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»Wenn du die Hand schon da oben hast, Njef, kannst du direkt einen Stein ziehen.«

Nafai, der arme Narr, erwischte einen hellen Stein und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Was hatte er erwartet? Er spielte ein Männer spiel. Keiner dieser Jungen schien zu begreifen, daß ein Mann mit Elemaks Verantwortung sich niemals auf diese Sache eingelassen hätte, wenn er nicht zuvor dafür gesorgt hatte, daß das Ergebnis seinen Wünschen entsprechen würde.

»Jetzt ich«, sagte Issib.

»Nein«, sagte Elemak. »Ich bin dran.« Das war ebenfalls eine Regel des Spiels – Elemak mußte früh ziehen, oder jemand könnte Argwohn schöpfen, die Kiesel überprüfen und herausfinden, daß sich kein dunkler darunter befand. Er griff hinauf, tat so, als würde er die Steine abtasten, und zog dann den dunklen – wobei er den überzähligen hellen aber wieder zwischen die Finger geklemmt hatte. Wenn sie jetzt nachsahen, würden sie nur zwei Steine auf dem Felsvorsprung finden.

»Du hast den Stein ertastet«, sagte Mebbekew.

»Sei doch kein schlechter Verlierer«, sagte Elemak. »Wenn alles gut verläuft, können wir vielleicht alle in die Stadt. Es hängt davon ab, wie Gaballufix reagiert, klar? Und er ist mein Bruder – wenn jemand ihn überreden kann, dann ich.«

»Ganz gleich, was passiert, ich gehe in die Stadt«, sagte Issib. »Ich werde warten, bis du zurückkommst, aber ich kehre nicht zurück, bevor ich nicht in der Stadt war.«

»Issja«, sagte Elemak, »ich kann dir nicht versprechen, daß ich dich innerhalb der Stadtmauern lasse. Aber ich kann dir versprechen, daß du, bevor wir umkehren, nahe genug an die Stadt herankommen wirst, um die Flossen zu benutzen. Einverstanden?«

Issib nickte verdrossen.

»Euer Wort darauf, daß ihr bis zu meiner Rückkehr hier wartet.«

»Und was machen wir, wenn Gaballufix dich tötet?« fragte Meb.

»Das wird er nicht.«

»Was machen wir«, beharrte Meb, »wenn du nicht zurückkommst?«

»Wenn ich bis zur Dämmerung nicht zurück bin«, sagte Elemak, »bin ich entweder tot oder gefangen. Und dann, meine lieben kleinen Brüder, habe ich nicht mehr das Kommando, und dann ist es mir so ziemlich egal, was ihr tut. Geht nach Hause, kehrt zu Vater zurück, oder geht in die Stadt und hurt herum oder verirrt euch oder laßt euch umbringen, für mich spielt das dann keine Rolle mehr. Aber habt keine Angst – ich werde zurückkommen.«

Das gab ihnen jede Menge zum Nachdenken, während er sie den Flußlauf entlang zu einer freien Stelle führte, wo niemand sie so schnell finden würde. »Schaut doch«, sagte Elemak. »Ihr könnt von hier aus die Stadtmauern sehen. Ihr könnt das Hohe Tor sehen.«

»Wirst du durch dieses Tor gehen?« fragte Nafai.

»Auf dem Hinweg«, sagte Elemak. »Auf dem Rückweg werde ich jedes beliebige Tor nehmen, das ich erreichen kann.«

Und damit ließ er sie stehen, schritt kühn davon und wünschte sich, er wäre in Wirklichkeit nur halb so kühn, wie er es ihnen vormachte.

Es war nicht annähernd so schwierig, die Stadt durch das Hohe Tor zu betreten, wie es beim Markttor der Fall gewesen wäre – schließlich gab es dort keinen Goldmarkt zu schützen. Dennoch mußte sich Elemak den Daumen scannen lassen, um seine Bürgerschaft zu beweisen, und damit wußte der Stadtcomputer, daß er sich in Basilika befand. Elemak bezweifelte nicht, daß Gabja – selbst, wenn sein Hauscomputer nicht direkt mit den Stadtcomputern verbunden war, was natürlich illegal gewesen wäre – mit Sicherheit Informanten in der Stadtverwaltung hatte, und falls Gabja auf die Information Wert legte, daß sich Elemak in Basilika befand, würde er sie innerhalb weniger Augenblicke bekommen haben.

Elemak war eigentlich schon sehr erleichtert, nicht von der Wache am Tor verhaftet zu werden; das bedeutete, daß Gaballufix seinen Namen nicht zur direkten Festnahme ausgeschrieben hatte. Oder es bedeutete, daß Gabja in der Stadt noch nicht über so viel Macht verfügte, wie er seinen Freunden und Unterstützern gegenüber prahlerisch behauptete. Vielleicht gehörte es noch nicht zu seinen Befugnissen, den Wachen an den Toren zu befehlen, seine persönlichen Feinde in Haft zu nehmen.

Bin ich sein Feind? dachte Elemak. Sein Bruder, ja. Sein Freund, nein. Des eigenen Vorteils willen eine Zeitlang sein Verbündeter, ja. Wir beide haben in einer engeren Beziehung Vorteile gesehen. Doch wird er mich nun als alten Geschäftskollegen ansehen, der von ihm abgefallen ist, als möglicherweise nützlichen Freund, oder als Verräter, der bestraft werden muß?

Elemak hatte eigentlich direkt zu Gaballufix’ Haus gehen wollen, doch als er sich erst einmal in der Stadt befand, brachte er es nicht über sich. Er trabte vom Hohen Rauchfang zur Bibliotheksstraße und dann über die Tempel- zur Flügelstraße. Sowohl über die Tempel- als auch über die Flügelstraße hätte er zu Gabjas Haus gelangen können, doch mittlerweile zeigte sich Elemak immer besorgter über die zahlreichen Soldaten, denen er begegnete. Es waren wesentlich mehr von ihnen unterwegs als in den Tagen, bevor Vater sie in die Wüste geführt hatte, und obwohl er es sorgsam vermied, sie anzusehen, bereiteten sie ihm ein immer stärkeres Unbehagen. Als er schließlich sah, daß ein Trupp von zwölf Mann auf die Flügelstraße einbog, duckte er sich in einen Türeingang und betrachtete sie dann verstohlen, als sie an ihm vorübergingen.

Augenblicklich begriff er, was mit ihnen nicht stimmte. Sie waren alle identisch – die Gesichter, die Kleidung, die Waffen, alles. »Unmöglich«, flüsterte er. Es konnte einfach nicht so viele identische Menschen auf der Welt an einer Stelle geben. Die uralten Geschichten über das Klonen kamen ihm in den Sinn – Hexen und Hexenmeister, die die Welt beherrschen wollten, indem sie identische Kopien von sich selbst schufen, die sich (zumindest in den Geschichten) unausweichlich gegen ihre Schöpfer wandten und sie töteten. Aber das war die wirkliche Welt, und das waren Gabjas Soldaten; und der hatte vom Klonen genauso wenig Ahnung wie vom Fliegen, und hätte er Klone schaffen können, hätte er sich bestimmt ein besseres Modell als diesen schwer zu beschreibenden, dumm aussehenden Klotz von Mann ausgesucht, der zu Dutzenden durch die Straßen patrouillierte.

»Das ist nur ein Schwindel«, sagte eine Frau.

Elemak befand sich allein auf der Schwelle. Erst, als er auf die Straße trat, sah er die Sprecherin, eine verwahrloste Wilde unbestimmbaren Alters, nackt bis auf die Staub- und Schmutzschichten, die sie bedeckten. Elemak gehörte nicht zu jenen, die die Wilden als Objekte der Begierde sahen, wenngleich sich einige seiner Freunde gelegentlich ihrer beiläufig bedienten, als wären sie Urinale für die Lust. Normalerweise hätte er sie ignoriert, doch sie schien auf seine geflüsterte Bemerkung geantwortet zu haben, und außerdem, mit wem konnte man sicherer sprechen als mit einer anonymen heiligen Frau aus der Wüste?

»Wie machen sie es?« fragte er. »Daß sie alle gleich aussehen, meine ich.«

»Es heißt, es wäre eine alte Theaterkostüm-Technik, die vor tausend Jahren groß in Mode war.«

Sie sprach nicht wie eine Wüstenfrau. »Wie funktioniert es?«

»Ein feines Netz, das man wie einen Mantel trägt. Mit einem Knopf an der Hüfte schaltet man es ein und aus. Es paßt sich automatisch der Helligkeit der Umgebung an – im Sonnenlicht wird es sehr hell, im Mondlicht oder Schatten nicht so sehr. Eine sehr kluge Erfindung.«

Ihre Stimme klang von Satz zu Satz kultivierter.

»Wer bist du?« fragte er.

Sie sah ihm ins Gesicht. »Ich bin die Überseele«, sagte sie. »Und wer bist du, Elemak? Bist du mein Freund oder mein Feind?«