Nein, ich habe keine andere Wahl. »Empfehlen Sie, dass wir sie alle in Midway lassen?«, fragte Geary, weil er wollte, dass die Antwort darauf Bestandteil der offiziellen Aufzeichnungen wurde.
»Das ist meine Empfehlung, Admiral. Ich glaube, die Behörden hier werden zivilisiert mit den Leuten umgehen, die wir aus der Gefangenschaft der Syndiks befreit haben.«
»Dann in die Shuttles mit ihnen. Es werden einige zusätzliche Flüge notwendig werden. Bringen wir es hinter uns.«
Eine Sache weniger, die ihm Kopfschmerzen bereiten konnte. Zu schade, dass noch immer viel zu viele andere Probleme zu lösen waren. Aber jetzt konnte er wenigstens eine Abflugzeit bekanntgeben. Er konnte sich gut vorstellen, wie erleichtert man die Nachricht aufnehmen würde, dass die Flotte nun endlich wieder Kurs auf die Heimat nahm.
Seit dem ersten Stein, der von einem Menschen als Werkzeug benutzt worden war, hatte die Menschheit viele Objekte von gewaltiger Größe geschaffen. Manche Objekte waren ihren Erbauern nach der Fertigstellung gigantisch erschienen, aber früher oder später wurden sie alle von noch größeren Bauwerken übertroffen, neben denen sie winzig aussahen.
Ein Hypernet-Portal allerdings entzog sich einer solchen Einordnung. Die zahlreichen »Trossen« hielten eine Energiematrix zusammen und bildeten dabei einen Kreis, der so gigantisch war, dass selbst ein von Menschen erbautes Schlachtschiff im Vergleich dazu winzig wirkte. Gearys gesamte Flotte, die aus Hunderten von Kriegsschiffen bestand, konnte komplett das Hypernet-Portal durchfliegen. Die Portale bildeten zusammen ein Netzwerk von unvorstellbarer Größe, das sich in alle Richtungen über Hunderte von Lichtjahren erstreckte und den Zugang zu einer großen Zahl von Sternensystemen erlaubte.
Das Hypernet-Portal von Midway hing jetzt ganz dicht vor den Schiffen der Allianz-Flotte im All und sah exakt nach dem aus, was es auch darstellte: ein Portal zu anderen Welten.
Geary hatte seine gesamte Flotte um sich geschart, alle Schiffe bildeten zusammen eine riesige eiförmige Formation, die zur Verteidigung gegen Angreifer gut geeignet war, dabei aber nach außen keinen aggressiven Eindruck hervorrief. Im Mittelpunkt des Ovals befanden sich die Sturmtransporter, die Hilfsschiffe und das erbeutete Kik-Superschlachtschiff Invincible, da sie dort am besten geschützt waren. In der Nähe dieser Schiffe hielt sich der Großteil der Schlachtschiffe auf, gefolgt von den Schlachtkreuzern, den Schweren und den Leichten Kreuzern sowie den Zerstörern.
So ramponiert und erschöpft manche auch waren – was für die Besatzungen genauso galt wie für die Schiffe –, machten sie dennoch einen strahlenden Eindruck.
Geary wandte seinen Blick ab von diesem Zuversicht ausstrahlenden Bild einer schlagkräftigen Flotte und berührte behutsam seine Komm-Kontrolle. »Captain Bradamont, wir sind im Begriff, das System zu verlassen. Ich setze mein volles Vertrauen in Sie, dass Sie nach bestem Wissen und Gewissen handeln werden. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Admiral Geary Ende.«
Er seufzte und konnte nur hoffen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, Bradamont als Verbindungsoffizier hier zurückzulassen. Zeitweise war es ihm so vorgekommen, dass er einen seiner Offiziere in den Klauen des Feindes zurückließ. Aber Bradamont hatte sich freiwillig gemeldet, als ihr die Gelegenheit dazu gegeben worden war. Ihre Anwesenheit in diesem System konnte entscheidend dazu beitragen, dass Midway seine Unabhängigkeit bewahrte. Außerdem würde es so möglich sein, mehr darüber zu erfahren, wie ernst Präsidentin Iceni es damit war, eine freiere Regierungsform zu finden, die die Syndik-Tyrannei ersetzen konnte.
»Dann wollen wir mal, Tanya.«
»Indras?«, fragte Desjani und ließ ihren Finger über der Eingabetaste des Hypernet-Schlüssels schweben.
»Ja, das ist der schnellste Weg zurück zur Allianz.« Geary sah ihr zu, wie sie den Namen des Sterns eingab. Nicht jeder Stern verfügte über ein Hypernet-Portal, genau genommen waren es sogar recht wenige Sterne, die damit aufwarten konnten, was vor allem an den enormen Kosten für den Bau eines solchen Portals lag. Dass die Allianz-Flotte überhaupt in der Lage war, das Hypernet der Syndiks zu benutzen, war einem angeblichen Überläufer zu verdanken, der die Allianz mit einem Hypernet-Schlüssel für die Portale der Syndiks versorgt hatte. Tatsächlich hatte seine Absicht aber darin bestanden, die Allianz-Flotte in eine Falle zu locken, was beinahe zu deren völliger Zerstörung geführt hätte.
Er wartete, bis die einfache Prozedur abgeschlossen war, doch anstatt ihm ein Zeichen zu geben, dass alles bereit war, schaute Desjani ihn verdutzt an. »Das Syndik-Hypernet teilt mir mit, dass es auf das Portal bei Indras nicht zugreifen kann.«
»Ist irgendwas mit dem Portal bei Indras geschehen?«
»Das kann nicht anders sein.« Sie biss sich auf die Lippe und betrachtete ihr Display. »Kalixa wäre eigentlich die nächstbeste Ausweichmöglichkeit. Aber das Portal bei Kalixa existiert nicht mehr. Was ist mit Praja?«
Er schaute auf sein eigenes Display. »Dann eben Praja.«
Ein paar Sekunden vergingen, dann atmete Desjani schnaubend aus. »Kein Zugriff auf das Portal bei Praja.«
»Versuchen Sie Kachin.«
Wieder eine Pause, einen Moment später schüttelte sie den Kopf. »Kein Zugriff.«
»Stimmt irgendetwas nicht mit unserem Schlüssel? Könnten die Syndiks ihr Hypernet umprogrammiert haben, sodass unser Schlüssel nicht mehr funktioniert?«
»Admiral, ich habe keine Ahnung. Ich befehlige nur ein Schiff.«
Von dieser unerwarteten Entwicklung bereits aus der Ruhe gebracht, verspürte Geary eine irrationale Verärgerung über diese Antwort, doch dann erkannte er, dass sie nichts weiter gemacht hatte, als offen und wahrheitsgemäß auf seine Fragen zu reagieren. »Fragen wir halt jemanden, der es wissen könnte.« Er tippte einige Befehle ein. »Captain Hiyen, Commander Neeson«, sagte er, als er eine Nachricht an die Reprisal und die Implacable schickte. »Wir haben hier ein Problem.« Er erklärte ihnen die Situation, dann lehnte er sich zurück und wartete ab. Eine Reaktion würde einige Sekunden dauern, aber Hiyen und Neeson waren das, was in seiner Flotte Experten in Sachen Hypernet am nächsten kam. Sich auf ihr begrenztes Fachwissen verlassen zu müssen, war nicht sehr erbaulich, wenn sich irgendetwas Ungewöhnliches ereignete, vor allem mit Blick darauf, dass die Menschheit über das Hypernet und die damit verbundene Technologie kaum etwas wusste.
»Wir nähern uns dem Portal«, sagte Desjani, als würde sie mit sich selbst reden.
Geary zuckte hoch, wütend über sich selbst, dass er sich hatte ablenken lassen und nicht die ganze Situation im Blick hatte.
»An alle Einheiten der Ersten Flotte: Ändern Sie sofort den Kurs um eins acht null Grad nach Steuerbord. Verringern Sie die Geschwindigkeit auf 0,02 Licht.« So würde sich die gesamte Formation drehen und mit dem Antrieb zur ursprünglichen Flugbahn ausgerichtet abbremsen. Dann würde sie in die Richtung zurückfliegen, aus der sie gekommen war, jedoch deutlich langsamer als zuvor.
»Danke, Captain Desjani«, sagte er leise.
Sie nickte nur, ohne den Blick von ihrem Display zu nehmen.
Ein Grund mehr, wieso ich diese Frau liebe, dachte Geary und versuchte, nicht zu wütend über diese unvorhergesehene Verzögerung zu werden – und sich keine Sorgen über die Folgen zu machen, sollte diese Flotte von Stern zu Stern springen müssen, um ins Allianzgebiet zurückzukehren.
»Admiral«, sagte Captain Hiyen, dessen Bild in einem virtuellen Fenster vor Geary auftauchte. »Ein Hypernet kann man nicht umprogrammieren, es sei denn, alles, was wir über das Hypernet wissen, ist falsch.«