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Aus und vorbei, dachte Nafai. Jetzt bin ich tot. Sie werden mich auf dieser Reise behandeln wie einen Wurm in ihrem Brot. Unter diesen Umständen würde ich lieber zu Hause bleiben, Vater, habe allerbesten Dank.

»Vater, ich werde alles tun, was du verlangst«, sagte Elemak. Doch seine Stimme war leise und kalt, und es machte Nafai im Herzen ganz krank, sie zu hören.

Verdrossen traf Elemak die Vorbereitungen für die Reise. Wie Nafai erwartet hatte, ignorierte Elja ihn völlig, als er fragte, ob er helfen könne. Und Mebbekew warf ihm einen Blick zu, daß Nafai kalte Furcht durchlief. Er will mich umbringen, dachte er. Meb will meinen Tod.

Da er nicht helfen durfte und es offensichtlich am klügsten war, sich eine Weile so unauffällig wie möglich zu benehmen, kehrte Nafai zu dem Zelt zurück, das er sich mit Issib teilte, und half seinem Bruder beim Packen, eine Aufgabe, die hauptsächlich darin bestand, die Flossen zusammenzubinden und in einer Tasche zu verstauen. Als Issib gierig die Flossen betrachtete, sah er in den Augen seines Bruders, daß es diesem völlig egal war, was Elemak oder Mebbekew von ihm hielten – er wollte in die Stadt zurückkehren, in der er frei war und nicht wie ein Kind oder Haustier angezogen oder hinausgebracht werden mußte, um sich zu erleichtern. Er ist ein Gefangener, dachte Nafai, eingekerkert in diesem Körper. Und dann war er fertig, und Issib saß in seinem Stuhl, schwebte über dem Boden und sah aus wie ein übelgelaunter Monarch auf seinem Thron. Er konnte es kaum abwarten, nach Basilika zurückzukehren.

Sie alle können es kaum abwarten, dachte Nafai. Aber keiner aus dem richtigen Grund. Keiner ist darauf versessen, nach Basilika zurückzukehren, weil er wünscht, der Überseele helfen zu können.

Nafai fand sich am Wasser wieder, wo er einen Ast von zehn Zentimetern Dicke umklammerte, ihn zwischen den Händen bog, bog wie ein Hufeisen. Er kämpfte gegen ihn an, gab aber auch unter der Stärke seines Griffs nach.

»Zerbreche ihn nicht«, sagte Vater.

Nafai fuhr erschrocken herum. Er ließ den Ast los›und er peitschte nach oben; einige Blätter schlugen ihm ins Gesicht.

»Er hat so lange gebraucht, um zu wachsen«, sagte Vater.

»Ich hätte ihn nicht zerbrochen.«

»Du warst drauf und dran«, sagte Vater. »Ich kenne mich mit Pflanzen aus. Du nicht. Du warst dabei, ihn zu zerbrechen.«

»So stark bin ich nicht.«

»Stärker, als du weißt.« Vater schätzte ihn mit Blicken ab. »Vierzehn.« Er lachte leise. »Die Gene deiner Mutter, nicht die meinen, fürchte ich. Ich sehe dich an und sehe …«

»Mutter?«

»Was aus Issib geworden sein könnte, sowohl, was den Körper, als auch, was den Geist betrifft. Armer Junge.«

Armer Junge. Warum siehst du mich nicht manchmal an, Vater, und siehst mich. Statt eines Kindes, das nur in deiner Phantasie existiert. Statt eines kleinen Jungen, der sich Visionen ausdenkt. Warum siehst du nicht, was ich bin: ein Mann, der die Stimme der Überseele gehört hat, sogar deutlicher als du.

»Ich habe Angst«, sagte Vater.

Nafai sah seinem Vater ins Auge. Will er mich aufziehen?

»Ich schicke euch auf eine viel gefährlichere Reise, als deine Brüder es verstehen. Aber du verstehst es doch, Nafai, oder?«

»Ich glaube schon.«

»Nach dem, was du gesehen hast«, sagte Vater. Aber es war nicht weniger eine Frage als eine Antwort. Was fragt er mich? Ob ich die Wahrheit über Elja und Meb kenne? Das war unmöglich, denn Vater kannte sie selbst nicht. Nein, Vater fragte, ob Nafai wirklich Visionen sah.

Nafais erste Reaktion bestand darin, wütend zu sein – verletzt und beleidigt. Doch dann begriff er, daß es falsch war, diese Gefühle zu empfinden. Denn Vater hatte ein Recht, diese Frage zu stellen, ein Recht, sich Zeit zu lassen, um an Nafais Visionen zu glauben, genau, wie Issib gesagt hatte. Er versuchte, sich mit der Vorstellung anzufreunden, daß Nafai ebenfalls ein Diener der Überseele sein konnte.

»Ja«, sagte Nafai. »Ich habe etwas gesehen. Aber nichts, was den Index betrifft.«

»Gaballufix wird ihn nicht hergeben«, sagte Vater. »In der Vision tat er es, doch die Überseele kann nicht alles sehen. Der Index ist nichts, was man sich einfach ausborgen kann. Er ist sehr mächtig.«

»Warum? Was kann er?«

»Ich weiß nicht, was er auf sich allein gestellt kann. Aber ich weiß, daß er Macht bedeutet. Ich weiß, daß bei den Palwaschantu derjenige, der den Index aufbewahrt, das Vertrauen des Klans hat. Die größte Ehre. Gabja wird ihn nicht einfach aufgeben. Er würde eher töten. Und deshalb schicke ich meine Söhne.«

Der Ausdruck auf Vaters Gesicht war wütend. Nafai begriff: Er ist auf die Überseele wütend, weil sie dies von ihm verlangt.

Doch dann bekam Vater seinen Zorn in den Griff, und sein Gesicht wurde ruhig. »Ich hoffe«, sagte Vater leise, »ich hoffe, daß die Überseele das alles wirklich durchdacht hat.«

»Vater«, sagte Nafai, »ich werde gehen und tun, was immer die Überseele von uns verlangt. Denn ich weiß, daß die Überseele es nicht von uns verlangen würde, hätte sie nicht irgendwie dafür gesorgt, daß die Aufgabe auch zu bewältigen ist.«

Vater betrachtete lange sein Gesicht. Dann lächelte er. Nafai hatte nie zuvor ein solches Lächeln auf dem Gesicht seines Vaters gesehen. Die Erleichterung darin, das Vertrauen. »Du machst mir nicht nur etwas vor«, sagte Vater. »Du sagst nicht nur das, was ich deiner Ansicht nach hören will.«

»Wann hat irgendeiner deiner Söhne jemals etwas gesagt, von dem er annahm, daß du es hören wolltest?« fragte Nafai.

Nun lachte Vater. »Niemals!« rief er. Und dann, genauso plötzlich, erstarb das Gelächter. Vater nahm Nafais Kopf zwischen die Hände und beugte sich vor und küßte ihn auf den Mund. »Mein Sohn«, flüsterte er. »Mein Sohn.«

Einen Augenblick lang standen sie dort zusammen, neben dem Baum, neben dem Wasser, bis sie Schritte hörten und sich umdrehten. Es war Elemak; sein Gesicht war noch immer verdrossen und wütend. »Wir müssen los«, sagte er. »Zumindest, falls wir heute noch ein gutes Stück schaffen wollen.«

»Dann geht, brecht auf«, sagte Vater. »Ich will euch nicht aufhalten.«

Ein paar Minuten später waren sie wieder auf ihren Kamelen und eilten zur Stadt zurück.

11

Brüder

Basilika war noch nicht in Sicht, doch Elemak kannte die Straße. Kannte sie so gut wie die Haut seines eigenen Gesichts im Spiegel, jedes Muttermal auf der Oberfläche, jeden Gipfel oder Hang, der unter die Rasierklinge geriet und blutete. Er kannte die Schatten jeder Stunde des Tages, die Stellen, wo sich nach einem Regen Wasser finden ließ oder wo sich vielleicht Räuber verbargen.

An einen dieser Orte führte Elemak seine Brüder nun. Sie hatten die Straße schon vor geraumer Weile verlassen, waren bislang jedoch immer in Sichtweite geblieben. Nun ließen sie sie zurück, und schon bald wurde das Gelände so holprig, daß er sie anhalten und absitzen ließ.

»Warum halten wir hier an?« fragte Mebbekew.

»Die Flossen funktionieren wieder«, sagte Issib. »So nah sind wir der Stadt schon. Ich kann mich ohne den verdammten Stuhl bewegen.«

Elemak musterte seinen verkrüppelten Bruder und schüttelte den Kopf. »Nicht zuverlässig genug. Wir laden den Stuhl ab. Du wirst ihn benutzen.«

Issib war normalerweise so willfährig, doch jetzt nicht. »Benutze ihn selbst, wenn du ihn für so bequem hältst.«

»Sieh dich an«, sagte Elemak. »Die Flossen funktionieren hier bestenfalls nur zeitweilig. Sie setzen aus, und du stürzt, und das hätte uns gerade noch gefehlt. Benutze den Stuhl.«

»Je näher wir der Stadt kommen, desto besser wird es.«

»Wir kommen ihr nicht näher«, sagte Elemak.