»Glaubst du, du wirst Gelegenheit haben, dich einem Mann zu unterwerfen?« fragte ich. »Hast du geübt, dir das Kleid von den Brüsten zu reißen, oder die Worte einstudiert, mit denen du bettelst verschont zu werden?«
»Sleen!« sagte die Wärterin.
»Wie ich sehe, hast du geübt, edle freie Frau«, sagte ich.
»Sleen!« rief sie.
Lady Claudia lachte fröhlich.
»Lach ruhig«, sagte die Wärterin. »Aber ich will dir sagen, warum ich gekommen bin. Du, Lady Claudia, Verräterin und Schlampe, bist von Aemilianus verurteilt worden. Morgen mittag wird man dich auf der Mauer pfählen – als Akt der Verachtung!«
Lady Claudia erbleichte.
»Und was dich angeht«, fuhr die Wärterin fort, »weiß ich nicht, was aus dir wird. Aus irgendeinem Grund scheint Aemilianus bei dir mit seinem Urteil zu zögern.« Die Klappe schloß sich mit einem Ruck.
Ich fing Claudia auf, damit sie nicht fiel.
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Geht das Pfählen schnell?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich kann mich nicht bewegen.«
Ich hob sie hoch und legte sie ganz sanft ins Stroh.
Es überraschte mich nicht, daß Aemilianus nicht genau wußte, was er mit mir anstellen sollte. Aus seiner Sicht war mein Fall nicht ganz eindeutig. Warum zum Beispiel hatte man mich nicht sofort in Ar erledigt, wenn man mich für einen überführten Spion hielt? Und dann waren da die Dokumente in der Kuriertasche gewesen. Handelte es sich tatsächlich um eine Fälschung, die in der Absicht angefertigt worden war, Ar-Station zur Aufgabe zu bewegen? Wenn dies der Fall war, warum hatte man die Fälschung dann nicht echter aussehen lassen, sie zum Beispiel kodiert, um ihren Inhalt erst nach einiger Mühe in Erfahrung bringen zu können? Und warum sollte ein dem ersten Anschein nach echter Bericht Informationen enthalten, die dem Befehlsstab von Ar-Station auf jeden Fall militärisch unglaubhaft, ja sogar lächerlich vorkommen mußten?
Allein die Vorstellung, Ar könnte ein so großes Heer im Norden stationiert haben, weit weg vom Feind! Nein, Aemilianus war kein Narr, gleichgültig, wie erschöpft und verwirrt er auch sein mochte. Zweifellos war ihm der Verdacht gekommen, daß der Bericht die Wahrheit verkündete. Tage waren verstrichen, und das ersehnte Entsatzheer aus Ar, der Vorstoß, den er für den Anlaß einer solch verzweifelten und lächerlichen List gehalten hatte, war nicht eingetroffen.
»Es ist schrecklich schmerzhaft, gepfählt zu werden, nicht wahr?« fragte Claudia.
»Es kommt darauf an, wie es gemacht wird«, sagte ich ausweichend.
»Ich bin eine Verräterin.«
»Das warst du einmal. Jetzt bist du es nicht mehr.«
»Ich habe Angst.«
Ich küßte sie sanft. Ich wünschte mir, ich hätte etwas gehabt, um sie zuzudecken.
»Es ist hoffnungslos.«
»Hoffnung gibt es immer«, sagte ich. »Draußen ist es ganz still geworden.«
»Und?«
»Schon seit einiger Zeit sind keine Gebäude mehr eingestürzt. Die Stadt ist in cosischer Hand. Nichts kann sie davon abhalten, die Fundamente zu unterminieren, die Häuser anzustecken und Pfade durch die Trümmer zu bahnen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das Belagerungsgerät befindet sich vermutlich an Ort und Stelle. Ich rechne damit, daß sie morgen früh mit dem Angriff beginnen.«
Sie sah mich ängstlich an.
»Ich werde dich so gut verteidigen wie möglich«, versprach ich ihr. »Sie werden in die Zelle kommen müssen, um dich zu holen.« Ich nahm sie in den Arm.
»Darum haben sie mir zu essen gegeben, nicht wahr?« fragte sie. »Damit ich morgen noch lebe?«
»Vermutlich.«
Sie schluchzte, ich spürte ihre Tränen auf der Brust. Das Mondlicht strömte durch die hohe, vergitterte Fensteröffnung. Draußen herrschte Stille. Ich hielt sie weiter in den Armen, meine nackte Spionin, dort im Stroh.
14
»Sie werden mich noch vor Mittag holen«, flüsterte sie.
In der Zelle war es noch dunkel.
»Ich weiß«, sagte ich. Vor ein paar Ehn hatte man etwas zu essen in die Zelle geschoben. »Bring mir den Topf.«
»Natürlich«, sagte sie bitter. Sie drehte sich um und kroch zu dem Topf. Dann stand sie auf und kam langsam zurück.
»Warum wollen sie nicht bis zum Mittag warten?« fragte sie traurig.
Die Wärterin hatte es ihr gesagt.
»Es ist ein gutes Zeichen«, sagte ich. »Es ist sogar ein sehr gutes Zeichen.« Ich erklärte es ihr nicht, aber aus dieser unverfänglichen Bemerkung konnte ich die Lage der Verteidiger schließen, die Zahl, die Position der Cosianer und die Bedrohung ihrer Belagerungsmaschinen.
»Ich verstehe nicht.«
»Wir befinden uns doch auf der Stadtseite der Zitadelle, nicht wahr?«
»Ja.« Obwohl man uns mit verbundenen Augen in die Zelle gebracht hatte, war es nicht schwer gewesen, dies in Erfahrung zu bringen. Aus den Mustern, die das durch das Fenster einfallende Sonnenlicht auf dem Boden zeichnete, war ersichtlich geworden, daß die Zelle nach Süden hinausführte, also in Richtung Stadt. Noch offensichtlicher war, daß wir die Geräusche aus der Stadt hören konnten, nicht die vom Hafen.
»Das ist es.«
Claudia sah mich verständnislos an.
»Es ist möglich, daß die Cosianer bald eine viel größere Gefahr für dich sind als deine ehemaligen Nachbarn aus Ar-Station.«
»Du machst Scherze.«
»Darum wollen sie nicht mehr bis Mittag warten.«
»Wieso?«
»Ich glaube nicht einmal, daß die Zitadelle bis zum Mittag zu halten ist.«
»Das ist absurd«, sagte sie. »Sie ist uneinnehmbar.«
»Nein«, sagte ich. »Die Verteidiger sind erschöpft und halb verhungert. Die Gebäude rings um die Zitadelle sind niedergerissen worden. Die Katapulte können aus nächster Nähe schießen. Die ganze Macht, die Cos im Norden versammelt hat, wird sich auf einen kleinen Funkt konzentrieren. Die Zitadelle.«
»Was wird geschehen?«
»Man hat die Frauen und Kinder vermutlich bereits alle auf die Hafenseite der Zitadelle gebracht.«
»Was wird geschehen?« fragte sie erneut.
»Sie werden die Zitadelle einnehmen. Die Cosianer werden mit Feuer und Schwert kommen. Zivilisten, Soldaten und alle anderen, die noch übrig sind, werden gezwungen sein, sich in den Hafen zurückzuziehen. Bis man sie noch weiter zurücktreibt. Ich fürchte, im Hafen wird es zu einem blutigen Gemetzel kommen. Nur wenige werden fliehen können.«
»Aber man wird doch bestimmt eine Übergabe aushandeln«, meinte sie.
»Die Cosianer haben lange für Ar-Station gekämpft«, sagte ich. »Zweifellos haben sie nicht mit dem Widerstand gerechnet, den man ihnen entgegengebracht hat. Sie haben große Verluste erlitten. Ihre Geduld ist am Ende.«
»Es ist meine Schuld«, sagte sie niedergeschlagen. »Es wäre besser gewesen, ich wäre vorher schon das gewesen, was ich nun bin, eine Sklavin.«
»Es ist nicht deine Schuld. Ich bezweifle, daß deine lächerlichen Informationen überhaupt einen Unterschied gemacht haben. Die Schuld trägt Ar.«
»Aber ich bin schuldig!« beharrte sie.
»Ja«, sagte ich, »aber diese Strafe ist nicht angebracht,« Ich wandte mich dem Topf zu. »Man hat dir viel gebracht, sogar Fleisch. Ich bezweifle, daß die Männer draußen auf den Brustwehren oder am Tor so gut gefrühstückt haben.«
»Aber du berührst es ja nur mit den Lippen.«
»Ich schmecke nur.«
»Warum?«
»Es wäre möglich gewesen, daß sie etwas ins Essen getan hätten, ein Schmerzmittel, um es dir leichter zu machen. Aber das haben sie nicht getan. Anscheinend stimmt es, was unsere liebreizende Wärterin eben gesagt hat. Sie wollen sehen, wie du dich auf dem Speer windest.«
Claudia erbebte.
Ich griff zu und fühlte, wie neue Kräfte meinen Körper durchströmten. So gut hatte ich seit Tagen nicht gegessen. Ich ließ mir von meinem Mädchen auch Wasser bringen.
»Das war gut«, sagte ich.
»Wie kannst du zu einem solchen Zeitpunkt etwas essen?« fragte Claudia.
»Du darfst die Hoffnung nicht verlieren.«
»Ich bin eine nackte Frau«, erwiderte sie. »Männer können mit mir machen, was sie wollen.«