»Rasch hat uns betrogen«, sagte Nafai.
Augenblicklich wandten sie sich wieder ihm zu. »Ach ja?« sagte Elemak. »Habe ich dir nicht gesagt, daß ich die Verhandlungen führen werde? Ich hätte den Index für ein Viertel unseres Vermögens bekommen, aber nein, du mußtest ja …«
»Du wolltest aufgeben!« rief Nafai. »Du wolltest gehen!«
Elemak brüllte vor Wut, packte Nafai am Hemd und riß ihn hoch. »Es gehört zum Verhandeln, so zu tun, als wolle man aufgeben, du Narr! Glaubst du, ich hätte nicht gewußt, was ich tat? Ich, der ich in fremden Ländern Handel getrieben und mit nur wenigen Gütern große Gewinne erzielt habe? Warum hast du mir nicht zugestanden, daß ich weiß, was ich tue? Du hast höchstens mal auf dem Markt um ein paar dumme Mjachiken gefeilscht, kleiner Junge!«
»Das habe ich nicht gewußt«, sagte Nafai.
Elemak warf ihn wieder zu Boden. Nafais Ellbogen scheuerten auf, und er prallte so heftig mit dem Kopf gegen einen Stein, daß er aufschrie, ohne es zu wollen.
»Laß ihn in Ruhe, du Feigling«, sagte Issib.
»Du nennst mich einen Feigling?« sagte Elemak.
»Gaballufix hätte uns das Geld abgenommen, ganz gleich, was wir getan hätten. Er hatte Rasch schon auf seine Seite gezogen.«
»Jetzt bist du also der Experte und weißt, was passiert wäre«, sagte Elemak.
»Du sitzt auf deinem Thron und hältst über uns Gericht!« rief Mebbekew. »Was ist denn mit dir, wenn du Nafai für unschuldig hältst? Du hast das Geld doch von Vaters Konten geräumt!«
Nafai stand auf. Ihm gefiel nicht, wie sie Issib bedrohten. Es war eine Sache, wenn sie ihre Wut an ihm ausließen, doch eine ganz andere, wenn sie Issja etwas antun wollten. »Es tut mir leid«, sagte Nafai. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Schuld und damit ihren Zorn auf sich zu nehmen. »Ich habe es nicht begriffen, und ich hätte den Mund halten sollen. Es tut mir leid.«
»Was heißt das schon?« sagte Elemak. »Wie oft hast du schon gesagt, es täte dir leid, und es war zu spät, um noch etwas zu ändern? Du lernst es nie, Nafai. Vater hat es dir nie beigebracht. Sein kleines Baby, der kleine Junge der kostbaren Rasa, der nichts falsch machen kann. Aber es ist an der Zeit, daß du die Lektion lernst, die Vater dir schon vor Jahren hätte beibringen sollen!«
Elemak zog eine Stange aus einem Packgestell, das an der Felswand lehnte. Damit hob man eigentlich schwere Lasten auf den Rücken eines Kamels; sie war biegsam und nicht schrecklich schwer, aber robust und lang. Nafai wußte sofort, was Elemak vorhatte. »Du hast kein Recht, mich anzufassen«, sagte er.
»Nein, niemand hat das Recht, dich anzufassen«, sagte Mebbekew. »Geheiligter Nafai, Vaters Augenstern, nein, niemand darf ihm etwas tun. Aber er darf uns natürlich etwas tun. Er kann unsere Erbschaft verlieren, aber niemand darf ihm eine Abreibung verpassen.«
»Es wäre sowieso niemals deine Erbschaft gewesen«, sagte Nafai zu Mebbekew. »Sie war immer für Elemak bestimmt.« Ein weiterer Gedanke kam ihm in den Sinn, als ihm einfiel, wer das Erbe erhalten hätte. Bevor er ihn aussprach, wußte er, daß es wahrscheinlich nicht besonders klug sein würde, solange Elemak und Mebbekew so wütend auf ihn waren. Aber er sagte es trotzdem. »Wenn es darum geht, was ihr verloren habt, hättet ihr beide sowieso verdient, enterbt zu werden, nachdem ihr euch gegen Vater verschworen habt.«
»Das ist eine Lüge«, sagte Mebbekew.
»Für wie dumm hältst du mich?« sagte Nafai. »Du magst nicht gewußt haben, daß Gaballufix an diesem Morgen Vater töten wollte, aber das er jemanden töten wollte, war dir klar. Was hat Gaballufix dir versprochen, Elemak? Dasselbe, was er Rasch versprochen hat – den Namen und das Vermögen des Wetschik, nachdem Vater in Mißkredit gebracht worden war und seinen Rang verloren hatte?«
Elemak brüllte auf, fiel ihn an und schlug mit der Stange zu. Er war so wütend, daß nur wenige Schläge tatsächlich trafen, aber die waren brutal hart. Nafai hatte noch nie solche Schmerzen gefühlt, nicht, wenn er betete, auch nicht, als seine Füße im siedenden Wasser des Sees gewesen waren. Er landete schließlich bäuchlings auf dem Boden, und Elemak stand über ihm, bereit, erneut zuzuschlagen – wohin, auf seinen Rücken? Oder den Kopf?
»Bitte!« schrie Nafai.
»Lügner!« brüllte Elemak.
»Verräter!« rief Nafai. Er versuchte, auf die Knie zu kommen.
Der Stab senkte sich und warf ihn wieder zu Boden. Er hat mir den Rücken gebrochen, dachte Nafai. Ich bin gelähmt. Ich werde wie Issib sein, als Krüppel den Rest meines Lebens in einem Stuhl sitzen.
Es schien, als habe dieser Gedanke seinen verkrüppelten Bruder Issib aus seiner Lethargie gerissen. Denn als Elemak die Stange erneut hob, brauste Issibs Stuhl vor ihn. Der Stuhl drehte sich dabei – Issib konnte ihn nicht vollständig unter Kontrolle haben –, und der Stab traf Issib am Kopf. Er schrie vor Schmerz auf und verlor vollständig die Kontrolle über den Stuhl, der sich wie verrückt drehte und hin und her fuhr. Das Sicherheitssystem verhinderte, daß er gegen eine Felswand der Schlucht prallte, aber nicht, daß er mit Mebbekew zusammenstieß, und ihn zu Boden warf.
»Halt dich da raus, Issib«, rief Elemak.
»Du Feigling!« rief Nafai. »Vor Gaballufix warst du ein Nichts, aber jetzt kannst du einen Krüppel und einen vierzehnjährigen Jungen verprügeln! Sehr tapfer!«
Erneut drehte sich Elemak von Issib zu Nafai um. »Diesmal bist du zu weit gegangen, Junge«, sagte er. Er schrie nicht, es war eine kältere, tiefere Wut in seiner Stimme. »Ich will das nie wieder hören, hast du verstanden?«
»Schon in Ordnung, Elja«, sagte Nafai. »Du konntest Gaballufix nicht dazu bringen, Vater für dich zu töten, aber wenigstens kannst du mich töten. Komm schon, beweise, was für ein Mann du bist, indem du deinen kleinen Bruder umbringst.«
Nafai hatte gehofft, daß Elemak vor Scham einen Rückzieher machte, er hatte sich jedoch verrechnet. Als Issib an ihm vorbeifuhr, ergriff Elemak einen Arm, zerrte Issib aus dem Stuhl und warf ihn wie ein zerbrochenes Spielzeug zu Boden.
»Nein!« rief Nafai.
Er lief zu Issib, um ihm zu helfen, doch Mebbekew stand zwischen ihnen, und als Nafai nahe genug heran war, warf Mebbekew ihn zu Boden. Nafai kam vor Elemaks Füßen zu liegen.
Elemak hatte den Stab fallen lassen. Als er danach griff, ging Mebbekew zu dem Packgestell und zog einen weiteren heraus. »Machen wir ihn endgültig fertig. Und wenn Issib nicht den Mund halten kann, erledigen wir beide.«
Nafai konnte nicht sagen, ob Elemak ihn gehört hatte oder nicht. Er wußte nur, daß die Stange hinabfuhr und seine Schulter traf. Elemak zielte vor Zorn noch immer nicht besonders gut, doch eins war klar: Er hatte es auf Nafais Kopf abgesehen. Er wollte Nafai umbringen.
Plötzlich erhellte ein blendendes Licht die Schlucht. Nafai hob den Kopf gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, daß Elemak herumwirbelte und versuchte, die Lichtquelle ausfindig zu machen. Es war Issibs Stuhl.
Aber das war unmöglich. Issibs Stuhl verfügte über ein passives Schaltsystem. Wenn man ihm nicht ausdrücklich sagte, was er tun sollte, ging er zu Boden, fuhr die Räder aus und wartete auf Anweisungen. Genau das hatte er in dem Augenblick getan, da Elemak Issib zu Boden geworfen hatte.
»Was ist da los?« fragte Mebbekew.
»Was ist da los?« sagte die mechanische Stimme des Stuhls.
»Du mußt hinüber sein«, sagte Mebbekew.
»Nicht ich bin hinüber«, sagte der Stuhl. »Glaube und Vertrauen sind hinüber. Die Bruderschaft ist zerbrochen. Ehre und Gesetz und Anstand sind zerstört. Das Mitgefühl ist zerrüttet. Aber nicht ich.«
»Schalte das ab, Issja«, sagte Mebbekew.