Luet konnte das Gespräch zwischen Tante Rasa und Gaballufix mithören, auch nachdem sie um eine Ecke gegangen und außer Sicht waren.
»Ich muß nicht prahlen«, sagte Gaballufix. »Aber es bereitet mir Freude.«
Doch anstatt zu antworten, rief Tante Rasa laut den Gang zurück: »Luet! Huschidh! Kommt mit. Ich möchte Zeuginnen haben.«
Augenblicklich setzte sich Luet in Bewegung, und Huschidh folgte ihr. Da Tante Rasa sie erzogen hatte, liefen sie nicht, gingen aber so schnell, daß sie um die Ecke gebogen waren und Gaballufix’ letzte geflüsterten Worte mitbekamen, bevor sie zu den Erwachsenen aufschlössen. »… keine Angst vor deinen kleinen Hexen«, sagte er.
Luet ließ sich natürlich nicht anmerken, daß sie es mitbekommen hatte. Sie wußte, daß Huschidhs Gesicht noch ausdrucksloser sein würde.
Auf dem Säulengang unternahm Gaballufix nicht die geringsten Anstalten, die Grenze von Tante Rasas Wandschirmen zu respektieren. Er trat direkt zur Balustrade und betrachtete den Anblick, der für die Augen von Männern verboten war. Tante Rasa folgte ihm nicht, und so blieben auch Luet und Huschidh hinter den Schirmen. Schließlich kehrte Gaballufix zu ihnen zurück.
»Immer ein wunderschöner Anblick«, sagte er.
»Allein deshalb könntest du verbannt werden«, sagte Tante Rasa.
Gaballufix lachte. »Dein geheiligter See. Was glaubst du, wie lange er noch vor den Stiefeln von Männern sicher sein wird, wenn die Naßköpfe kommen? Hast du daran gedacht – haben Roptat und dein geliebter Volemak daran gedacht? Die Naßköpfe haben keine Ehrfurcht vor der Religion der Frauen.«
»Noch weniger als du?«
Gaballufix verdrehte die Augen, um ihr seine Verachtung für ihre Anklage zu zeigen. »Wenn es nach Roptat und Volemak geht, wird den Naßköpfen diese Stadt gehören, und für sie wäre der Blick von diesem Säulengang keiner auf heiliges Land – sondern einer auf städtische Grundstücke, unentwickelte Gelände, mögliches Land für Gebäude und Jagdreviere und auf einen außergewöhnlichen See mit heißem und kaltem Wasser, in dem man bei jedem Wetter baden kann.«
Luet war erstaunt darüber, daß er so gut über die Natur des Sees Bescheid wußte. Welche Frau hatte sich so vergessen, daß sie von dem geheiligten Ort erzählt hatte?
Doch Tante Rasa machte keine Bemerkung über die Unangemessenheit seiner Worte. »Roptat hat vor, die Naßköpfe herzuholen. Wetschik und ich haben lediglich für die uralte Neutralität gesprochen.«
»Neutralität! Nur Narren und Kinder glauben daran. Es gibt keine Neutralität, wenn große Mächte zusammenprallen!«
»In der Macht der Überseele liegt Neutralität und Frieden«, sagte Tante Rasa ganz ruhig angesichts seiner Entrüstung. »Sie hat die Macht, unsere Feinde abzulenken, so daß sie uns gar nicht sehen.«
»Macht? Ja, vielleicht hat sie Macht, diese Überseele – aber ich sehe keine Anzeichen dafür, daß sie arme, unschuldige Städte vor der Zerstörung rettet. Wieso trete ich allein für Basilika ein? Wieso bin ich der einzige, der einsieht, daß Sicherheit nur in einer Allianz mit Potokgavan liegt?«
»Spare dir die patriotischen Reden für den Rat, Gabja. Wenn du mit mir sprichst, kannst du dich nicht hinter ihnen verbergen. Die Wagen verheißen einen leichten Profit. Und was den Krieg betrifft – du weißt so wenig darüber, daß du ihn dir tatsächlich herbeisehnst. Du glaubst, du wirst neben den mächtigen Soldaten Potokgavans stehen und die Naßköpfe vertreiben, und man wird sich ewig an deinen Namen erinnern. Aber ich sage dir, wenn du deinem Feind gegenübertrittst, stehst du allein. Kein Potoku wird neben dir stehen. Und wenn du fällst, wird man deinen Namen so schnell vergessen wie das Wetter der vergangenen Woche.«
»Dieser Sturm, meine liebe ehemalige Gefährtin, hat einen Namen, und man wird sich an ihn erinnern.«
»Nur an den Schaden, den du angerichtet hast, Gabja. Wenn Basilika brennt, wird jede Flammenzunge Gaballufix brandmarken, und der sterbende Fluch einer jeden Bürgerin wird deinen Namen beinhalten.«
»Wer bildet sich denn jetzt ein, eine Prophetin zu sein?« fragte Gaballufix. »Spare dir deine Poesie für diejenigen, die zittern, wenn sie an die Überseele denken. Und was deinen Versuch betrifft, mich verbannen zu lassen – es spielt keine Rolle, ob er gelingt oder scheitert.«
»Du meinst, du willst sowieso nicht gehorchen?«
»Ich? Mich dem Rat widersetzen? Undenkbar. Nachdem ich verbannt worden bin, wird mich niemand mehr in der Stadt sehen, dessen kannst du dir sicher sein.«
Doch bei diesen Worten griff er hinab und schaltete sein Holoküstum ein. Augenblicklich wurde er in eine Illusion gehüllt; sein Gesicht war die unergründliche Maske eines verschwommen bedrohlichen Soldaten, wie einer der vielen hundert, die er angeheuert hatte. Luet begriff, daß er nicht die Absicht hatte, dem Bannspruch zu gehorchen. Er würde einfach diese perfekteste aller Verkleidungen tragen, damit niemand ihn identifizieren konnte. Er würde in der Stadt bleiben, tun, was er wollte, und die Edikte des Rats mit seinem Ungehorsam verspotten. Danach gab es keine politische Hoffnung mehr, die Stadt von seiner Herrschaft zu befreien. Danach gab es nur noch Bürgerkrieg, und die Straßen würden vor Blut schwimmen.
Luet erkannte an Tante Rasas Blicken, daß sie dies begriff. Sie betrachtete ruhig die leeren Augen, die sie aus Gaballufix’ Holokostüm anstarrten. Sie sagte nichts, als er sich umdrehte und ging; sie sagte überhaupt nichts, bis Luet schließlich Huschidh an der Hand nahm und sie zum Rand des Säulengangs traten, um auf das Tal der Frauen zu blicken.
»Zwischen ihnen gibt es nichts mehr«, sagte Huschidh. »Ich sah, wie es zusammenbrach, dieses letzte Band der Liebe. Stürbe er heute abend, wäre sie lediglich zufrieden.«
Für Luet war dies die schrecklichste aller Tragödien. Einst hatte die Liebe diese beiden Menschen verbunden; sie hatten zwei Kinder miteinander, doch nun, nur fünfzehn Jahre später, war die letzte Verbindung zwischen ihnen durchtrennt worden. Alles verloren, alles fort. Nichts währte ewig, nichts. Selbst diese vierzig Millionen Jahre alte Welt, die die Überseele wie in Eis bewahrt hatte, würde vor dem Feuer schmelzen. Dauer war immer eine Illusion, und Liebe war nur die Verkleidung, die Liebende trugen, um den Tod ihrer Vereinigung eine Weile voreinander zu verbergen.
10
Zelte
Wetschik hatte seine Zelte fern von jeder Straße aufgeschlagen, in einem schmalen Flußlauf in der Nähe des Ufers des Rumensees. Sie hatten das Tal beim Sonnenuntergang erreicht, gerade, als eine Pavianherde ihren Futterplatz in der Nähe der Flußmündung verließ und zu ihren Schlafnischen in den steilsten, zerklüftetsten Klippen der Talmauer zurückkehrte. Das Rufen und Schreien der Paviane hatte sie auf der letzten Etappe ihrer Reise begleitet, und Elemak war darauf bedacht, sie ein Stück flußaufwärts zu führen, fort von den Tieren. »Damit wir sie nicht stören?« fragte Issib.
»Damit sie unser Wasser nicht verschmutzen und unser Essen nicht stehlen«, sagte Elemak.
Bevor Vater ihnen erlaubte, die Kamele von ihren Lasten zu befreien und zu tränken, bevor sie selbst etwas aßen oder tranken, richtete er sich auf seinem Reittier auf und deutete zum Fluß. »Seht – wir haben das Ende der Trockenzeit, und es befindet sich noch Wasser in ihm. Von jetzt an wird dieser Ort Elemak heißen. Ich nenne ihn nach dir, meinem ältesten Sohn. Sei wie der Fluß, damit der Sinn deines Lebens darin liegt, immer zum großen Meer der Überseele zu fließen.«
Nafai warf Elemak einen Blick zu und stellte fest, daß er den salbungsvollen Vortrag mit Würde hinnahm. Es war ein ehrwürdiger Augenblick, einem Ort einen Namen zu geben, und selbst wenn Vater auch zu salbungsvoll sprechen mochte, wußte Elemak, daß es eine Ehre war, eine Anerkennung.