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»Wer auch immer dazu imstande wäre, er würde die ganze Welt beherrschen.«

»Genau, Njef, außer, alle anderen wären ebenfalls dazu imstande. Aber was für eine Welt würde das dann sein? Die Welt wäre praktisch ganz klein geworden, und jeder befände sich praktisch direkt vor den Haustüren aller anderen. Eine grausame, brutale, dominante Nation wie die Gorajni könnte mit ihren Heeren alle anderen beherrschen. Also müßten sich alle anderen verbünden, um sie aufzuhalten. Und in diesem Krieg würden nicht nur ein paar tausend Menschen sterben, sondern eine Million, zehn Millionen.«

»Deshalb verhindert die Überseele also, daß wir an … schnelle Möglichkeiten denken … viele Soldaten von einem Ort zum anderen zu schaffen.«

»Es fiel dir nicht leicht, das zu sagen, oder?«

»Ich konnte … diesen Gedanken … einfach nicht fassen.«

»Es fällt dir schwer, allein diese Vorstellung zu begreifen, und dabei hast du noch nicht einmal an irgendeine spezifische Vorrichtung gedacht.«

»Ich hasse das«, sagte Nafai. »Du kannst mir nicht einmal erklären, wie jemand so etwas bewerkstelligen könnte. Ich kann mich nicht einmal auf diese bloße Vorstellung konzentrieren. Ich hasse das.«

»Ich glaube, die Überseele ist es nicht gewohnt, daß es irgendwem auffällt. Ich glaube, allein die Tatsache, daß du imstande bist, an eine undenkbare Vorstellung zu denken, bedeutet, daß die Überseele die Kontrolle verliert.«

»Issja, ich bin mir in meinem ganzen Leben noch nie so hilflos und dumm vorgekommen.«

»Und es geht nicht nur um Kriege und Heere«, sagte Issib. »Erinnerst du dich an die Geschichten über Klati?«

»Den Schlächter?«

»Der des Nachts durch Fenster in die Gemächer von Frauen einstieg und sie wie Vieh in einem Schlachthof zerstückelte.«

»Warum hat die Überseele ihn nicht dumm gemacht, als er diesen Gedanken faßte?«

»Weil es nicht die Aufgabe der Überseele ist, uns perfekt zu machen«, sagte Issib. »Aber stell dir einmal vor, Klati hätte ein … wäre imstande gewesen, sehr schnell zu reisen und in sechs Stunden eine andere Stadt zu erreichen.«

»Sie hätten dort gewußt, daß er ein Fremder ist, und ihn so genau beobachtet, daß er nichts hätte tun können.«

»Aber du verstehst nicht … wenn das jeden Tag Tausende, ja sogar Millionen von Menschen täten …«

»Frauen abschlachten?«

»Von einem Ort zum andern fliegen.«

»Das ist zu verrückt, um auch nur daran zu denken!« rief Nafai. Er sprang auf und ging zum Haus.

»Komm zurück!« rief Issib. »Du denkst das nicht wirklich, man bringt dich dazu, es zu denken!«

Nafai lehnte sich gegen eine Säule des Vorhofs. Issib hatte Recht. Es war ihm gutgegangen, und dann hatte Issib gesagt … ja, was hatte er überhaupt gesagt? … und plötzlich hatte Nafai gehen müssen, und nun war er hier, lehnte sich keuchend an eine Säule, und sein Herz hämmerte so laut, daß man es wahrscheinlich noch einen Meter entfernt hören konnte. Bewirkte wirklich die Überseele, daß er so ängstlich und dumm war? Falls ja, war die Überseele sein Feind. Und Nafai wollte sich ihr nicht unterwerfen. Er konnte an die Dinge denken, über die Issib gesprochen hatte, und zwar, ohne davonlaufen zu müssen.

Im Geiste vollzog Nafai die letzten Augenblicke seines Gesprächs mit Issib nach. Über Klati. Der in ein paar Stunden von einer Stadt zur anderen gelangen konnte. In anderen Städten würde er natürlich auffallen – aber was, wie Issib gesagt hatte, wenn Tausende von Menschen … fliegen … konnten?

Das Bild, das Nafai sich ausmalte, war lächerlich. Sich Menschen vorzustellen, die wie Vögel durch die Luft segelten und herabstießen. Er hätte darüber lachen müssen – doch als er daran dachte, zog sich statt dessen seine Kehle zusammen. Sein Kopf fühlte sich an wie in einem Schraubstock. Ein scharfer, stechender Schmerz dehnte sich von seinem Nacken aus und drang bis in seinen Hinterkopf. Doch er konnte daran denken. Fliegende Menschen. Nun konnte er Issibs Gedanken auch zu Ende führen. Tausende Menschen, die von einer Stadt zur anderen flogen, so daß die Behörden in den einzelnen Städten keine Möglichkeit mehr hatten, jeden einzelnen zu überwachen.

»Klati hätte in jeder Stadt eine Frau töten können, und niemand wäre ihm je auf die Spur gekommen«, sagte Nafai.

Issib stand wieder neben ihm, und sein Arm lag ganz leicht auf Nafais Schulter, während er sich gegen die Säule lehnte. »Ja«, sagte Issib.

»Aber was würde es dann bedeuten, Bürger einer Stadt zu sein?« fragte Nafai. »Wenn tausend Menschen … heute … nach Basilika … fliegen …«

»Schon gut«, sagte Issib. »Du mußt es nicht aussprechen.«

»O doch«, sagte Nafai. »Ich kann alles denken. Sie kann mich nicht aufhalten.«

»Ich habe gerade versucht, dir zu erklären … daß die Überseele das Böse auf der Welt nicht aufhält … sie verhindert nur, daß es außer Kontrolle gerät. Sie hält den Schaden örtlich begrenzt. Aber die guten Dinge – denke einmal darüber nach, Nafai – wir geben der Überseele unsere Kunst und Musik und Geschichten, und sie bietet sie allen anderen Nationen an. Sie verbreitet die guten Dinge tatsächlich. Also macht sie die Welt zu einem besseren Ort.«

»Nein«, sagte Nafai. »In mancher Hinsicht ja, aber es könnte auch eine gute Welt sein, in der die Menschen … in der wir … fliegen könnten.«

Er erstickte fast an den Worten, doch er sprach sie aus, und obwohl er es kaum ertragen konnte, hier zu verweilen, wo die Luft so schwül und einfach nicht zu atmen war, blieb er trotzdem.

»Du bist gut«, sagte Issib. »Ich bin beeindruckt.«

Doch Nafai fühlte sich nicht beeindruckt. Er fühlte sich elend und wütend und betrogen. »Wieso hat die Überseele das Recht dazu«, sagte er, »uns all das vorzuenthalten?«

»Heere, die ohne Warnung vor unseren Toren stehen? Ich bin froh, daß es das nicht gibt.«

Nafai schüttelte den Kopf. »Sie entscheidet, was ich denken kann.«

»Njef, ich kenne das Gefühl, ich habe das alles schon vor Monaten durchgemacht, und ich weiß“, es macht einen wütend und jagt einem Angst ein. Aber ich weiß auch, daß man es überwinden kann. Und gestern, als Mutter von ihrer Vision sprach. Von einem brennenden Planeten. Es gibt ein Wort dafür – na ja, du könntest es jetzt nicht ertragen, es zu hören, das weiß ich … aber die Überseele hat uns auch davor bewahrt. Dreißig oder vierzig Millionen Jahre lang – begreifst du nicht, wie lang diese Zeitspanne ist? Mehr Geschichte, als wir es uns vorstellen können. Sie ist irgendwo verstaut, doch wir können höchstens eine skeletthafte Vorstellung von dem erfassen, in unsere Köpfe kriegen, was in den letzten zehn Millionen Jahren oder so auf der Welt passiert ist – und es sind Jahre des Studiums erforderlich, um auch nur das zu verstehen. Es gibt Königreiche und Sprachen, von denen wir seit Millionen Jahren nichts mehr gehört haben, und trotzdem ist nichts davon wirklich verloren. Als ich in der Bibliothek nachgeforscht habe, fand ich Hinweise auf Werke in anderen Bibliotheken und konnte die Spur zurückverfolgen, bis ich auf die unbeholfene Übersetzung eines Buches stieß, daß vor zweiunddreißig Millionen Jahren geschrieben wurde, und weißt du, was darin stand? Schon damals hat der Verfasser behauptet, die Geschichte sei zu lang, zu voll, als daß der menschliche Geist sie erfassen könnte. Würde man die gesamte menschliche Geschichte in einem Buch von tausend Seiten zusammenfassen, würde die Geschichte der Menschheit auf der Erde nur eine Seite davon beanspruchen. Und das war vor zweiunddreißig Millionen Jahren.«

»Also gibt es uns schon seit langer Zeit.«

»Wenn man die Arithmetik dieses Schriftstellers wörtlich nimmt, heißt das, daß die Geschichte der Menschheit auf der Erde nur achttausend Jahre gewährt hat, bevor der Planet … verbrannte.«