betrachtet, Satai, Tag für Tag. Und ich habe getan, was ich tun mußte, damit wir nicht wieder zu dem da werden.« Plötzlich fuhr er herum, und Zorn flammte in seinen Augen auf, ein heiliger, lodernder Zorn, der selbst Titch einen halben Schritt zurückweichen ließ. »Du nennst es eine Maschine!« schrie er. »Und vielleicht ist sie das! Vielleicht hast du recht, und wir haben immer nur einen Gott aus Stahl angebetet! Aber er war das einzige, was zwischen uns und ihm stand!«

Titch antwortete nicht, aber etwas in seinem Blick schien zu zerbrechen, und plötzlich wußte Skar, daß sein Haß auf den Priester und seine Brüder erloschen war. Vielleicht - sicher - würde er dem Quorrl niemals trauen, und vielleicht würde er ihn trotz allem töten, aber er verstand jetzt seine Gründe. Es war diese Statue, die Mahnung an das, woraus die Quorrl erschaffen worden waren, die den Priester und seine Vorgänger Tag für Tag, Jahrhundert für Jahrhundert, Jahrtausend für Jahrtausend daran erinnert hatten, wie wichtig ihr Tun war.

»Wir werden wieder zu ihnen werden, wenn ihr die Maschine zerstört«, sagte der Priester. »Tötet mich. Vernichtet sie, und ohne das Wasser des Lebens wird das da aus euren Eiern schlüpfen!«

»Du irrst dich, Priester«, sagte Skar. Er deutete auf Rowl. »Sie sind der Beweis. Ihr braucht diese Maschine nicht mehr. Vielleicht war euer Tun nötig, vor langer Zeit. Vielleicht mußte diese Maschine einmal sein, aber das ist vorbei. Die Bastarde haben es bewiesen, und alle anderen Quorrl, die ihre Kinder vor euch versteckt haben. Die Natur hat längst übernommen, was diese Maschine begonnen hat.«

»Und die ... die Ssirhaa?« flüsterte Rowl.

Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf den Priester. »Er hat es selbst gesagt, Rowl. Wahrscheinlich hat es sie nie gegeben.«

»Aber wer waren sie dann?«

»Sterbliche Wesen wie wir«, antwortete Titch an Skars Stelle. Er lachte bitter, aber in seinen Augen schimmerten Tränen. »Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es erkennen müssen, als Ennart zum zweiten Mal erschien. Es gibt nur ein Volk auf unserer Welt, das seine Gestalt nach Belieben ändern kann, Rowl.«

Ja, dachte Skar bitter. So wie es nur einen Mann auf ihrer Welt gab, der zu einem Plan wie diesem fähig war. Er hätte es wissen müssen. Er betrachtete den Priester, Rowl und Titch mit einem langen, fast melancholischen Blick, dann lächelte er zum Abschied, wandte sich um und blieb dann noch einmal stehen, um sich ein letztes, ein unwiderruflich allerletztes Mal an Titch zu wenden.

»Versprichst du es mir?« fragte er.

Der Quorrl nickte. Er hatte verstanden, was Skar meinte. So, wie er ohne irgendeine Erklärung wußte, wohin er ging, und weshalb.

»Ich werde sie beschützen, Skar«, sagte er feierlich. »Du hast das Ehrenwort eines Quorrl, daß er sie mit seinem Leben beschützen wird, wann immer es nötig ist.«

28.

Eine Stunde später und eine Meile näher an der Hölle sah Skar zum ersten Mal wieder Tageslicht. Die Treppe hatte ihn weiter in die Tiefe geführt, noch einmal hundert, vielleicht auch zwei- oder dreihundert Meter unter das Allerheiligste des Tempels, in die verbotenen Katakomben der Heiligen Insel, von deren Existenz vielleicht nicht einmal die Priester gewußt hatten. Niemand war je hier heruntergekommen; nicht seit Hunderttausenden von Jahren. Es gab keine Hindernisse, keine Fallen oder Sperren, nicht einmal eine einfache Tür, aber die Stufen, die Skar hinabgeschritten war, waren seit Urzeiten von keinen lebenden Wesen Fuß mehr berührt worden. Der Staub, der auch hier auf Wänden und Boden lag, war zu einer fingerdicken, granitharten Schicht geworden, bar jeder Spur, und darüber hinaus wußte Skar einfach, daß es so war. Und es bedurfte dazu nicht einmal seiner geliehenen Kräfte: er spürte, daß er das erste lebende Wesen war, das es seit undenklichen Zeiten wagte, die Stille hier unten zu durchbrechen. Selbst die Einsamkeit bekam Substanz, wenn sie nur lange genug andauerte.