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Ich würde helfen, sagte die stumme Stimme der Überseele in Nafais Geist. Ich würde den guten Menschen Basilikas helfen. Doch es gibt nicht genug davon. Der Wille der Stadt gilt der Zerstörung. Wie kann ich sie also davor bewahren, zerstört zu werden? Falls Gaballufix mit seinen Plänen scheitert, wird die Stadt einen anderen hervorbringen, der dazu beiträgt, daß sie sich selbst zerstört. Das Feuer wird kommen, weil die Stadt es ersehnt. Zu wenige lieben die Stadt, zu viele wünschen, sich an ihrem Kadaver zu nähren.

Tränen strömten aus Nafais Augen. Ich habe es nicht gewußt. Ich habe die Stadt nie so gesehen.

Das liegt daran, weil du der Sohn deiner Mutter bist, der Erbe deines Vaters. Wie alle menschlichen Wesen gehst du davon aus, daß andere Menschen hinter den Masken ihrer Gesichter im Prinzip so sind wie du. Aber dem ist nicht immer so. Einige Menschen können das Glück anderer nicht sehen, ohne es zerstören zu wollen, können die Bande der Liebe zwischen Freunden oder Eheleuten nicht sehen, ohne sie zerbrechen zu wollen. Und viele andere, die an sich nicht boshaft sind, werden in der Hoffnung auf kurzfristige Vorteile zu deren Werkzeugen. Die Menschen haben ihre Vision verloren. Und ich habe nicht die Macht, sie wiederherzustellen. Mir bleibt nur noch meine Erinnerung an die Erde, Nafai.

»Erzähle mir von der Erde«, flüsterte Nafai.

Erneut öffnete sich ein Fenster in seinem Verstand, doch diesmal handelte es sich nicht um eigene Erinnerungen. Statt dessen sah er Dinge, die er noch nie gesehen hatte. Es überwältigte ihn; er konnte den Dingen, die er sah, kaum Sinn entnehmen. Helle Kästen aus Glas und Metall, die über breite, graue Straßen rasten. Massive Metallhäuser, die sich hoch in die Luft erhoben, auf schlanken, zerbrechlichen Keilen aus lackiertem Stahl durch den Himmel flogen. Große, vielflächige Gebäude mit verspiegelten Fassaden, die einander reflektierten oder im gelben Sonnenlicht schimmerten. Und mitten unter ihnen Hütten aus Pappe oder ausrangiertem Metall, in denen Familien zusehen mußten, wie ihre Kinder mit aufgeblähten Bäuchen starben. Menschen, die Feuerbälle aufeinander warfen, oder große Feuerlohen, die aus Schläuchen kamen. Und völlig unerklärliche Dinge: Eines dieser fliegenden Häuser befand sich über einer Stadt und ließ etwas fallen, bei dem es sich um einen unbedeutenden Kothaufen zu handeln schien, bis plötzlich ein Flammenball aus ihm hervorbrach, der so hell wie die Sonne war, und die gesamte Stadt darunter lag in Trümmern, und die Trümmer brannten. Eine Familie, die an einem großen Tisch saß, der über und über mit Nahrungsmitteln bedeckt war, und gierig aß, bis sie sich dann hinüberbeugte und sich auf Bettler übergab, die sich verzweifelt an den Stuhlbeinen festklammerten. Sicher war diese Vision nicht buchstäblich, sondern sinnbildlich zu nehmen! Sicher würde niemand so moralisch verderbt sein, mehr zu essen, als er brauchte, während andere vor seinen Augen Hungers starben! Sicher würde jeder, der eine Möglichkeit gefunden hatte, den Himmel in so heiße Flammen ausbrechen zu lassen, daß sie eine ganze Stadt auf einmal zerstören konnten, sicher würde solch ein Mensch doch Selbstmord begehen, bevor er irgend jemandem das schreckliche Geheimnis dieser Waffe verraten konnte.

»Ist das die Erde?« flüsterte er der Überseele zu. »So wunderschön und ungeheuerlich? Sind wir einmal so gewesen?«

Ja, kam die Antwort. So seid ihr einst gewesen, und so werdet ihr wieder sein, wenn ich keine Möglichkeit finde, die Welt wieder auf meine Stimme aufmerksam zu machen. In Basilika gibt es viele, die die Nahrung essen, die sie brauchen, und dann noch mehr essen, obwohl sie wissen, daß es viele gibt, die nicht genug haben. Nur dreihundert Kilometer nördlich herrscht eine Hungersnot.

»Wir könnten Wagen benutzen, um Nahrungsmittel dorthin zu schaffen«, sagte Nafai.

Die Gorajni haben solche Wagen. Sie befördern damit auch Nahrungsmittel – aber für die Soldaten, die angerückt sind, um dieses von einer Hungersnot heimgesuchte Land zu erobern. Erst, als sie das Volk unterworfen und die Regierung vernichtet hatten, haben sie Nahrung verteilt – das Schmutzwasser, das ein Schweinehirt seiner Herde bringt. Man füttert sie jetzt, um sie später brutzeln zu hören.

Die Visionen setzten sich fort – stundenlang, wie Nafai glaubte, obwohl er später erkannte, daß es sich nur um ein paar Minuten gehandelt hatte. Immer mehr Erinnerungen an die Erde, mit immer störenderem Verhalten der Menschen und immer seltsameren Maschinen. Bis zum großen Feuer und den Raumschiffen, die sich aus dem Rauch und Eis und der Asche erhoben, die sie zurückließen.

»Sie sind geflohen, weil sie ihre Welt zerstört haben.«

Nein, sagte die Überseele. Sie sind geflohen, weil sie sich danach sehnten, neu anzufangen. Zumindest die, die nach Harmonie kamen. Sie kamen nicht hierher, weil die Erde nicht mehr geeignet für sie war, sondern weil sie glaubten, nicht mehr für die Erde geeignet zu sein. Milliarden sind gestorben, doch es gab noch immer genug Energie und Leben auf der Erde, daß vielleicht ein paar hunderttausend Menschen überleben konnten. Aber sie konnten es nicht ertragen, auf der Welt zu leben, die sie zugrunde gerichtet hatten. Wir gehen fort, sagten sie zueinander, während die Welt sich heilt. Während unseres Exils werden wir ebenfalls lernen, uns zu heilen, und wenn wir zurückkehren, werden wir tauglich sein, das Land unserer Geburt zu erben und es zu behüten.

Also schufen sie die Überseele, nahmen sie nach Harmonie mit und gaben ihr Hunderte von Satelliten, die ihre Augen und ihre Stimme sein sollten; sie veränderten ihre Gene, um sich die Fähigkeit zu geben, die Stimme der Überseele in ihren Köpfen zu vernehmen; und sie füllten die Überseele mit Erinnerungen an die Erde und überließen es ihr, ihre Kinder die nächsten zwanzig Millionen Jahre lang zu behüten.

Bis dahin, sagten sie sich, werden unsere Kinder bestimmt gelernt haben, in Harmonie zu leben. Der Name dieses Planeten wird sich in ihrem Leben verwirklichen. Und am Ende dieser Zeit wird die Überseele wissen, wie sie sie nach Hause bringen kann, wo der Hüter der Erde auf sie wartet.

»Aber wir sind noch nicht bereit«, sagte Nafai. »Nach dem doppelten Zeitraum sind wir so schlecht wie eh und je, abgesehen davon, daß du uns die Macht genommen hast, das gesamte Leben dieses Planeten in Asche und Eis zu verwandeln.«

Die Überseele gab Nafai den Gedanken ein: Mittlerweile wird der Hüter seine Aufgabe bestimmt erfüllt haben. Die Erde ist bereit für unsere Rückkehr. Doch die Menschen von Harmonie sind noch nicht zur Rückkehr bereit. Ich habe all diese Jahre das Wissen der Erde bewahrt, ich habe darauf gewartet, euch sagen zu können, wie man die fliegenden Häuser baut, die Sternenschiffe, die euch zur Welt eurer Geburt zurückbringen werden; aber ich wage es nicht, euch dieses Wissen zu lehren, weil ihr es benutzen würdet, um einander zu unterdrücken und schließlich sogar auszulöschen.

»Was hast du dann vor?« fragte Nafai. »Wie sehen deine Pläne aus? Warum hast du uns hierher geführt?«

Ich kann es dir noch nicht sagen, erwiderte die Überseele. Ich bin mir deiner noch nicht sicher. Aber ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest. Ich habe dir meine Absicht erläutert. Ich habe dir gesagt, was ich bereits bewerkstelligt habe und was noch zu bewerkstelligen ist. Ich habe mich nicht verändert – ich bin heute noch dieselbe, die ich war, als deine Vorfahren mich erschufen, um über euch zu wachen. Meine Pläne sind einzig und allein darauf ausgerichtet, die Menschheit darauf vorzubereiten, zum Hüter der Erde zurückzukehren, der auf euch wartet. Ich lebe nur dafür, die Menschheit auf die Rückkehr vorzubereiten. Ich bin das Gedächtnis der Erde, alles, was davon noch übrig ist, und wenn du mir hilfst, Nafai, wirst du dazu beitragen, diesen Plan zu verwirklichen, falls er sich überhaupt verwirklichen läßt.

Falls er sich überhaupt verwirklichen läßt.