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»Halt!« befahl ich den anrückenden Cosianern.

Verblüfft blieben sie stehen.

Der Mann, dessen Bein ich aufgeschlitzt hatte, hinkte mühsam zu. seinen Kameraden zurück. Blut strömte über sein Knie und die Riemen seiner stiefelähnlichen Sandalen. Sein Rückzug ließ sich anhand der Blutspur auf der Brücke zurückverfolgen.

Ich legte den Schild auf dem Boden ab und streckte dem Burschen im Wasser die Hand entgegen. Es waren weniger Fische als vorhin da, aber es war unwahrscheinlich, daß er noch lange dort allein herumplanschte. Unter ihm waren bereits zwei dunkle Schatten zu sehen.

»Bleibt stehen«, befahl der Offizier.

Der Mann im Wasser, der fast gelähmt vor Angst war und dessen Augen förmlich hervorquollen, packte meine Hand, und ich zog ihn auf die Brücke. Er blieb am ganzen Leib zitternd auf den nassen Bohlen liegen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß mir so etwas vor einer Ahn gelungen wäre. Da wäre er schon längst in einem Rachen eines Besuchers aus dem Fluß, der von dem Blut im Wasser angelockt worden war, verschwunden gewesen.

Ich trat zurück und sah die Cosianer an.

Der Offizier hob sein Schwert und salutierte. Ich erwiderte den Salut. Seine Männer hämmerten mit den Schwertern auf ihre Schilde. Ich nahm auch ihre Ehrenbezeugung zur Kenntnis.

»Bei meiner Autorität und auf eigene Gefahr, nämlich mein Leben gegen deines, sollte meine Handlung Aristimenes mißfallen, biete ich dir erneut das Gold von Cos!« sagte der Offizier.

Ich schob das Schwert in die Scheide. »Ich nehme heute keinen Sold an«, sagte ich.

»Senkt die Speere«, befahl der Offizier. »Schwertkämpfer, an die Flanken.«

Da drehte ich mich plötzlich um und lief ans Ende der Brücke. Ich stieß mich ab und sprang auf das zur Hälfte untergetauchte Brückenteil. Es sank in die Tiefe, aber dann hob es sich wieder. Einen Moment später drängten sich die Cosianer an dem zersplitterten Ende. Wie erwartet verspürte keiner von ihnen Lust, den Sprung nachzumachen. Ich hatte einen Vorsprung gehabt und gewußt, wo das Trümmerstück im Wasser trieb. Keiner von ihnen würde mir nachspringen. Falls es doch einer versuchte und es bis hierher schaffte, erwartete ich ihn mit gezogenem Schwert. Meine Füße standen im Wasser. Die Kraft meines Sprungs hatte das Brückenfragment noch weiter in den Hafen getragen, in Richtung Pier. Die Cosianer und ich starrten einander an. Einige hoben die Waffen zum Salut. Ich hob die Hand. Das war wohl einer dieser seltsamen Augenblicke, die es manchmal im Krieg gibt, wenn die Rose der Ritterlichkeit einem Boden aus Gefahr und Blut entsprießt. Plötzlich schoß ein großer Hai aus dem Wasser und blieb zur Hälfte auf dem Trümmerstück liegen. Ich stieß ihn mit dem Fuß zurück. Ein paar kleine Boote voller Schützen legten vom Kai ab. Aber dann sah ich, daß die Ruderer verharrten. Auf einmal war das Brückenstück von kleinen Booten umringt, die von der anderen Seite kamen. In einem sah ich den jungen Armbrustschützen. Es wurden keine Schüsse abgegeben. Ich stieg in ein Boot. Dann drehten wir um und ruderten langsam zu dem Pier.

20

Ich stieg aus dem Boot und betrat den Pier.

Männer hoben die Waffen und salutierten.

»Komm mit«, sagte ein Soldat.

Ich ging an Reihen von Verwundeten vorbei. Bei ihnen befand sich auch Marsias, der Krieger, der auf der Brücke an meiner Seite gekämpft hatte, und viele Frauen und Kinder.

Schließlich stand ich vor Aemilianus.

»Ihr habt die Brücke gut gehalten, du und die anderen«, sagte er. Der Kommandant saß auf dem Boden, angelehnt an ein paar Kisten. Der lange Pier bildete die Grenze zwischen dem inneren Hafenbecken, das bis zur Kaimauer vor der Zitadelle reichte, und dem äußeren Hafenbecken, das in den Fluß führte. Der Außenhafen war ein paar hundert Meter weiter durch Flöße und fünf cosische Galeeren blockiert.

»Die hier« – er zeigte in die Runde – »wären jetzt alle tot, hättet ihr nicht so gehandelt.«

Ich ließ den Blick über den Innenhafen und den Rest der Brücke schweifen. »Dort weht nun die Flagge von Cos«, sagte ich.

»Du hast sie solange gehalten, wie es nötig war«, sagte Aemilianus. »Solange, wie wir brauchten, um den Weg zum Pier zu versperren.«

Ich fand es bemerkenswert, daß sich die Cosianer die Mühe machten, ihre Flagge am Ende der zerstörten Brücke aufzupflanzen. Anscheinend hatten wir dafür gesorgt, daß sie ihnen etwas bedeutete.

Ich warf auch einen Blick auf die Zitadelle und die Stadt. Die Zitadelle brannte. Auch in der Stadt brannten noch Feuer, selbst nach all diesen Tagen.

»Du bist nicht Marsias«, sagte ein Soldat. Ich erkannte ihn wieder. Es war Caledonius. »Wer bist du?«

»Ar-Station gibt es nicht mehr«, sagte ich zu Aemilianus.

»Doch. Seinen Heimstein gibt es noch immer.«

»Er wurde aus der Stadt gebracht?«

»Ja. Er wurde vor Wochen aus der Stadt gebracht und nach Süden geschickt, nach Ar, wo er mittlerweile eingetroffen sein müßte, wenn alles nach Plan verlief.«

»Schon vor so langer Zeit hattest du die Hoffnung auf das Entsatzheer aus Ar aufgegeben?« fragte ich.

»Ich hatte recht«, erwiderte er verbittert.

Ich nickte. Es ist unmöglich, die Belagerung einer Stadt wie Ar-Station geheimzuhalten. Es war eine der größten Hafenstädte am Vosk. Außerdem kann jeder einen Kalender lesen.

»Du hast dir nichts anmerken lassen«, sagte ich.

»Und was hättest du an meiner Stelle getan, als Kommandant von Ar-Station?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Vermutlich das gleiche.«

»Und obwohl ich die Hoffnung nicht aufgab, wollte ich den Heimstein nicht gefährden. Darum schickte ich ihn südwärts.«

»Mit einem Tarnsmann?«

»Nein«, antwortete er. »Cos beherrscht den Himmel. Ich schickte ihn im Wagen eines Kaufmannes nach Süden, eines gewissen Septimus Entrates.«

»Unter den zahllosen Wagen und Karren mit Flüchtlingen, die nach Süden unterwegs waren, dürfte er kaum aufgefallen sein«, meinte ich.

»Das hoffe ich«, sagte Aemilianus.

Irgendwie hatte der Name Septimus Entrates einen vertrauten Klang. Andererseits hört man im Laufe der Zeit Tausende von Namen.

»Cos trifft Vorbereitungen zum Angriff«, meldete ein Krieger.

»Von beiden Seiten?« fragte Aemilianus.

»Es hat den Anschein«, sagte der Bote. »Die Kette der Flöße wurde an drei Stellen geöffnet. Die Schiffe von Cos fahren in diesem Augenblick in den Hafen ein. Auf dem Fluß sind noch weitere Flöße zu sehen. Außerdem legen Boote und Flöße vom Kai ab.«

»Die Cosianer werden von den Booten und Flößen einen Feuersturm herüberschicken«, prophezeite Aemilianus düster. »Der Himmel wird sich verdunkeln mit ihren Peilen und Bolzen. Benutzt die Körper der Toten und Verwundeten als Schilde.« Er befahl ihnen nicht, Planken aus der Pier zu reißen, um damit notdürftige Barrikaden zu errichten. Vielleicht war das später möglich, doch jetzt hätten wir damit den Boden vernichtet auf dem wir standen, so viele Menschen drängten sich hier. Es würde sogar schwierig sein, die Waffen einzusetzen; eigentlich war nur genügend Platz da, um zuzustoßen. »Wenn die Cosianer den Pier stürmen«, fuhr Aemilianus fort, »wird sich der Rest von uns ihnen entgegenstellen und sie für jede Planke bezahlen lassen, die sie überschreiten. Tragt mich nun auf die andere Seite, an den Innenhafen.«

»Aber du bist verwundet«, sagte sein Adjutant.

»Natürlich, du Narr«, stieß Aemilianus wütend hervor. »Was denkst du dir? Glaubst du, ich würde einen Befehl geben, dem ich selbst nicht gehorchen würde? Mein verwundeter Körper wird beim Kampf als Schild dienen. Nur dazu ist er noch zu gebrauchen.«

»Wir brauchen Aemilianus, unseren Kommandanten«, sagte Caledonius. »Keinen Körper für einen Schild.«

Aemilianus versuchte wütend, auf die Beine zu kommen. Eine frische, helle Blutspur sickerte unter dem Verband um seinen Leib hervor. Er sank zurück in die sitzende Position. »Surilius«, sagte er zu seinem Adjutanten. »Das Schwert. Benutze es jetzt. Dann hat der Streit um Körper und Schilde ein Ende.«