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»Das Meer wird heiß! Eine riesige, heiße Fischsuppe, in der wir untergehen!«

»Lasst ein Weinfass hinunter!«, schrie der Kapitän.

Zwei Matrosen folgten mutlos dem Befehl. Als sie das Fass gefüllt wieder emporzogen, tauchte der Steuermann seine Hand hinein. »Es ist nichts als kalte Gischt! Das Meer kocht hier ebenso wenig wie vor Le Grau du Roi oder an der Küste von Menorca.«

»Aber wo sind die Riffe, die diese Gischt hervorrufen? Wir haben die Riffe südwestlich der Balearen lange hinter uns gelassen!«

Henri versuchte, die Männer zu beruhigen. Er zwang sich zu einem heiteren Lachen und legte dem Steuermann den Arm um die Schultern. »Verdammte See mit ihren billigen Tricks!«

Die Fahrt ging weiter. Eine neue Nacht brach herein. Mond und Sterne waren nicht mehr zu sehen. Und wieder ging am nächsten Morgen an einem jetzt klaren Himmel die Sonne auf.

Der Bleimann senkte sein Lot. Drei Faden Tiefe! Hier habt ihr eure neuen Riffe, dachte Henri schaudernd. Untiefen, so weit draußen auf dem Meer! Sie drohten die Karavelle mit scharfen Felsenmessern aufzuschneiden wie einen Fischleib.

Zweihundert Meter weiter fand das Lot plötzlich keinen Grund mehr.

Der Sturm, launisch wie eine Schöne von den Landgütern des französischen Königs, nahm zu und wieder ab. Henri de Roslin sah zum Segel auf. Es war noch wie zu einer flotten Fahrt gefüllt. Bald darauf, als wäre nichts geschehen, glitt das Schiff ruhig dahin. Aus Backbord voraus streichelten eine matte Brise und eine unsichtbare Strömung das Schiff. Kapitän Del Bosque gab den Befehclass="underline" »Dicht am Wind gebrasst! 60 Grad heran!«

Das Schiff drehte plötzlich, wie von einer unsichtbaren Hand herumgerissen, auf Kurs Westen. Langsam glitt es in einer Flut dahin. Vor ihnen kam Dunst auf. Darin sahen sie, noch verschwommen, die Umrisse einer lang gestreckten Küstenlinie. Sandige Klippen lösten sich mit gelben und roten Umrissen aus dem Nebel.

Ist das wirklich die spanische Küste, dachte Henri, oder sind wir zu weit abgetrieben? Und wäre es wirklich so schlimm, wenn wir ins Nichts führen, immer weiter weg von verräterischen Päpsten und grausamen Königen, von Anklägern, die falsches Zeugnis reden, von Machtgier und gefüllten Folterkellern?

Und das vor uns – wird es böses Wasser sein?

Der Kapitän gab weitere Befehle aus. Je näher sie der Küste kamen, desto mehr nahm der Wind ab. Es wurde ganz heiß und still. Zum Rauschen der Wellen kam jetzt das Rauschen in den eigenen Ohren. Noch wagte niemand etwas zu sagen. Es konnte alles ein Trugbild sein, das die bösen Geister dieses Ortes malten. Vielleicht gehörte die Täuschung zum Szenario des Abgrunds wie eine Fata Morgana, von der die spanischen Mauren berichteten.

Der Schiffsbug schnitt eine scharfe Kontur in die milchige Luft. In den Wanten seufzte der Wind, von Land her flogen plötzlich drei Bartgeier heran und ließen sich auf dem Ausguck nieder. Sie starrten mit ausdruckslosen Augen auf die Männer herab. Zwei Matrosen hielten den Anblick nicht aus, sie liefen nach Achtern, schleppten eine plumpe Armbrust heran und feuerten. Als der Pfeil knapp an den Geiern vorbeizog, torkelten ein paar schwarzweiße Federn auf Deck, und die Geier waren fort.

Die Matrosen am Vorschiff legten ihre Hände über die Augen, um genauer zu sehen. Als sie der Küste näher kamen, sahen sie, dass sie flach wurde. Nach Süden hin schimmerte blendend weißer Sand in der Sonnenglut. Es gab kein Kap, keine Felsen, keine Riffe, nur gleichförmigen Sand, den der Wind zu Kaskaden aufwirbelte und über den Strand verteilte.

Die Männer suchten den Blick ihres Kapitäns. Wo waren sie? War das Spanien oder ein verräterisches Trugbild? Was zeigten die Instrumente an? Keine Stadt und kein Hafen in Sicht. War man in eines der feindlichen maurischen Länder an der afrikanischen Küste abgedriftet, die man in der schon viel zu lange währenden Reconquista bekämpfte?

Die Karavelle blieb auf Kurs. Mit aller Vorsicht näherte sich das Schiff der Küste.

Der feine Wüstenstaub, der vom Ufer herangetrieben wurde, legte sich unangenehm auf die schwitzenden Körper. Die Männer husteten und fluchten. Del Bosque gab Befehl, sich Halstücher vor Mund und Nase zu binden. Die Glut von der Küste her schlug ihnen entgegen, als würde urplötzlich die Tür eines Brennofens geöffnet. Wie ein Fieber hauchte etwas zu ihnen herüber. Und der Sommer hatte gerade erst begonnen!

Der Steuermann suchte eine Bucht. In einhundert Metern Abstand zum Ufer ließ er Anker werfen. Man bestimmte ein halbes Dutzend Männer, die sich bewaffneten. In einer schlanken Pinasse wurde der kleine Fußtrupp, der die Umgebung erkunden sollte, von den Matrosen, die als Wächter an Land bleiben sollten, hinübergerudert.

Am Morgen des zwölften Tages auf See setzten die Männer ihre Stiefel auf Sand, der sich nach drei Seiten bis zum Horizont erstreckte. Es war so weiß, dass sie die Augen schließen mussten.

»Wir wollten dem Unheil in unserem Heimatland entkommen. Aber hier ist es nur noch schlimmer!«

Der Matrose blickte Henri so treuherzig an, dass dieser ihm begütigend die Hand auf die Schulter legte. »Aber hier«, sagte er, »regieren keine falschen und untreuen Vorgesetzten, die uns verraten, sondern nur die Natur. Nattern, Sand und Hitze können wir bezwingen.«

Man hatte einen Tag und eine Nacht lang gewartet, die ausgesandten Matrosen kamen nicht zurück. Irgendetwas musste geschehen sein. Also beschloss der Kapitän, nach ihnen zu suchen. Henri schloss sich dem Trupp an, wollte aber, ob man sie nun gefunden hatte oder nicht, sollte sich der Landstrich als iberisches Festland herausstellen, allein weiterreiten.

Sechs Pferde wurden an Deck geführt, darunter Henris Hengst Barq. Die an die Dunkelheit gewöhnten Pferde bekamen Scheuklappen, spürten indes die Hitze und Fremdheit vor dieser Küste, scheuten und schnaubten. Die Deckwachen wurden neu eingeteilt, Wasser und Proviant verstaut, die Männer am Ufer zurückgerufen. Und wenig später ruderte eine andere, größere Pinasse mit neuen Leuten den Trupp und die mit Decken gesattelten Tiere an Land.

Dem Navigator war es inzwischen gelungen, eine Position von vierzig Breitengraden zu errechnen. Aber er fügte hinzu: »Wenn das stimmt, ist dies die iberische Küste. Vielleicht aber irre ich, und das ist die große Wüste Sahara, über der in diesem Monat die gleiche Mondsichel steht.«

»Aber sagen dir das nicht die Sterne?«

»Ich bin kein Maure, Mann! Wir Iberer dürfen uns nicht wie die Heiden orientieren, es ist verboten. Denn alles liegt nur in Gottes Hand!«

Der Trupp setzte sich langsam in Bewegung. Bis zum Einbruch der Nacht folgten sie den nicht verwehten Spuren im Sand. Keine Ansiedlung, kein menschliches Lebenszeichen tauchten vor ihren Blicken auf. Am nächtlichen Lagerfeuer, unter einem tiefschwarzen Sternenhimmel, patrouillierten Wachen im Abstand von drei Stunden. Henri teilte sich selbst als letzte Wache ein, für die Zeit kurz vor dem Morgengrauen, wenn die Augenlider am schwersten waren.

Alle schliefen unruhig, denn aus der Dunkelheit, aus den nur scheinbar friedlich hingestreckten Wellen dieser befremdlichen weißen Landschaft, aus der alle Farben verschwunden schienen und die in allen Formen zu leben schien, kamen seltsame Laute.

Henri unterhielt sich mit dem Navigator, der sich kopfschüttelnd mit seinen Instrumenten beschäftigte.

»Wenn wir uns wirklich auf der Höhe des vierzigsten Breitengrades befinden, wäre das großartig«, meine Henri, »dann müsste ich nur sechs Tage westwärts reiten, um Toledo zu erreichen. Aber müssten wir dann nicht den Ort Benicasim mit seinem Hafen sehen?«

»Nur ein Grad Abweichung in der Berechnung, und wir kommen fünfzig Léguas von der Route ab«, erwiderte der Seemann bekümmert. »Nach dieser stürmischen Überfahrt sind alle Instrumente wie von Sinnen. Seht Euch nur den Magnetstein an, er dreht sich wie ein betrunkener Narr um sich selbst.«