»Was hast du vor?« fragte Mebbekew.
»Wir ziehen in dieses ausgetrocknete Flußbett, wohin das Magnetfeld Basilikas bestimmt nicht reicht, und warten dort bis zum Anbruch der Dunkelheit ab.«
»Und dann?« fragte Mebbekew. »Da du ja anscheinend glaubst, hier das Kommando zu haben, frage ich lieber mal.«
Elemak hatte so etwas schon oft von Mitreisenden auf der Straße gehört, manchmal sogar von angeheuerten Hilfskräften. Er wußte, wie man damit umzugehen hatte – mit brutaler Unterwerfung, augenblicklich und öffentlich, damit niemand mehr den geringsten Zweifel hatte, wer das Sagen hatte. Also beantwortete er Mebbekews Frage nicht, sondern nahm ihn an den Armen – dünne, frauenhafte Arme, ein Schauspieler, bei der Überseele! – und rammte ihn gegen die Felswand. Die plötzliche Bewegung erschreckte eins der Kamele. Es stampfte, spuckte und schiß aus Protest. Einen Augenblick lang befürchtete Elemak, er müsse das Tier beruhigen – aber nein, Nafai war schon bei ihm und beruhigte es. Der Junge war tatsächlich zu etwas nützlich, einmal abgesehen davon, sich bei Vater einzuschmeicheln. Nicht wie Mebbekew, der nur in seiner Unzuverlässigkeit zuverlässig war. Elemak hatte niemals begriffen, wieso sich Gaballufix ihm anvertraut hatte. Bestimmt hatte Gabja gewußt, daß Mebbekew etwas ausplaudern würde. Selbst, wenn er Vater nicht direkt von der Verschwörung erzählt hatte, mußte er irgend jemandem davon berichtet haben – wie hätte Vater es sonst wissen können?
Es stand nackte Panik und Schmerz in Mebbekews Blick sein Kopf war hart gegen den Stein geprallt. Na gut, dachte Elemak. Denke ein wenig über Schmerz nach. Denke genau darüber nach, bevor du meine Autorität auf der Straße in Frage stellst.
»Ich habe hier das Kommando«, flüsterte Elemak.
Meb nickte.
»Und ich sage, daß wir bis zum Anbruch der Dunkelheit warten.«
»Es war doch nur ein Scherz«, jammerte Meb. »Mußt du denn immer alles so ernst nehmen?«
Elemak hätte ihn dafür fast geschlagen. So ernst? Begreifst du denn nicht, daß dort in Basilika der mächtigste, gefährlichste Mann der Stadt überzeugt sein wird, daß wir ihn verraten und Vater zur Flucht geraten haben? Für Mebbekew war Basilika eine Stadt des Vergnügens und der Aufregung. Nun ja, Aufregung mochte durchaus innerhalb dieser Mauern auf sie warten, doch von Vergnügen keine Spur.
Elemak schlug Meb aber nicht, denn das wäre übertrieben gewesen und hätte bei den anderen vielleicht nicht Respekt, sondern Verärgerung hervorgerufen. Elemak wußte, wie man Männer zu führen hatte und seine eigenen Gefühle beherrschte und verhinderte, daß sie die Urteilskraft verzerrten. Er lockerte den Griff und drehte Mebbekew dann den Rücken zu, um sein absolutes Vertrauen in seine Führung und seine Verachtung für Mebbekew zu zeigen. Meb würde es nicht wagen, ihn anzugreifen, nicht einmal hinterrücks.
»Heute nacht gehen wir folgendermaßen vor. Es ist ganz einfach. Ich werde in die Stadt gehen, mit Gaballufix sprechen und den Index holen.«
»Nein«, sagte Issib. »Vater hat gesagt, wir sollen gemeinsam gehen.«
Eine weitere Insubordination – aber keine ernsthafte, und sie kam von Issib, dem Krüppel, und daher war es ausgeschlossen, ihn körperlich zu maßregeln. »Und wir sind gemeinsam gegangen. Aber ich kenne Gaballufix. Er ist mein Halbbruder – genauso mein Bruder wie jeder von euch. Mir wird es am ehesten möglich sein, ihn zu überreden, uns den Index zu geben.«
»Du meinst, wir haben den weiten Weg zurückgelegt«, sagte Issib, »und du läßt mich hier warten, in meinem Metallsarg, und ich darf gar nicht in die Stadt gehen?«
»Besser in deinem Stuhl als in einem echten Sarg«, sagte Elemak. »Laß dir gesagt sein, wenn du glaubst, es wäre ein Vergnügen, in die Stadt zu gehen, bist du verrückt. Gaballufix ist gefährlich.«
»Das ist er wirklich«, sagte Nafai. »Elja hat recht. Wenn wir gemeinsam gehen, bedeutet ein Scheitern, daß wir alle getötet werden, oder gefangengenommen, oder was weiß ich. Wenn nur einer geht, und er scheitert, könnten die anderen vielleicht trotzdem noch etwas bewirken.«
»Wenn ich scheitere, kehrt ihr zu Vater zurück«, sagte Elemak.
»Ja, klar«, sagte Meb. »Ich bin sicher, wir alle haben uns den Weg gemerkt.«
»Du kannst nicht gehen«, sagte Issib. »Du bist der einzige, der uns zurückführen kann.«
»Ich werde gehen«, sagte Nafai.
»Klar«, sagte Elemak lachend. »Du bist derjenige, der der Herrin Rasa am ähnlichsten sieht. Ich glaube, du begreifst es nicht, Njef – ein Blick auf dich, und Gaballufix wird an die einzige Erniedrigung erinnert, für die er sich niemals rächen konnte, daß Rasa nach zwei Töchtern seinen Vertrag nicht verlängerte und innerhalb einer Woche einen neuen Vertrag mit Vater schloß, den sie noch nicht beendet hat. Wenn du Gaballufix’ Haus allein betrittst, Njef, und niemand in der Stadt weiß davon, ist dein Leben verwirkt.«
»Dann gehe ich«, sagte Mebbekew.
»Du würdest dich nur betrinken oder eine Frau aufgabeln«, sagte Elemak, »und dann zurückkommen und lügen und behaupten, du hättest mit Gaballufix gesprochen, und er habe abgelehnt.«
Mebbekew schien mit der Idee zu spielen, wütend zu werden, überlegte es sich dann jedoch anders. »Vielleicht«, sagte er. »Aber es ist ein besserer Plan als jeder andere, den ich bislang gehört habe.«
»Wie wäre es mit meinem?« sagte Issib. »Ich gehe und frage ihn. Was wird Gaballufix einem Krüppel schon antun?«
Elemak schüttelte den Kopf. »Dich mit bloßen Händen zerreißen, wenn ihm der Kopf danach steht.«
»Und du warst sein Freund?« fragte Mebbekew.
»Bruder. Wir sind Brüder. Weißt du, unsere Brüder können wir uns nicht aussuchen«, sagte Elemak. »Wir müssen uns mit dem zufrieden geben, was wir bekommen haben.«
»Er würde einem Krüppel nichts tun«, wiederholte Issib. »Es würde ihn vor seinen eigenen Leuten beschämen.«
Elemak wußte, daß Issib recht hatte. Der Krüppel mochte die besten Chancen haben, ein Gespräch mit Gaballufix lebend zu überstehen. Das Problem war nur, daß Elemak nicht zulassen konnte, daß Issib oder Nafai mit dem Mann sprachen. Gaballufix würde vielleicht etwas sagen, das Elemak kompromittierte. Nein, Elemak selbst mußte gehen, damit er allein mit Gabja sprechen und vielleicht einige Dinge klarstellen konnte, seinen Bruder überzeugte, daß nicht er Vater vor dem Plan gewarnt hatte, Roptat unter Umständen zu töten, die Wetschik belasten und diskreditieren würden. Wenn Meb, Issja und Njef jemals davon erfuhren, würden sie nicht verstehen, daß dieser Plan auf lange Sicht zu Vaters Bestem war. Wenn sie Vater nicht auf diese Art neutralisierten, würde es vielleicht einmal Vater sein, der unter geheimnisvollen Umständen starb.
»Ich sage euch was«, schlug Elemak vor. »Da wir unterschiedlicher Meinung sind, wer gehen sollte, lassen wir die Überseele entscheiden. Eine alte Tradition – wir ziehen Lose.«
Er griff hinab und hob eine Handvoll Kiesel auf. »Drei helle, ein dunkler.« Doch während er dies sagte, klemmte er einen vierten hellen Stein zwischen zwei Fingern ein. »Der dunkle Stein geht in die Stadt.«
»Na schön«, sagte Meb, und die anderen nickten.
»Ich halte die Steine«, sagte Nafai.
»Niemand hält die Steine, mein lieber, kleiner Junge«, sagte Elemak. »Wir wollen doch niemandem die Gelegenheit zum Betrug geben, oder?« Er griff zu einem Felsvorsprung hinauf, den man von dort, wo sie standen, nicht einsehen konnte, und mischte die vier Steine mit einer Hand durcheinander. »Wenn ich sie gemischt habe, kannst du sie noch einmal mischen, Nafai«, sagte er. »Auf diese Weise gehen wir sicher, daß niemand weiß, welcher Stein welcher ist.«
Nafai trat augenblicklich vor, griff zu dem Felsvorsprung hinauf und mischte die Kiesel. Vier Stück natürlich – Elemak wußte, daß er vier Steine ertasten und zufrieden sein würde. Nafai konnte natürlich nicht wissen, daß der dunkle Kiesel nun zwischen Elemaks Fingern klemmte und alle vier Steine auf dem Vorsprung hell waren.