»Er streitet es ab. Er behauptet sogar, er würde seine Soldaten auf die Straßen Basilikas schicken, um die Frauen vor den Tolschocks zu schützen.«
»Soldaten?«
»Offiziell die Miliz des Palwaschantu-Klans. Aber sie gehorchen ausschließlich Gaballufix, und der Klans-Rat war nicht imstande, eine Versammlung einzuberufen und darüber zu diskutieren, wie die Miliz eingesetzt werden soll. Du bist ein Palwaschantu, nicht wahr?«
»Ich bin noch zu jung für die Miliz.«
»Es ist keine echte Miliz mehr«, sagte sie. »Es sind gedungene Männer von außerhalb der Mauern, Männer der hoffnungslosen Art, und sehr wenige von ihnen sind wirklich Palwaschantu. Gaballufix bezahlt sie. Und er bezahlt auch die Tolschocks.«
»Woher weißt du das?«
»Man hat mich herumgestoßen. Ich habe die Soldaten gesehen. Ich weiß, wie sie zusammenpassen.«
Weitere Hexenkunst. Aber wie konnte er es bezweifeln? Hatte er nicht den Einfluß der Überseele gespürt, wann immer er an die verbotenen Wörter gedacht hatte? Ihm brach der Schweiß aus, wenn er nur daran dachte, was er in der vergangenen Woche durchgemacht hatte. Warum also sollte Huschidh nicht einfach einen Soldaten und einen Tolschock ansehen können und diese Dinge über sie wissen? Warum konnten Kamele nicht fliegen? Jetzt war alles möglich.
Bis auf die Tatsache, daß der Einfluß der Überseele schwächer wurde. Hatten er und Issib ihre Macht nicht überwunden, um über verbotene Dinge nachdenken zu können?
»Und du weißt, daß ich nicht zu ihnen gehöre.«
»Im Gegensatz zu deinen Brüdern.«
»Sie sind Tolschocks?«
»Sie gehören zu Gaballufix. Issib natürlich nicht; aber Elemak und Mebbekew.«
»Woher kennst du sie? Sie waren nie hier – sie sind nicht Mutters Söhne.«
»Elemak war diese Woche mehrmals hier«, sagte Huschidh. »Wußtest du das nicht?«
»Was hat er denn hier zu suchen?« Aber Nafai wurde es sofort klar. Ohne imstande zu sein, den Gedanken selbst zu denken, wußte er genau, weshalb Elemak Rasas Haushalt aufgesucht hatte. Mutter hatte in der Stadt ein sehr hohes Ansehen; ihre Nichten wurden von vielen Männern umworben, und Elemak war in einem Alter – nun ja, eigentlich in dem Alter –, in dem man sich ernsthaft nach einer Gefährtin umsehen mußte, wenn man einen Erben zeugen wollte.
Nafai sah sich auf dem Hof um, auf dem viele Mädchen und ein paar Jungen ihr Mittagessen zu sich nahmen. Alle Schüler von außerhalb waren fort, und die jüngeren Kinder aßen früher. Also waren die meisten Mädchen hier potentielle Gefährtinnen, einschließlich ihrer Nichten, falls Rasa sie freigeben sollte. Welcher galt Elemak Interesse?
»Eiadh«, flüsterte er.
»Davon kann man ausgehen«, sagte Huschidh. »Ich bin es bestimmt nicht.«
Nafai betrachtete sie überrascht. Natürlich war sie es nicht. Dann wurde er verlegen; was, wenn sie merkte, wie lächerlich es ihm vorgekommen war, daß sein Bruder sie begehren mochte.
Doch Huschidh fuhr fort, als habe sie seine stumme Beleidigung nicht einmal bemerkt. Bestimmt wußte sie, wie sehr Nafai die Vorstellung verletzen würde, Elja könnte um Eiadh werben. »Als dein Bruder kam, wußte ich sofort, daß er Gaballufix sehr nahe steht. Ich bin sicher, daß diese Sache Tante Rasa großes Leid verursacht, denn sie weiß, daß Eiadh ihn akzeptieren wird. Dein Bruder hat ein großes Prestige.«
»Sogar, nachdem Vaters Visionen solch einen Skandal verursacht haben?«
»Er gehört zu Gaballufix«, sagte Huschidh. »In der Partei der Männer – jene, die Gaballufix wohlwollend gegenüberstehen – ist Elemak um so besser gelitten, je schlechter dein Vater dasteht. Denn wenn deinem Vater etwas zustoßen würde, wäre Elemak ein sehr reicher und mächtiger Mann.«
Ihre Worte gaben Nafais schlimmsten Befürchtungen um seinen Bruder neue Nahrung. Doch der Gedanke war ungeheuerlich. »Gaballufix will, daß Elemak Einfluß auf Vater nimmt, mehr nicht.«
Huschidh nickte. Doch wollte sie ihm damit zustimmen oder nur zum Schweigen bringen, damit sie mit dem fortfahren konnte, was sie zu sagen hatte? »Die andere starke Partei besteht aus Roptats Leuten. Man nennt sie nun die Partei der Frauen, obwohl sie auch von einem Mann geführt wird. Sie wollen sich mit den Gorajni verbünden. Und sie wollen auch allen Männern das Wahlrecht nehmen, abgesehen von denen, die vor kurzem eine Verbindung mit einer Bürgerin eingegangen sind, und durchsetzen, daß alle Männer ohne Gefährtinnen die Stadt jeden Abend bei Sonnenuntergang verlassen müssen und erst bei der Morgendämmerung zurückkehren dürfen. Das ist ihre Lösung für das Problem mit den Tolschocks – und auch für das mit Gaballufix. Sie haben eine breite Anhängerschaft – unter verheirateten Männern und Frauen.«
»Ist das die Gruppe, der Vater angehört?«
»Alle Mitglieder der Partei der Männer denken dies, doch Roptats Leute wissen es besser.«
»Und aus wem besteht die dritte Gruppe?«
»Sie nennt sich die Stadt-Partei, ist aber in Wirklichkeit die Partei der Überseele. Sie weigern sich, sich mit irgendeiner kriegsführenden Nation zu verbünden. Sie wollen zu den alten Gebräuchen zurückkehren, um den See zu schützen und um aus Basilika wieder eine Stadt zu machen, die über der Politik und allen Konflikten steht. Um den großen Reichtum der Stadt zu verschenken und ein einfaches Leben zu führen, damit keine andere Nation den Drang verspürt, uns zu beherrschen.«
»Dem wird niemand zustimmen.«
»Du irrst dich«, sagte sie. »Dem stimmen viele zu. Dein Vater und Tante Rasa haben fast alle Frauen aus den See-Bezirken hinter sich gebracht.«
»Aber das ist doch kaum jemand. Nur eine Handvoll Menschen wohnen im Spaltental.«
»Sie haben ein Drittel der Ratsstimmen.«
Nafai dachte darüber nach. »Ich glaube, das ist sehr gefährlich für sie«, sagte er.
»Warum glaubst du das?«
»Weil ihnen nur die Tradition Rückhalt gibt. Je mehr sich Gaballufix gegen die Tradition wendet, je mehr Angst er den Leuten mit Tolschocks und Soldaten einjagt, um so mehr Leute werden fordern, daß irgendetwas geschieht. Und Vater und Mutter verhindern lediglich, daß irgend jemand eine Mehrheit im Rat bekommt. Sie verhindern, daß Roptat Gaballufix aufhalten kann.«
Huschidh lächelte. »Du bist wirklich sehr gut darin.«
»Politik ist eins meiner bevorzugten Unterrichtsfächer.«
»Du hast die Gefahr erkannt. Aber du hast mir nicht gesagt, wie wir aus ihr herauskommen.«
»Wir?«
»Basilika.«
»Nein«, sagte Nafai. »Du hast gesagt, du wüßtest, zu welcher Partei ich gehöre.«
»Zu der Partei der Überseele natürlich«, sagte sie.
»Das weißt du nicht. Das weiß noch nicht einmal ich. Ich bin mir nicht sicher, ob mir gefällt, wie die Überseele uns manipuliert.«
Huschidh schüttelte den Kopf. »Vielleicht wirst du die Entscheidung in deinem Geist erst in vielen Tagen treffen, doch die in deinem Herzen hast du bereits betroffen. Du lehnst Gaballufix ab. Und es zieht dich zur Überseele.«
»Du irrst dich«, sagte Nafai. »Ich meine, ja, es zieht mich zur Überseele, Issib hat diesen Entschluß schon vor langem getroffen, und er hat gute Gründe. Trotz aller geheimen Manipulationen des Verstands der Leute wäre es noch gefährlicher, die Überseele abzulehnen. Aber das heißt nicht, daß ich bereit bin, Basilikas Zukunft in die Hände der winzigen Minderheit der verrückten religiösen Fanatikerinnen zu legen, die im Spaltental wohnen und ständig Visionen haben.«
»Wir sind diejenigen, die der Überseele nahe stehen.«
»Die ganze Welt hat die Überseele in ihren Gehirnen«, sagte Nafai. »Näher kann man ihr nicht stehen.«
»Wir sind diejenigen, die die Überseele wählen«, beharrte Huschidh. »Und nicht die ganze Welt hat sie in ihren Gehirnen, oder sie hätten niemals damit angefangen, weit entfernte Nationen mit Krieg zu überziehen.«