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Ich kehrte zur Zitadelle zurück. Nur noch wenige Cosianer kletterten an den Seilen in die Tiefe. Vermutlich konnte man von der Brustwehr aus deutlicher sehen, wie die Angreifer mit jedem Hieb weiter vordrangen. Wenn sie die Brücke erreichten, würde dieser Fluchtweg endgültig versperrt sein. Das wollte ich mit allen Mitteln verhindern. Es lag mir nichts daran, die Kaimauer zu halten. Mein Hauptziel lag darin, alle zu evakuieren und auf den Pier zu schaffen. Sobald die Evakuierung abgeschlossen war, wollte ich die Brücke sperren. Ich griff mir zwei Soldaten und erteilte ihnen Befehle. Ich gab den Kai auf. Der erste lief zur linken Seite, sein Kamerad zur rechten. Zwei Reihen aus Männern mit Schilden bildeten sich. Diese Reihen nahmen ihren Anfang am Schlachtfeld vor dem Tor und endeten fast vierzig Meter hinter dem Brückenanfang.

Die Männer kauerten sich hinter ihren Schilden zusammen, die Schilde der Zitadelle zugewandt, und schufen eine offene Gasse, in Anbetracht der geringen Anzahl der Männer eine zwar spärliche, lückenhafte Deckung, aber besser als gar keine. Ein paar der Verteidiger in der Nähe der Mauer drängten die Frauen und Kinder, die Schildgasse geduckt entlangzulaufen und sich in Sicherheit zu bringen. Viele taten es auch. Ich sah, daß die Frau mit dem Kind, das sie noch immer mit ihrem Umhang schützte, von Schild zu Schild rannte. Andere Frauen weigerten sich, aus Furcht oder Klugheit, an diesem gefährlichen Lauf teilzunehmen. Einige von ihnen schauten furchtsam zur Brustwehr hoch, dann nahmen sie die Schleier ab, schlugen die Kapuzen zurück und legten die Hände an die Kragen ihrer Gewänder.

Eine Frau sank neben mir auf die Knie und klammerte sich an meinen Beinen fest. Ich sah sie wütend an und erkannte sie. Es war Claudia, die noch immer das Lumpenkostüm der Lady Publia trug. Eine freie Frau in einem Gewand der Verhüllung spuckte sie im Vorbeigehen an. »Sklavin!« stieß sie hervor. Lady Claudia hielt mich nur noch fester umklammert und sah zu mir hoch. Ich schob sie mit dem Fuß in Richtung Zitadelle. »Verräterin!« sagte ich. Sie kroch zu mir zurück, schob den Schleier beiseite und drückte mir die Lippen auf den Fuß. »Zum Pier«, sagte ich. Sie sprang schluchzend auf und floh zur Brücke.

Jetzt, wo vor der Mauer nicht mehr mit Gegenwehr zu rechnen war, kletterten Cosianer nach unten. Mit einiger Erleichterung sah ich, wie kleine Boote vom Pier ablegten, die offenbar mit Fischern und anderen Männern, die es bis dorthin geschafft hatten, bemannt waren, und auf die Brücke zuhielten. Es gab für mich keinen Zweifel, daß Aemilianus den Befehl dazu gegeben hatte. Er hoffte vermutlich, daß sie bei der Evakuierung helfen konnten. Bei dem Beschuß erforderte es großen Mut, sich auf die Kaimauer zu wagen. Unübersehbar waren auch die Rückenflossen der Haie, die sich am Ufer und an der Brücke drängten. Es waren so viele, daß sie scheinbar eine feste Oberfläche bildeten, die begehbar aussah. Und doch wäre mir nicht im Traum eingefallen, auch nur einen Fuß auf diese unsichere, sich ständig bewegende Fläche zu setzen. Das Wasser in Ufernähe schäumte unter ihren ungestümen Bewegungen. Ich glaube, sie fielen fast genauso oft übereinander her wie über die Menschen, die im Wasser landeten.

Ich sah mehr als nur eine Frau, die von der Brücke ins Hafenbecken stürzte und schreiend nach einem der Holzpfähle griff, um sich in Sicherheit zu bringen. Barfüßige Sklavinnen in ihren knappen Kleidern hatten sich unter die freien Frauen gemischt, die im Schutz der Schilde auf den Pier zueilten. Unter ihnen fiel mir eine nackte Frau ins Auge, deren Kopf in einer Haube steckte, die aus einer Männertunika gefertigt worden war. Eine freie Frau zog sie an der Leine um ihren Hals hinter sich her. Ich erkannte sie wieder. Es war die einstige Lady Publia.

Ich hatte den Eindruck, als hätten die Frauen, die den Mut oder den Willen hatten, sich auf die Brücke zu begeben, es mittlerweile getan. Das war auch gut so, denn die Verteidiger wurden zurückgedrängt und hatten die Brücke fast erreicht. Mehr als ein Hai schnellte aus dem Wasser. Die Cosianer setzten nach. Immer mehr von ihnen kamen aus dem Tor oder rutschten die Seile hinunter. Ich gab neue Befehle und schickte Soldaten los, um sie zu überbringen. Die beiden Reihen, die den Frauen und Kindern einen gewissen Schutz gegeben hatten, lösten sich auf, und die Männer zogen sich zurück, um die Flanken zu schützen. Ich stellte mich an den Rand der Brücke und schickte bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Mann nach dem anderen in Richtung Pier. Die meisten von ihnen schützten sich mit ihren Schilden und marschierten in zwei Reihen an den Männern vorbei, die noch immer ihre Stellung zu beiden Seiten der Brücke hielten. Der Strom der Zurückweichenden wurde immer dünner, während die Cosianer rasch näher kamen.

Ich harrte aus, während die Männer von Ar-Station an mir vorbeigingen. Die ganze Zeit über hatte ich mich hinter dem Kampfgeschehen aufgehalten und Befehle erteilt. Jetzt trennten mich nur noch zwei Reihen vom Feind. In der Nähe der Zitadelle ertönten Schreie. Einige der nachrückenden Cosianer hielten sich vom Kampf fern und beschäftigten sich mit den Frauen. »Sie nehmen sich die Frauen!« rief ein Söldner. Er drehte sich um und lief zurück, und ein paar Männer schlossen sich ihm an. Der Angriff geriet einen Augenblick lang ins Stocken. Ich ergriff die Gelegenheit, um weitere Männer nach hinten zu schicken. Darin zog ich mich selbst drei Meter zurück. Schreie ertönten, als die Frauen ergriffen und versklavt wurden. Wieder zögerten die Cosianer. »Sie nehmen sich die Frauen«, rief ich ihnen zu, »und zwar die Leute, die ihre Schwerter nicht einmal blankgezogen haben!«

»Vorwärts!« trieb ein cosischer Offizier die Männer an. »Vorwärts!«

»Ihr bekommt keine Sklavinnen mehr ab!«

»Auf der Pier sind genug Sklavinnen für alle!« rief der Offizier.

»Seht nur, wie sie sich ausziehen, wie eilig sie es haben, versklavt zu werden!« rief ich.

Einige Soldaten in den hinteren Reihen drehten sich um. Ich beorderte weitere Männer zurück.

»Sie sind hübsch«, rief ich. »Sie betteln förmlich um einen Nasenring!«

Es stimmte, viele der Frauen hatten sich die Kleider vom Leib gerissen und knieten nun, einige mit gefalteten, andere mit ausgestreckten Händen, in verschiedenen Posen der Unterwerfung. Zwischen ihnen gingen Männer umher, manche mit blutigen Schwertern. Handgelenke wurden gefesselt.

»Ihr verliert eure Sklavinnen!« rief ich erneut.

»Sie werden später verteilt!« rief der Offizier seinen Männern zu.

»An wen denn?« höhnte ich. »An euch Männer, die an vorderster Front schwitzen, oder an die Händler und Offiziere? Wer sagt euch denn, daß ihr überhaupt welche bekommt? Und wenn ja, habt ihr wirklich die freie Auswahl? Könnt ihr aus den schönsten auswählen? Was ist mit den Hunderten von Frauen, die bereits nach Brundisium und Cos und Tyros unterwegs sind? Hat man die etwa verteilt? Ich glaube, ihr werdet bei Lagerauktionen für den kümmerlichen Rest bieten müssen! War das nicht schon früher so? Ihr kämpft jetzt für Cos, nicht für eine freie Abteilung, deren Hauptmann in eurem Sinne handelt, der dafür sorgt, daß die Schönheiten ein Teil eures Lohns werden!«

»Er sagt die Wahrheit!« grollte ein Mann und zog sich zurück.

»Vorwärts!« brüllte der Offizier.

»Nehmt sie euch, solange ihr die Möglichkeit dazu habt. Sie warten auf euch vor der Zitadelle!«

»Hört nicht auf ihn!« rief der Offizier.

»O weh!« sagte ich. »Diejenigen, die nicht einmal gekämpft haben, nähern sich ihnen schon!«

Die Söldner verharrten unentschlossen.

Nur noch wenige Armbrustbolzen bohrten sich in die Brücke, da die Schützen auf der Brustwehr befürchten mußten, die eigenen Leute zu treffen.

Weitere Schreie ertönten.

»Vorwärts!« rief der Offizier.

Jetzt hörte man auch auf der Brücke das Wimmern und den Protest der Schönheiten, die gefesselt wurden.