Das von verstorbenen Schutzhäftlingen stammende Zahn=Bruchgold wird auf Ihren Befehl an das Sanitätsamt abgeliefert. Dort wird es für Zahnbehandlungszwecke unserer Männer verwendet.
SS=Oberführer Blaschke verfügt bereits über einen Bestand von über 50 kg Gold, das ist der voraussichtliche Edelmetallbedarf für die nächsten 5 Jahre.
Ich bitte um Bestätigung, daß das künftig aus den normalen Abgängen der KL anfallende Zahn=Bruchgold an die Reichsbank gegen Anerkennung abgeliefert werden darf.
Heil Hitler!
I.V.
Frank
SS=Brigadeführer und Generalmajor der
Waffen=SS
Aussage Otto Ambros
vor dem Nürnberger Militärgericht im IG=Farben=Prozeß (Fragment)
Das Furchtbarste war die Mißhandlung der Häftlinge durch die Kapos. Sie gingen mit den Häftlingen unmenschlich um. Mir ist in Auschwitz von Walther Dürrfeld bzw. Oberingenieur Faust berichtet worden, daß Häftlinge auf der Flucht erschossen worden sind.
Ich wußte, daß die Häftlinge selber keine Bezahlung erhielten. Es wurde etwa 1943 von der IG ein Prämiensystem für Häftlinge eingeführt, den Häftlingen eine Möglichkeit zu geben, in der Kantine Zusätzliches zu kaufen und gleichzeitig, um die Leistung der Häftlinge zu erhöhen.
Gesamtbezahlung für die Häftlinge in 2½ Jahren, die an die SS geleistet wurde, betrug über 20 Millionen Mark.
Für einige Augenblicke verschlug es Daniel die Sprache, er war wie gelähmt, versuchte den Sinn der Worte zu begreifen, die der Musiker stockend und widerwillig hervorgebracht hatte. Er schluckte Speichel wie jemand, der eine bittere Medizin einnehmen muss, und stieß schließlich hervor: »Lebend werden die mich nicht dorthin bringen!«
Ihm entfuhr ein Schrei, und einige Mithäftlinge drehten sich um, doch bevor er zu einem weiteren ansetzen konnte, der sogleich die Aufmerksamkeit des Kapos auf sich gezogen hätte, hielt ihm der Geiger den Mund zu, schloss ihn in die Arme und ließ ihn den Kopf im Stoff seiner zerschlissenen Häftlingskleidung vergraben. Der junge Mann hat in den letzten Monaten Unbegreifliches ertragen müssen, dachte Bronislaw, und nur ein viel heftigerer Aufschrei, ein hemmungsloses Brüllen hätte ihm wohl Erleichterung verschafft. Doch die verzweifelte Klage durfte nicht nach draußen dringen. Deshalb war es gut, dass die Beklemmung in den Armen des Freundes allmählich verebbte, abgeschirmt von verächtlichen Blicken oder solchen, die nur wieder neue Beklommenheit hervorgerufen hätten.
Nach einer Weile, die ihnen beiden lang vorgekommen war, löste sich Daniel mit Mühe aus der festen Umarmung; seine Tränen waren getrocknet, und der Freund redete sanft auf ihn ein, während sie auf und ab gingen, damit ihm die Bewegung half, sich zu beruhigen.
»Glaub mir, sie werden dich bestimmt nicht in das andere Lager abtransportieren, momentan können sie hier in den Fabriken einfach auf niemanden verzichten. Die Dinge stehen langsam schlecht für die elenden Mörder. Du wirst es schaffen, das weißt du. Der Solobratschist meines früheren Orchesters, der mal ein Kunde von dir gewesen war, hat mir von deiner außergewöhnlichen Handwerkskunst erzählt.«
Bronislaw sprach aus Überzeugung, und allmählich wich die Furcht von Daniel. Er klammerte sich an diese Worte, wollte ihnen Glauben schenken, sie waren das Einzige, woran er sich noch festhalten konnte.
»Deine Geige wird den schönsten Klang haben, den man sich nur vorstellen kann, und ich werde mein Bestes geben, wenn ich sie spiele! Es muss und es wird uns gelingen.«
Die Stimme des Freundes verscheuchte sein Entsetzen, sie war Balsam für die Seele. Nun konnten sie einigermaßen ruhig und sachlich miteinander reden. Daniel betonte, dass er keinerlei Bedenken hätte, was die Qualität seiner Arbeit betraf. Das Problem, darüber waren sie sich einig, war die ungewisse Frist.
Doch daran würde niemand etwas ändern können oder wollen; der Musiker durfte keine Fragen stellen und unter gar keinen Umständen den Verdacht erwecken, dass er über die demütigende Wette Bescheid wusste. Die Folgen würden sonst verheerend sein, und dafür war er – das musste er sich eingestehen – nicht mutig genug.
Soweit es im Reich des Schreckens möglich war, stand jedoch eine Sache für ihn so gut wie fest: Bis die Violine fertiggestellt war, würden sie den Geigenbauer im Dreiflüsselager am Leben lassen, ihn weder nach Auschwitz noch nach Plaszow deportieren, ihn jeden Vormittag an die Arbeit schicken. Vielen war nicht einmal dieses bisschen vergönnt. Sie vereinbarten, mit niemandem darüber zu sprechen; nicht mit dem Mechaniker, der zwar ein guter Bekannter war, aber sehr geschwätzig, und auch nicht mit den anderen beiden Musikern. Bronislaw riet Daniel, sich nicht zu beeilen, selbst wenn ihm das schwerfallen sollte; denn es wäre ungleich schlimmer, wenn er sich an den Händen verletzte oder das Instrument verdarb: Sollte nämlich die Geige irgendeinen Mangel aufweisen und nicht den erwünschten Klang haben, würden sie beide verloren sein. Bronislaw war überzeugt davon, dass der Kommandant – sollte alles gut ausgehen, so wie sie es hofften – Daniel keinesfalls dem Arzt ausliefern würde, schließlich gab es viele andere Lager, unzählige andere mögliche Opfer; und letztendlich war er es, der in seinem Lager das Sagen hatte.
»Er bekleidet einen höheren Dienstgrad als Rascher«, fuhr der Musiker fort, »das ist mir aufgefallen, als sie voreinander salutierten, und der Kommandant verabscheut jegliche Einmischung in seinen Autoritätsbereich.« Es gab aber auch noch einen weiteren Faktor, der Daniel zu überzeugen vermochte: Der Arzt verstand nicht das Geringste von Geigen, Sauckel hingegen schon. Und dieser war gewiss schlau genug, keine unglaubwürdige Frist zu setzen, um sich den Erhalt der Kiste Burgunderwein zu sichern. Davon konnte man ausgehen.
»Und du? Kannst du es dir eigentlich einrichten zu üben?«
»Nicht wirklich, weil ich den ganzen Tag in der Küche arbeite: Schau dir bloß meine Hände an! Warm haben sie es dort wenigstens, aber der Gedanke an den Sommer macht mir jetzt schon Angst.«
Dennoch nutzten er und seine zwei Partner stets die knappe Zeit zum Üben, die ihnen nach der abendlichen Essensausgabe blieb, bevor man sie in ihre schäbige Unterkunft schaffte. Es war nicht viel Zeit, »aber wir geben uns größte Mühe, und so bleiben wenigstens die Finger beweglich.« Und er fügte abschließend hinzu: »Heute haben wir gerade mal eine halbe Stunde, ich muss deswegen jetzt auch los.« Er ging schweren Herzens fort, und Daniel sah ihm nach, wie er sich mit langsamen, schwankenden Schritten entfernte; er blickte ihm gerührt und dankbar hinterher, bis er in der Baracke verschwunden war. Wie sehr war er von ihm verstanden und getröstet worden!
Ihnen war ausreichend Zeit geblieben, sich zu unterhalten und die Angelegenheit ein ums andere Mal durchzugehen, denn seit Frühlingsbeginn waren die Abende länger, und man schickte sie erst um neun in die Baracken. Den Geigenbauer hatte das Gespräch beruhigt, und so schlief er nun mit der Hoffnung und der Entschlossenheit ein, die Geige fertigzubauen. Deshalb erschrak er auch nicht, als ihn zwei oder drei Tage später ein ihm unbekannter Kapo aus der Werkstatt holte. Er vermutete, man würde ihn zum Haus des Kommandanten bringen. Während er die Werkzeuge niederlegte, fasste er den Entschluss, Sauckel zu fragen, wie viel Zeit man ihm zugestand, um das Instrument fertigzustellen. Ich werde die Frage so vorbringen, dachte er, dass er keinen Verdacht schöpfen kann, so als ginge ich davon aus, er benötige die Geige für ein Konzert.
Sie hatten allerdings etwas anderes mit ihm im Sinn: »Schnell, ab in die Schneiderei!«, befahl man ihm, und da er so verblüfft war, dass er sich nicht von der Stelle rührte, wurden die Worte »schnell, schnell!« von einem heftigen Stoß begleitet.