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»Vielleicht haben wir sie verwirrt. Vielleicht gerät sie wegen uns in Panik, weil sie nicht weiß, was sie tun soll.«

»Genau«, sagte Issib. »Also dürfen wir nicht aufhören. Geben wir der Überseele doch einfach einen Rat!«

»Warum nicht?« sagte Nafai. »Sie wurde doch von menschlichen Wesen geschaffen, oder?«

»Das glauben wir. Vielleicht.«

»Also sagen wir ihr, sie soll damit aufhören, uns ständig zu blockieren. Dieser Versuch ist sinnlos, und sie muß sofort aufhören, ihre kostbare Zeit damit zu verschwenden, denn selbst, wenn wir über jedes verbotene Thema auf der Welt nachdächten, würden wir doch keinem davon erzählen, und wir würden auch nicht versuchen, selbst so eine Maschine zu bauen. Oder?«

»Natürlich nicht.«

»Also leiste einen Eid darauf, Issib. Ich lege ihn auch ab. Ich schwöre jetzt sofort – hörst du zu, Überseele? –, daß wir nicht deine Feinde sind und du keine einzige Sekunde mehr auf uns verschwenden mußt. Gib den Frauen wieder Visionen. Und verbringe deine Zeit lieber damit, die gefährlichen Leute zu blockieren. Die Naßköpfe zum Beispiel. Gaballufix. Wahrscheinlich auch Roptat. Und wenn du sie nicht blockieren kannst, laß uns zumindest wissen, was wir tun können, um sie zu blockieren.«

»Mit wem sprichst du?«

»Mit der Überseele.«

»Das hört sich wirklich dumm an«, sagte Issib.

»Sie hat uns unser ganzes Leben lang gesagt, was wir denken sollen«, sagte Nafai. »Was ist so dumm daran, ihr hin und wieder einen Vorschlag zu machen? Leiste den Eid, Issja.«

»Ja, ich verspreche es, ich lege den ernstesten Eid darauf ab. Hörst du zu, Überseele?«

»Sie hört zu«, sagte Nafai. »Soviel wissen wir immerhin.«

»Nun ja«, sagte Issib. »Glaubst du, sie tut, was wir sagen?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Nafai. »Aber eins weiß ich – wir werden nicht klüger, wenn wir den Rest des Tages über in der Bibliothek herumhängen. Verschwinden wir von hier. Verbringen wir die Nacht in Vaters Haus. Vielleicht kommt uns da eine wirklich gute Idee. Oder vielleicht hat Vater eine Vision. Vielleicht wird irgend etwas passieren.«

Erst an diesem Nachmittag, als er Mutters Haus verließ, fiel Nafai wieder ein, daß Elemak um Eiadh buhlte. Nicht, daß Nafai deshalb das Recht hatte, ihn zu hassen. Nafai hatte niemals mit irgend jemandem über die Gefühle gesprochen, die er ihr entgegenbracht. Und mit vierzehn Jahren war er noch zu jung, um ernsthaft als gesetzlicher Gefährte in Betracht gezogen zu werden. Natürlich würde Eiadh Elemak ansehen und ihn begehren. Das erklärte alles – wieso sie so nett zu Nafai war und sich ihm gleichzeitig niemals zu nähern schien. Sie wollte seine Gunst bewahren, für den Fall, daß er irgendeinen Einfluß auf Elemak hatte. Aber es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, mit Nafai einen Ehevertrag einzugehen. Schließlich war er ja noch ein Kind.

Dann fiel ihm ein, was Huschidh über Issib gesagt hatte. Mit ihm könnte ich nicht sprechen. Weil er ein Krüppel war? Unwahrscheinlich. Nein, Huschidh war Issib gegenüber zu schüchtern, weil sie in ihm einen möglichen Gefährten sah. Selbst ich weiß genug über Frauen, um darauf zu kommen, dachte Nafai.

Huschidh ist in meinem Alter, und wenn sie über einen Gefährten nachdenkt, betrachtete sie meinen älteren Bruder. Ich könnte genausogut ein Baum oder ein Stein sei, was das sexuelle Interesse betrifft, das ein Mädchen meines Alters mir entgegenbringt. Und Eiadh ist älter als ich – eine der ältesten in meiner Klasse, während ich einer der jüngsten bin. Wie bin ich nur je auf den Gedanken gekommen …

Er fühlte das heiße Erröten der Verlegenheit auf seinen Wangen, obwohl niemand außer ihm selbst von seiner Erniedrigung wußte.

Als er nun durch die Straßen Basilikas ging, wurde Nafai klar, daß er, abgesehen von einem gelegentlichen Spaziergang auf der Regenstraße, Mutters Haus nicht mehr verlassen hatte, seit er gemeinsam mit Issib die Forschungen aufgenommen hatte. Vielleicht wurde er sich gerade wegen Huschidhs Bericht einer Veränderung in der Stadt bewußt. Waren nicht weniger Leute auf den Straßen? Vielleicht – aber der eigentliche Unterschied lag eher darin, wie sie gingen. Die Menschen Basilikas bewegten sich für gewöhnlich zielgerichtet, ließen sich durch dieses Ziel aber nicht von dem ablenken, was um sie herum passierte. Selbst Leute, die es eilig hatten, konnten einen Augenblick lang stehenbleiben oder zumindest lächeln, wenn sie an einem Straßenmusikanten vorbeikamen oder einem Jongleur oder einem Komiker, der seine Knittelverse vortrug. Und viele Leute bummelten, nahmen die Dinge mit echtem Vergnügen auf, unterhielten sich mit ihren Begleitern, sprachen aber auch offen mit Fremden auf den Straßen, als wären alle Menschen Basilikas Nachbarn oder sogar Verwandte.

An diesem Abend war es anders. Als die Sonne auf den Dächern im Westen eine Silhouette bildete und Schatten über die Straßen warf, schienen die Leute dem Sonnenlicht auszuweichen, als würde es ihre Haut verbrennen. Sie waren schweigsam zueinander. Die Straßenmusikanten wurden ignoriert, und selbst ihre Musik kam Nafai furchtsamer vor, als wären sie bereit, beim ersten Anzeichen des Mißgefallens eines Passanten das Lied sofort abzubrechen. Es war stiller auf den Straßen, weil fast niemand sprach.

Bald wurde der Grund dafür offensichtlich. Eine Truppe von acht Mann trabte die Straße entlang, Pulsatoren in den Händen und elektrische Klingen an den Hüften. Soldaten, dachte Nafai. Gaballufix’ Leute. Nein – offiziell handelte es sich um die Miliz der Palwaschantu, doch Nafai fühlte sich nicht mit ihnen verwandt.

Sie schienen nicht nach rechts oder links zu sehen, als hätten sie einen bestimmten Auftrag. Doch Nafai und Issib stellten augenblicklich fest, daß sich die Straßen zu leeren schienen, als die Soldaten kamen. Wohin waren die Leute verschwunden? Sie versteckten sich nicht gerade, doch nachdem die Soldaten weitergezogen waren, dauerte es mehrere Minuten, bis die Leute wieder zum Vorschein kamen. Sie waren in die Geschäfte ausgewichen und hatten so getan, als hätten sie dort etwas zu erledigen. Einige hatten einfach Umwege in Kauf genommen und waren auf Nebenstraßen ausgewichen. Und wieder andere waren auf der Straße geblieben, hatten sich jedoch, wie Nafai und Issib, nicht mehr gerührt, sondern waren wie erstarrt, so daß sie ein paar Minuten lang Teil der Architektur gewesen waren und nicht mehr Teil des Lebens auf der Straße.

Es hatte gar nicht den Anschein, als wären die Leute der Meinung, die Soldaten würden die Stadt sicherer machen. Statt dessen hatten die Soldaten ihnen Angst gemacht.

»Basilika steckt in Schwierigkeiten«, sagte Nafai.

»Basilika ist tot«, sagte Issib. »Hier wohnen noch Menschen, aber die Stadt ist nicht mehr Basilika.«

Zum Glück wurde es besser, als sie die Flügelstraße entlang gingen – die Soldaten hatten ihren Weg gekreuzt, wo die Flügel- auf die Weizenstraße stieß, nur ein paar Häuserblocks von Gaballufix’ Haus entfernt. Als sie in die Altstadt kamen, herrschte wieder regeres Leben auf den Straßen. Aber noch immer waren gewisse Veränderungen zu sehen.

Zum Beispiel hatte man die Frühlingsstraße geräumt. Bei ihr handelte es sich um eine der großen Durchgangsstraßen Basilikas, die vom Rauchfang-Tor durch die Altstadt und bis zum Rand des Spaltentals führte. Doch wie so oft in Basilika war eine einfallsreiche Bauherrin auf die Idee gekommen, daß es eine Schande war, all diesen Freiraum in der Mitte der Straße zu verschwenden, wenn dort jemand wohnen konnte. Zwischen der Flügel- und der Tempelstraße hatte diese Bauherrin einen langgezogenen Block von sechs Gebäuden errichtet.

Wenn in Basilika eine Bauherrin ein Gebilde errichtet, das eine Straße blockiert, können die Bewohner der Stadt ganz unterschiedlich darauf reagieren. Wenn die Straße nicht sehr belebt ist, erheben wahrscheinlich nur ein paar Leute Einwände dagegen. Vielleicht schimpfen und fluchen sie und bewerfen die Maurer sogar mit Gegenständen, doch da die Arbeiter normalerweise ziemlich stämmige Kerle sind, wird es nur wenig ernsthaften Widerstand geben. Man zieht das Gebäude hoch, und die Leute suchen sich einen anderen Weg. Diejenigen, denen Häuser oder Läden gehören, die die nun blockierte Straße umsäumten, litten natürlich am meisten. Sie mußten mit den Nachbarn verhandeln, um Wegerechte zu bekommen, damit sie den Zugang zur Straße nicht verloren – oder sich diese Rechte nehmen, wenn der Nachbar schwach war. Manchmal mußten sie einfach ihr Eigentum aufgeben. So oder so, die neuen Korridore oder die aufgegebenen Grundstücke wurden bald selbst zu oft benutzten Durchgängen oder Wegen. Schließlich würde irgendeine unternehmungslustige Seele ein paar aufgegebene oder verfallene Häuser kaufen, deren Korridore vom allgemeinen Durchgangsverkehr benutzt würden, und eine Böschung abreißen, und schon war eine neue Straße entstanden. Der Stadtrat unternahm nichts gegen diese Vorkommnisse – auf diese Weise hatte sich Basilika im Lauf der Zeit entwickelt und verändert, und es war sinnlos, in einer Millionen Jahrzehnte alten Stadt zu versuchen, den Lauf der Zeit und der Geschichte aufzuhalten.