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Die Tage wurden mit jedem Morgen heller, und an der Arbeit gemessen, die er bereits verrichtet hatte, rechnete er sich aus, dass der Mittag nicht mehr fern war. Er hielt einen Augenblick inne, dann nahm er noch einmal Maß und freute sich über seine Genauigkeit. Er war schon bei sechs Millimetern angelangt. Jetzt musste er mit dem kleineren Hobel beginnen, der ihm die Arbeit sehr erleichtern würde und mit dem er bei der Rohbearbeitung der Wölbung noch nie Probleme gehabt hatte.

Da plötzlich wurde die Tür aufgerissen, er drehte sich jedoch nicht um. Wer auch immer die Inspektoren oder Besucher sein mochten, sie mussten ihn arbeitend antreffen. Um ihn herum gingen die Hobelgeräusche weiter, er roch die Späne, hörte den einen oder anderen Hammerschlag in seiner Nähe.

Ohne es zu wollen, ließ er plötzlich seinen Hobel sinken. Er blickte nicht auf, das war auch gar nicht nötig; denn inmitten der üblichen Geräusche, die ihn in der Werkstatt umgaben, hatte er zwei Stimmen wiedererkannt, die sich durch das Entsetzen, das sie einflößten, unverwechselbar in sein Gehör eingeprägt hatten, so wie ein glühendes Eisen die Haut brandmarkt. Die kräftigere, tiefere Stimme war die Sauckels. Die andere jene Raschers. Herr, lass mich nicht wie versteinert dastehen, lass mich nicht alles verderben.

Es schien ihm, als könnten alle sein Herz schlagen hören, doch er bewahrte einen kühlen Kopf. Noch waren sie nicht bis zu dem etwas abseits gelegenen Winkel der Werkstatt vorgedrungen, in dem er arbeitete. Er legte die Geigendecke vorsichtig auf den Tisch, an dem er die Feinarbeiten ausführte, ging zur Tischlerbank und nahm das Ahornholz zur Hand, das er schon zugeschnitten hatte, um den Hals anzufertigen. Er warf einen anerkennenden Blick auf die schön geflammten, von oben nach unten verlaufenden Maserungen und begann, eine Seite mit dem Hobel zu glätten. Das, so hatte er im Bruchteil einer Sekunde gedacht, beherrsche ich beinahe im Schlaf, also werde ich es auch schaffen, wenn Rascher seinen kalten Blick auf mich richtet. Die gleichmäßige Bewegung des Hobels ließ ihn ruhiger werden; da standen sie schon vor ihm.

»Was macht die Geige?«

Mit Erstaunen bemerkte er, dass die Stimme des Kommandanten ohne Spur von Spott oder Hohn war. Er schien mit der üblichen Neugierde eines Kunden zu fragen. Also antwortete er, ohne zu zaudern:

»Alles in Ordnung, keine Probleme.«

Er sprach und unterbrach dabei seine Arbeit nicht. Schließlich wusste man nie, wie sie reagierten. Manchmal hatten sie ihn geschlagen, weil er nicht strammgestanden hatte, wenn sie ihn ansprachen, ein andermal deshalb, weil er es getan und nicht weitergearbeitet hatte. Doch diesmal wurde er von Schlägen verschont. Während er weiterhobelte, sah er aus dem Augenwinkel, dass sie immer noch vor ihm standen. Neugierig beobachteten sie, wie er den Winkel und das Lineal nahm und die Maße exakt überprüfte. Sie betrachteten offensichtlich zufrieden die nunmehr glatte, schön gemaserte Oberfläche des Holzes. Wann würden sie endlich wieder verschwinden, diese Dreckskerle? Da er flink arbeitete, musste er nun das Modell für den Halsstock zur Hand nehmen und die Form nachzeichnen: den Querschnitt, die Rundung am unteren Ende, all das musste er mit dem Spitzeisen markieren und schließlich die elegante Krümmung der Schnecke skizzieren. Es fiel ihm schwer, diese Arbeit unter dem prüfenden Blick dieser vier Augen auszuführen, die auf seine noch immer sicheren Hände geheftet waren. Ihm fehlte die nötige Ruhe dazu. Endlich hörte er, wie sie sich entfernten, und seinen Körper durchströmte ein Gefühl großer Erleichterung, wie wenn das Fieber einen Kranken verlässt. Als die unerträgliche Spannung von ihm wich, ließ er den Halsstock auf die Bank sinken und wischte sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn.

Während der zwei Schritte zum Arbeitstisch wurde ihm bewusst, wie viel Angst er ausgestanden hatte – ihm schlotterten die Knie, und als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, bemerkte er, dass sie ebenso trocken waren wie seine Kehle. Er stützte sich einen Augenblick am Tisch ab und atmete tief durch; er wollte nicht um Erlaubnis bitten, austreten zu dürfen, womöglich wäre er sonst nur wieder dem Besucherpaar begegnet. Ihre Inspektion war ihm so lang vorgekommen, dass er damit rechnete, nun bald die Sirene zu hören. Er musste weiterarbeiten, um nicht die Aufmerksamkeit des Kapos auf sich zu ziehen, weil er zu lange – ein paar Minuten – ausruhte.

Die Inspektion hat zumindest keine schlimmen Folgen nach sich gezogen, dachte er, niemand aus meiner Werkstatt ist geschlagen oder bestraft worden; dieser Gedanke half ihm, sich zu beruhigen. Er nahm, nun merklich gefasster, die Messuhr und das kleine Millimeterband zur Hand, um die Stärke der Deckenwölbung zu überprüfen und danach mit dem kleineren Wölbungshobel weiterzuarbeiten. Zum Glück hatte ihm sein Vater – gesegnet sei sein Andenken – das Handwerk so gut beigebracht. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis seiner Arbeit an diesem so ereignisreichen Tag. Morgen würde er mit winzigen Holzstreifen, dünn wie die Spitze eines Fingernagels, die beiden Hälften verstärken, die Innenseite mit Sandpapier abschleifen und darauf achten, dass die Ränder abgerundet blieben.

Er strich mit der Hand über die sanft gewölbte Innenseite der Decke. Auf seinen Tastsinn vertraute er ebenso wie auf die Messuhr, und er hatte nie geglaubt, dass irgendein Werkzeug genauer sein könnte als seine Finger. Er musste allerdings besorgt feststellen, dass sie ihre Feinheit durch die Arbeit in der Fabrik eingebüßt hatten und neuerdings Schwielen aufwiesen, die ihn beunruhigten.

Dennoch ließ er sich nicht entmutigen, und das Heulen der Sirene überraschte ihn dabei, wie er die beiden Teile der Decke streichelte, so wie er Eva liebkost hatte, bereits voller Verzweiflung, als es zu ersten Überfällen auf das Ghetto gekommen war.

Die Inspektion war nicht in allen Werkstätten so glimpflich verlaufen, das wurde ihm sofort klar, als er zwei Kapos mit einem Häftling sah, die einem Befehlshaber folgten; sie sperrten ihn in eine der dunklen Zellen, und rundum herrschte seltsames, nur von ängstlichem Gemurmel durchsetztes Schweigen. Wie Jäger, die Fallen mit Vogelleim auslegen, konnten auch die Helden dieser Jagd auf keinen Fall ohne irgendeine Beute zurückkehren.

V

UNSEREN MUSIKERN HAT MAN

DIE HÄNDE ABGEHACKT,

UNSEREN SÄNGERN DIE MÜNDER

MIT EISEN VERSCHLOSSEN.

DIE SÜSSKLINGENDE GEIGE

LIEGT AUF DER ERDE EINER

UNBEWEGLICHEN

WIEGE GLEICH,

SIE HÄTTEN DAS NEUGEBORENE

WIEGEN SOLLEN -

DOCH SIE TÖTETEN ES,

NOCH BEVOR ES ZUR WELT KAM.