Jannis Ritsos, Missatgers
Aufstellung über die von den Lagern Lublin und Auschwitz abgegebene Bekleidung usw. (Fragment)
1. Reichswirtschaftsministerium
Männer=Altbekleidung
ohne Wäsche97 000 GarniturenFrauen=Altbekleidung
ohne Wäsche76 000 GarniturenFrauen=Seidenwäsche89 000 Garnituren
insgesamt: 34 WaggonsLumpen400 Waggons2 700 000 kgBettfedern130 Waggons270 000 kgFrauenhaare1 Waggon3000 kgAltmaterial5 Waggons19 000 kginsgesamt: 2 992 000 kginsgesamt: 536 Waggons570 Waggons
Ein neuer Kapo, der bestechlicher war als der vorherige, verschaffte ihm unter der Hand eine Tube mit Creme, die hoffentlich seine Hände wieder geschmeidig machen würde. Als Gegenleistung bot er ihm Zigaretten an, die er eine nach der anderen von Freund erhalten und aufgespart hatte, der sie wiederum regelmäßig von den Chauffeuren in der Werkstatt zugesteckt bekam. Seit dem letzten Besuch Raschers und des Kommandanten waren inzwischen knapp zwei Wochen vergangen, und an diesem Tag, der nur zögerlich zur Neige ging, hatte eine Reihenuntersuchung der Häftlinge stattgefunden.Vielleicht aufgrund irgendwelcher Verordnungen, oder aber es handelte sich um eine Anweisung von höherer Stelle, vom Arzt mit den kalten Augen. Die Befehlshaber verschiedener Dienstgrade, die Schweine, wie Freund sie immer nannte, hatten die Reihenuntersuchung als »Frühjahrsputz« bezeichnet, vermutlich weil ihnen der Winter schon einen Teil der Arbeit abgenommen hatte.
Daniel lag mit sorgfältig eingecremten Händen auf seiner Pritsche und dachte, dass er sich glücklich schätzen konnte, die Reihenuntersuchung heil überstanden zu haben, denn diesmal hatten sie sich nicht auf einen flüchtigen Blick beschränkt, wie vor den körperlichen Züchtigungen. Immerhin, da das Lager klein war, hatten sie alles an einem Tag erledigt. Splitternackt war er gewogen, abgehört, rücksichtslos abgetastet und – wie alle anderen auch – angewiesen worden, Kniebeugen zu machen; schließlich hatte man ihn für arbeitsfähig befunden, nicht reif für den Schlachthof, für das Todeslager mit den schwarzen Rauchwolken. Die »Gesunden« hatten sie früher als sonst in die Baracken geschickt.
Daniel lag in dieser Nacht noch lange wach, während seine Kameraden schliefen oder so taten als ob, um nicht reden zu müssen, um nicht über die grauenvolle Selektion nachzudenken, und so hörte er ganz deutlich das Motorengeräusch der viel zu früh zurückkommenden Lastwagen. Sie können sie in kein anderes Lager geschafft haben, dachte er, für eine Fahrt nach Auschwitz-Birkenau und zurück hätten sie mehr Zeit benötigt. Die Kameraden mussten schon tot und begraben sein, nackt und ohne Totenhemd, ohne letzten Abschied, auf irgendeiner Waldlichtung verscharrt, hier ganz in der Nähe des Dreiflüsselagers. Die erstickten, verzweifelten Schreie, die am Abend durch die dünnen Holzwände gedrungen waren, bewiesen, dass nur wenige die empörende Lüge, sie würden in ein Krankenhaus gebracht, geschluckt hatten, obwohl man ihnen erlaubt hatte, sich wieder anzukleiden. Er wollte das Totengebet für sie sprechen, doch er vermochte es nicht, denn angesichts der Kinder, die in den Tod geschickt wurden, erschien ihm die ganze Welt wie zu Eis erstarrt. Er rüttelte seinen Nachbarn an den Schultern:
»He, hast du das Motorengeräusch gehört? Das waren doch die Lastwagen, oder?«
»Ja, das waren sie«, bestätigte dieser hellwach, er hatte gar nicht geschlafen. »Weit gefahren sind sie jedenfalls nicht«, fuhr er fort. »Die haben sie auch nicht erschossen, die Dreckskerle, diese Mörder! Ich hatte schon vorher einen Verdacht, wie sie es machen würden, weil wir zwei Saurer-Lastwagen mit kaputten Bremsen bei uns zur Reparatur hatten. Verdammt seien sie alle und ich genauso, weil mich diese Scheißverbrecher dazu gezwungen haben, bei der Reparatur zu helfen.«
Unterdrücktes Schluchzen schnitt ihm die Stimme ab. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Auch gab es keine Worte, die ihn hätten trösten können. Und so schwiegen sie beide. Das Gerücht über die Lastwagen des Todes, das im Lager umging, stimmte also, dieses Gemunkel, von dem niemand wusste, woher es stammte und wie es sich, einer Epidemie gleich, unter den Häftlingen hatte ausbreiten können. Diese Fahrzeuge gingen deshalb so oft kaputt, weil sie die Hauptstraße verließen und über holprige, morastige Wege fuhren, ohne ihre Fracht abzuladen, um Aufruhr und Fluchtversuche zu vermeiden. Im Wageninneren, in dieser tödlichen Falle, wurden die Kranken schnell geheilt, indem man sie die Abgase des Dieselmotors einatmen ließ, sobald der Fahrer, der danach mit einer doppelten Ration Schnaps belohnt wurde, den Hebel drückte; auch die Kinder wurden auf diese Weise schlagartig aus den trügerischen Fängen ihrer Ahnungslosigkeit befreit. Dieser Gedanke erfüllte Daniel mit solch unbändiger Wut, dass er sich am liebsten die Knöchel seiner geballten Fäuste blutig gebissen hätte, aber er konnte sich nicht einmal diese sinnlose Geste erlauben, wenn er überleben wollte.
Er hatte den Eindruck, soeben erst eingeschlafen zu sein, als die Sirene allen Schrecken zum Trotz einen neuen Tag ankündigte. Der Appell an diesem Morgen fiel kürzer aus als sonst, und einige zählten ihre Toten. Die Sonne löste schamlos die Nebelschwaden auf, der Wind schien die Namen der Ermordeten ins Nichts fortzutragen.
Aber nicht alle hatten sie vergessen; die unerbittliche, niemals stillstehende Organisation, die sie inhaftierte und dezimierte, hatte sie bereits verbucht, und die zweckmäßigen Befehle waren schon bei der Lagerleitung angelangt. Wie sie feststellten, gab es kein Stück Brot zu viel, und auch der sogenannte Kaffee war um kein bisschen stärker. Die Listen waren rasch ausgebessert worden, und nun wartete man auf die unglücklichen Neuzugänge, um in den Pritschenreihen, in den Werkstätten und beim Appell die Lücken wieder zu füllen. Die Anzahl der Neuankömmlinge, mit der sie rechneten, würde jedoch nicht eintreffen: Im Lager wusste man bereits, dass viele den Weg der Rebellion gewählt hatten, den Tod einer Deportation vorzogen und im Warschauer Ghetto Widerstand leisteten.
Freund ging leise fluchend in die Reparaturwerkstatt, wo er gewiss mehr denn je zu tun haben würde. Wie jeden Morgen galt es, die Arbeit mit einem Loch im Magen und nun auch noch mit einem schrecklich bitteren Nachgeschmack zu beginnen. Der Geigenbauer betrat niedergeschlagen die Werkstatt. Der älteste Kamerad, ein Tischler, der seit Tagen gehustet hatte, würde für immer fehlen. Weder der Anblick »seiner« Werkzeuge noch die bereits vollendeten Teile des Instruments konnten ihn von der Beklemmung befreien, die ihm die Brust zuschnürte. Die Arme schienen ihm schlaffer, seine Hände langsamer zu sein. Ich muss die Erinnerung an gestern abschütteln, dachte er, ich habe keine Zeit, an jene zu denken, die schon nicht mehr unter uns weilen, wenn ich mich nicht zu ihnen unter die Birken gesellen will. Nach und nach beruhigten ihn die gewohnten Handgriffe und der Duft der Hölzer ein wenig, und die drückenden Bande der Erinnerung schienen ihn nicht länger zu ersticken. Die dreißig Kniebeugen vom Vortag, eine an sich nicht außergewöhnliche Anstrengung, hatten an seinem geschwächten Körper Spuren hinterlassen; die Knie schmerzten noch, die Hände allerdings fühlten sich spürbar glatter an. Die plötzliche Kälte der letzten Tage und starker Wind aus Russland hatten die Haut ganz rissig gemacht. Durch die Creme war sie jedoch wieder geschmeidiger geworden, und das war äußerst wichtig für ihn. Er lebte nun mit einer sehr begründeten Hoffnung: Sie würden ihn sicher am Leben lassen, bis er die Geige fertiggebaut hatte. Mittlerweile wusste er, dass der Lagerkommandant Instrumente sammelte. Er würde ihn also nicht in den Steinbruch schicken, solange diese im Lager gefertigte Rarität nicht vollendet war, immerhin würde sie seiner Eitelkeit schmeicheln. Dennoch durfte er die Arbeit nicht in die Länge ziehen, sonst lief er Gefahr, wegen zu langsamen Vorwärtskommens oder gar Sabotage ausgepeitscht zu werden. Selbst der Mechaniker, auf den sie ungern verzichteten, hatte eine ganze Woche im Arrest verbracht, weil ihm ein Werkzeug kaputt gegangen war!