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»Er hätte ihn sich sowieso genommen«, protestierte Nafai.

»Seid ruhig, ihr Narren«, sagte Elemak. »Das ist noch nicht vorbei. Unser Leben ist kein Staubkorn mehr wert – wahrscheinlich warten seine Männer keine fünfzig Meter entfernt, um uns aufzulauern und zu töten. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, uns zu trennen und zu laufen. Bleibt nicht stehen. Und vergeßt nicht – etwas, das Rasa mir heute gesagt hat – vertraut keinem Mann.« Er sagte es erneut und veränderte leicht die Betonung. »Vertraut keinem Mann. Wir treffen uns heute abend an der Stelle, wo die Kamele sind. Jeder, der bei Ende der Morgendämmerung nicht dort ist, muß als tot gelten. Jetzt lauft – aber nicht zu irgendeinem Ort, von dem sie erwarten, daß ihr dort Schutz sucht.«

Damit lief Elemak in nördliche Richtung los. Nach einigen wenigen Schritten drehte er sich um. »Lauft, ihr Narren! Seht doch – sie geben den Attentätern schon Zeichen!«

Nafai hatte ebenfalls gesehen, daß einer der Soldaten auf der Treppe von Gaballufix’ Haus einen Arm gehoben hatte und mit dem anderen auf sie zeigte. »Wie schnell bist du mit diesen Flossen?« fragte er Issib.

»Schneller als du«, antwortete der. »Aber nicht schneller als ein Pulsator.«

»Die Überseele wird uns schützen«, sagte Nafai.

»Na klar«, sagte Issib. »Und jetzt lauf schon, du Narr.«

Nafai zog den Kopf ein und stürzte sich in den dichtesten Teil der Menge. Er war auf der Brunnenstraße hundert Meter in südliche Richtung gelaufen, als er sich umwandte und sah, warum die Leute hinter ihm erstaunt riefen und schrien: Issib hatte sich etwa zwanzig Meter hoch in die Luft erhoben und verschwand gerade über dem Dach des Hauses, das dem Gaballufix’ direkt gegenüber lag. Ich wußte gar nicht, daß er das kann, dachte Nafai.

Als er dann wieder loslief, kam ihm in den Sinn, daß Issib es wahrscheinlich auch nicht gewußt hatte.

»Da ist einer«, sagte eine barsche Stimme. Plötzlich tauchte ein Mann vor ihm auf, eine elektrische Klinge in der Hand. Eine Frau schrie auf; Passanten stoben auseinander. Doch fast ohne zu wissen, daß er es wußte, konnte Nafai die Gegenwart eines Mannes unmittelbar hinter ihm spüren. Wenn er vor der Klinge vor ihm zurückschreckte, würde er dem wirklichen Attentäter hinter ihm direkt in die Arme laufen.

Also sprang Nafai vor. Sein Feind hatte nicht erwartet, von einem unbewaffneten Jungen angegriffen zu werden -der Hieb mit dem Messer ging weit fehl. Nafai rammte dem Mann scharf das Knie zwischen die Beine und stieß ihn zurück. Der Mann schrie. Dann stieß Nafai ihn endgültig aus dem Weg und rannte weiter, ohne zurückzuschauen, sondern nur nach vorn zu sehen, um den Leuten ausweichen zu können und auf den leuchtenden roten Glanz einer weiteren Klinge zu achten – oder den heißen, weißen Strahl eines Pulsators.

13

Flucht

Issja hatte noch nie versucht, mit seinen Flossen so hoch zu steigen. Er wußte, daß sie auf seine Muskelanspannungen reagierten, daß die Schwebeflosse, die er am stärksten drückte, ihre Position in der Luft beibehielt. Doch er hatte immer angenommen, dies sei irgendwie auf den Erdboden direkt unter der Schwebeflosse bezogen. Er lag damit nicht völlig falsch – je höher er stieg, desto mehr neigten die Flossen dazu, nach unten zu ›rutschen‹ –, doch im großen und ganzen stellte er fest, daß er die Luft wie eine Leiter erklimmen konnte, bis er sich auf Dachhöhe befand.

Natürlich sahen alle zu ihm hinauf – aber das hatte er gewollt. Alle beobachten mich und sprechen über den jungen Krüppel, der zum Dach hinauf ›flog‹. Gaballufix’ Soldaten würden es nicht wagen, bei so vielen Zeugen auf ihn zu schießen, zumindest nicht vor der Haustür ihres Anführers.

Er sah sofort, daß sich niemand auf den Dächern befand, und so benutzte er sie als eine Art Straße und schwebte tief zwischen Abzugsöffnungen und Kaminen, Kuppeldächern und Fahrstuhlschächten, Dachfirsten und den Bäumen von Dachgärten. Einmal überraschte er einen alten Mann, der das Mauerwerk eines Giebels reparierte; das scheppernde Geräusch, mit dem ein Dachziegel zerbrach, beunruhigte Issib kurz, doch als er sich umdrehte, sah er, daß der Mann nicht abgestürzt war, sondern Issib mit offenem Mund anstarrte. Wird man sich heute abend eine Geschichte erzählen, fragte sich Issib, über einen jungen Halbgott, den man sah, wie er durch die Luft über Basilika flog, vielleicht, weil er sich in ein sterbliches Mädchen von betörender Schönheit verliebt hatte und unbedingt zu ihr wollte?

Da in dieser Gegend mehrere Straßen überbaut worden waren, war der Häuserblock außergewöhnlich lang. Es gelang ihm, über die Hälfte der Strecke zum Hinteren Tor zurückzulegen, ohne auf die Straßenebene hinab zu müssen. Es bestand natürlich die Möglichkeit, daß Gaballufix Attentäter an allen Stadttoren postiert hatte; und wenn er an irgendeinem Tor einen Hinterhalt gelegt hatte, dann bestimmt am Hinteren Tor, das sich seinem Haus am nächsten befand. Also konnte Issib es sich nicht erlauben, achtlos zu sein, sobald er sich auf der Straßenebene befand.

Doch bevor er die Dächer verließ, warf er einen sehnsuchtsvollen Blick zur roten Stadtmauer. Da er hoch oben schwebte, konnte er die Sonne noch sehen; sie wurde von der Mauer gespalten. Wenn ich einfach über die Mauer fliegen könnte … Doch er wußte, daß die Mauer mit komplizierten elektronischen Vorrichtungen gespickt war, einschließlich der Verteiler, die das Magnetfeld erzeugten, das seinen Flossen Energie lieferte. Hier kam er nicht herüber – der winzige Computer an seinem Gürtel konnte niemals die verwirrenden, entgegengesetzt verlaufenden Energieströme auf der Mauer neutralisieren.

Er erreichte das Ende eines Dachs und sank in die Menge hinab. Hier befand er sich am oberen Ende der Heiligen Straße, wo Männer erlaubt waren. Viele bemerkten natürlich seine Landung, doch als er die Straßenebene erreicht hatte, nahm er sofort eine sitzende Position ein und schwebte mit Kindesgröße durch den Verkehr. Soll ein Attentäter jetzt mal versuchen, mich zu erschießen, dachte er. Nach ein paar Minuten hatte er das Tor erreicht. Die Wächter erkannten seinen Namen in dem Augenblick, da der Daumenscanner ihn zeigte, und sie schlugen ihm auf den Rücken und wünschten ihm alles Gute.

Hier am Hinteren Tor erwartete ihn natürlich keine Wüste, sondern die Ausläufer des Pfadlosen Waldes. Rechts befand sich der dichte Forst, der die Nordseite Basilikas unpassierbar machte; links zerklüftete, mit Bäumen und Büschen bewachsene Flußtäler, die von den gut bewässerten Hügeln zu den ersten öden Felsen der Wüste hinabführten. Für einen normalen Menschen wäre die Strecke ein wahrer Alptraum, außer, er kannte den Weg – wie es bei Elemak bestimmt der Fall war. Für Issib kam es natürlich nur darauf an, den größten Hindernissen auszuweichen und langsam hinabzuschweben, bis die Stadt völlig außer Sicht war. Er richtete sich nach dem Stand der Sonne, bis er auf dem Wüstenplateau war; dann wandte er sich in südliche Richtung, überquerte die Trockene und die Wüsten-Straße, bis er, genau bei Sonnenuntergang, die Stelle erreichte, wo sie seinen Stuhl versteckt hatten.

Er hatte nun den Rand des Magnetfelds der Stadt erreicht, und unbeholfen manövrierte er sich in den Stuhl. Schließlich war alles, was mit dem Stuhl zu tun hatte, unbeholfen und begrenzt. Doch ein paar Vorteile hatte er. Es handelte sich um einen Allzweck-Stuhl für einen Krüppel, der über ein eingebautes Computer-Display verfügte, das mit dem der öffentlichen Hauptbibliothek der Stadt verbunden war und über mehrere verschiedene Interfaces für Menschen mit verschiedenen Behinderungen verfügte. Er konnte sogar gewisse Schlüsselwörter sagen, die der Stuhl verstand; er konnte sogar einigermaßen vernünftig klingende wichtige Begriffe in mehrere Dutzend fremde Sprachen übersetzen. Gäbe es keine Schwebeflossen, wäre der Stuhl wahrscheinlich sein kostbarster Besitz. Aber es gab Schwebeflossen. Wenn er sie trug, war er fast ein normaler Mensch und hatte darüber hinaus noch einige Vorteile. Wenn er sie nicht benutzen konnte, war er ein Krüppel ohne jegliche Vorteile.