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»Und was dieses grüne Tal betrifft«, sagte Vater, »nenne ich es Mebbekew, nach meinem zweiten Sohn. Sei wie dieses Tal, Mebbekew, ein fester Kanal, durch den die Wasser des Lebens fließen können und in dem Leben Wurzeln schlagen und gedeihen kann.«

Mebbekew nickte ernst.

Es war nichts mehr übrig, das er nach Issib und Nafai nennen konnte. Nach kurzer Stille erklang Vaters Stöhnen, als das Kamel niederkniete, damit er absteigen konnte. Erst nach Anbruch der Dunkelheit hatten sie die Zelte endlich aufgeschlagen, die Skorpione hinausgefegt und die Abstoßer aufgestellt. Drei Zelte – Vaters natürlich, das größte, obwohl er allein darin schlief. Das zweitgrößte für Elja und Meb. Und das kleinste für Issib und Nafai, obwohl Issibs Stuhl beträchtlichen Platz in Anspruch nahm.

Nafai konnte nicht umhin, über diese Ungerechtigkeiten zu grübeln, und als Issib ihn schließlich in der Dunkelheit des Zeltes fragte, worüber er nachdachte, verlieh er seinem Abscheu Ausdruck. »Er benennt den Fluß und das Tal nach ihnen, obwohl Elemak doch mit Gaballufix zusammengearbeitet hat und Mebbekew all diese schrecklichen Dinge zu ihm gesagt und das Haus verlassen und noch einiges mehr getan hat.«

»Und?« fragte Issib, verständnisvoll wie immer.

»Und jetzt hocken wir hier im kleinsten Zelt. Wir haben zwei Ersatzzelte dabei, noch nicht ausgepackt, die beide größer sind als dieses hier.« Nachdem sich Nafai ausgezogen hatte, half er nun seinem Bruder dabei -ohne die Schwebeflossen schaffte er es nicht allein.

»Vater hat damit eine Erklärung abgegeben«, sagte Issib.

»Ja, und ich habe sie gehört, und sie gefällt mir nicht. Er hat gesagt: Issib und Nafai, ihr seid nichts

»Was sollte er denn machen, eine Wolke nach uns benennen?« Issib verstummte kurz, während Nafai ihm das Hemd über den Kopf zog. »Oder sollte er einen Busch nach dir nennen?«

»Mir ist es egal, was er nach wem nennt, ich lege nur auf Gerechtigkeit wert.«

»Denke doch einmal vernünftig darüber nach, Nafai. Vater bewertet seine Söhne nicht von Stunde zu Stunde danach, wer ihm den größten Gehorsam leistet oder am besten hilft oder am höflichsten ist. Für die Vergabe der Zelte war eine klare Rangordnung ausschlaggebend.« Nafai legte seinen Bruder auf dessen Matte am hinteren Ende des Zelts. »Die Tatsache, daß Elja kein eigenes Zelt bekommen hat, sondern eins mit Meb teilen muß«, sagte Issib, »rückt ihn zurecht und erinnert ihn daran, daß nicht er der Wetschik ist, sondern nur dessen Sohn. Doch indem er uns in ein so winziges Zelt gesteckt hat, verrät er Elja und Meb, daß er sie schätzt und als seine ältesten Söhne ehrt. Damit tadelt und ermutigt er sie zugleich. Ich glaube, er ist ziemlich klug vorgegangen.«

Nafai legte sich auf seine Matte in der Nähe der Tür, der traditionellen Position des Dieners. »Was ist mit uns?«

»Was soll denn mit uns sein? Willst du dich gegen die Überseele auflehnen, weil dein Papa dir ein kleines Zelt gegeben hat?«

»Nein.«

»Vater vertraut auf unsere Loyalität, während er Elja und Meb zusetzt. Vaters Vertrauen ist die größte Ehre überhaupt. Ich bin stolz darauf, in diesem Zelt zu sein.«

»Wenn du es so ausdrückst«, sagte Nafai, »bin ich es auch.«

»Schlaf jetzt.«

»Wecke mich, wenn du etwas brauchst.«

»Was kann ich denn schon brauchen«, sagte Issib, »wenn ich meinen Stuhl neben mir habe?«

In Wirklichkeit befand sich der Stuhl zu seinen Füßen, und wenn Issib nicht darin saß, war er völlig nutzlos für ihn. Nafai war einen Augenblick lang verwirrt, bis er begriff, daß Issib ihm einen kleinen Tadel erteilt hatte: Was beschwerst du dich denn, Nafai, wenn ich meine Schwebeflossen nicht mehr habe, da ich das Magnetfeld der Stadt verlassen mußte, und nun wie ein kleines Kind versorgt werden muß? Es mußte für Issib erniedrigend gewesen sein, daß ich ihn auszog, dachte Nafai. Und doch erträgt er es um Vaters willen, ohne sich zu beklagen.

Mitten in der Nacht erwachte Nafai und war sofort wach. Er blieb liegen und lauschte. Hatte Issib ihn gerufen? Nein – sein Bruder atmete mit den schweren, rhythmischen Zügen eines Schlafenden. War er vielleicht wach geworden, weil er unbequem lag? Nein, denn aufgrund des Sandes unter seiner Matte lag er hier bequemer als in seinem Zimmer zu Hause. Und es war auch nicht Kälte gewesen oder das ferne Heulen eines Wildhunds, und es konnten auch nicht die Paviane gewesen sein, denn sie verhielten sich des Nachts über immer völlig still.

Als Nafai zum letzten Mal so aufgewacht war, hatte er Luet draußen im Zimmer der Reisenden gefunden, und die Überseele hatte in dieser Nacht zu Vater gesprochen.

Habe ich vielleicht geträumt? Hat die Überseele mich in meinem Schlaf belehrt? Doch Nafai konnte sich an keine Träume erinnern, nur an das plötzliche Bewußtsein, wach zu sein.

Er erhob sich von seiner Matte – leise, um Issja nicht zu stören – und glitt unter dem Netz hindurch, das über die Tür gespannt war. Draußen war es natürlich kälter als im Zelt, doch sie waren so weit in südliche Richtung gereist, daß der Herbst diesen Ort noch nicht erreicht hatte, und das Wasser des Sees Rumen war viel wärmer und ruhiger als der Ozean, der östlich von Basilika an die Küste spülte.

Die Kamele schliefen friedlich in ihrem kleinen Behelfspferch. Die Abwehrer an den Ecken hielten selbst die kleinsten Tiere fern, die nicht gegen die Tonfrequenzen und Pheromone gewöhnt waren, die die Abwehrer abgaben. Der Fluß plätscherte synkopisch über die Felsen. Die Blätter der Bäume raschelten hin und wieder in der Nachtbrise. Wenn es auf ganz Harmonie irgendeinen Ort gibt, wo man friedlich schlafen kann, dachte Nafai, dann hier. Und doch konnte ich nicht schlafen.

Nafai ging flußaufwärts und setzte sich auf einen Stein am Wasser. Der Wind war so kühl, daß er etwas fröstelte; einen Augenblick lang wünschte er sich, er hätte sich angezogen, bevor er das Zelt verlassen hatte. Doch er hatte nicht vorgehabt, jetzt schon aufzustehen, und würde bald wieder ins Zelt zurückkehren.

Er sah sich um und schaute dann zu den nicht weit entfernten, niedrigen Hügeln. Wenn nicht gerade jemand auf diesen Hügeln stand, konnte man nicht einmal vermuten, daß es hier ein Tal mit Wasser gab. Dennoch war es ein Wunder, daß niemand hier lebte, einmal abgesehen von der Paviansippe flußabwärts von ihnen, ja, daß es nicht einmal Spuren einer menschlichen Besiedlung gab. Vielleicht lag es daran, daß sich dieses Tal so weit von jeder Handelsroute entfernt befand. Würde man das Land hier bebauen, könnte es trotzdem kaum mehr als ein paar Dutzend Leute ernähren. Es war wohl zu einsam oder nicht einträglich genug, um sich hier niederzulassen. Räuber würden es vielleicht als Zufluchtsort benutzen, doch es lag zu weit von den Karawanenwegen entfernt. Es war genau das, was Vaters Familie während ihres Exils von Basilika gesucht hatte. Als wäre es eigens für sie geschaffen worden.

Einen Augenblick lang fragte sich Nafai, ob dieses Tal überhaupt existiert hatte, bevor sie es brauchten. Hatte die Überseele sogar die Macht, eine Landschaft umzugestalten?

Unmöglich. In Mythen und Legenden mochte man ihr eine solche Macht zusprechen, doch in der wirklichen Welt schienen die Kräfte der Überseele ausschließlich auf die Kommunikation beschränkt zu sein – auf die Verbreitung von Kunstwerken auf der ganzen Welt und den geistigen Einfluß auf jene, denen sie Visionen gab, oder die Erstarrung der Gedanken, mit denen die Überseele die Menschen von verbotenen Ideen ab wandte.

Deshalb war dieses Tal leer, bis wir kamen, dachte Nafai. Es würde der Überseele nicht schwerfallen, Wüstenreisende dumm zu machen, wann immer sie mit dem Gedanken spielten, hier zum See Rumen abzubiegen. Die Überseele hat das Tal für uns vorbereitet, aber nicht, indem sie es aus den Felsen schuf oder ein unterirdisches Wasserreservoir an die Oberfläche sprudeln ließ und in eine Quelle oder einen Fluß für uns verwandelte, sondern, indem sie andere Menschen von hier fernhielt, so daß das Tal leer und für uns bereit war, als wir kamen.