»Sie und Major Dietz haben auf jeden Fall die Lage sehr zutreffend eingeschätzt. Was ist mit Ihren Wachposten? Haben Sie sie verloren?«
»Nein«, erwiderte Lagemann und lächelte schwach. »Die waren nicht da, weil wir uns zusammen mit ihnen zurückgezogen haben, als die Selbstmordattentäter auf uns zurasten. Vielleicht war das ja ein Teil ihres Plans, um an Bord zu gelangen. Aber mir soll es recht sein. Sonst hätten wir vielleicht einen Trupp Marines verloren, ehe uns klar war, dass wir es mit getarnten Eindringlingen zu tun haben. So sind die Marines jetzt bei mir und befinden sich in voller Gefechtsbereitschaft.«
Geary wurde abgelenkt, gerade als er etwas erwidern wollte, da Desjani in diesem Moment einen wüsten Fluch ausstieß, von dem er nicht gedacht hätte, dass sie ihn kannte.
Dann redete sie auch schon wutentbrannt weiter: »Ein Ablenkungsmanöver! Diese verdammten Selbstmörder waren nur ein Ablenkungsmanöver! Während wir mit ihnen beschäftigt waren, sind die mit getarnten Shuttles zur Invincible geflogen und haben ihre Einheiten an Bord gebracht!«
»Ja, die Orion ist für ein Ablenkungsmanöver gestorben«, bestätigte Geary, der sich wunderte, dass diese Erkenntnis seinen Zorn nicht wieder aufflammen ließ. Aber das lag wohl daran, dass er innerlich nur eine eisige Kälte spürte. »Die Syndik-Shuttles müssen sich immer noch in der Nähe der Invincible befinden.« Es gab ein Manöver, um einer solchen Bedrohung zu begegnen, eine vorbereitete Operation, zu der er nur den Befehl geben musste. »Such- und Zerstörungsmuster Sigma.« Er tippte auf die Komm-Kontrolle. »An alle Leichten Kreuzer und Zerstörer der Ersten Flotte, führen Sie sofort das Such- und Zerstörungsmuster Sigma durch. Referenzpunkt für die Suche ist die Invincible. Gesuchte Ziele sind getarnte Syndik-Shuttles. Machen Sie sie ausfindig, und zerstören Sie jedes Shuttle, auf das Sie stoßen.«
»Such- und Zerstörungsmuster Sigma?« Desjani überprüfte ihre Datenbank. »Davon habe ich noch nie gehört. Wie alt ist das?«
»Über hundert Jahre«, antwortete Geary. »Aber es findet sich im Steuersystem eines jeden Schiffs dieser Flotte. Man muss es nur eingeben, und die automatisierten Steuersysteme bringen die richtigen Schiffe an ihren korrekten Platz auf der Grundlage der Anzahl der Schiffe, über die die Formation für diese Mission verfügt.«
»Das sind aber viele Schiffe«, meinte Desjani und sah missmutig auf ihr Display.
Jeder Zerstörer und jeder Leichte Kreuzer der Ersten Flotte, insgesamt rund zweihundert Schiffe, setzte zu einem Suchmuster an, das sich mit dem der anderen Schiffe überschnitt, um das Gebiet rund um die Invincible sowie den Weg abzusuchen, auf dem sie hergekommen war. Getarnte Shuttles waren sehr schwer aufzuspüren, vor allem wenn sie sich nicht bewegten. Aber wenn Hunderte von Schiffen gleichzeitig suchten und ihre Sensordaten von den Gefechtssystemen der Flotte automatisch zusammenführten und verglichen, dann würde selbst die beste Tarntechnologie Schwierigkeiten haben, alle Anomalien zu vermeiden, auf die die Gefechtssysteme anspringen würden.
Hätte ich doch nur Zeit genug gehabt, dieses Suchmuster als Abwehrmaßnahme durchführen zu lassen, bevor die Syndiks die Invincible entern konnten, dachte Geary missmutig. Aber es war ja der Sinn und Zweck dieses Selbstmordangriffs gewesen, uns zu beschäftigen und uns davon abzuhalten, andere Bedrohungen in Erwägung zu ziehen.
»Sie befinden sich an der Pseudo-Maschinenkontrolle«, berichtete Admiral Lagemann. »Die Lamarr-Sensoren an der Hauptschleuse melden, dass versucht worden ist, sie zu täuschen. Und … der Persische Esel sendet nicht mehr.«
Ein Ablenkungsmanöver außer Gefecht gesetzt. Geary musste gegen ein absurdes Gefühl der Trauer ankämpfen, das den »Tod« des treuen und listigen kleinen Esels der Marines betraf.
»Was ist mit der Pseudo-Brücke?«
In einem neuen Fenster tauchte Major Dietz auf, der die volle Gefechtsmontur trug. »Das Syndik-Enterkommando hätte beide Ziele gleichzeitig ausschalten müssen, aber vermutlich kam es zu Verzögerungen, weil sie keinen korrekten Deckplan dieses Schiffs besitzen. Oh, da melden sich gerade die Lamarr-Sensoren auf der Pseudo-Brücke. Die Pseudo-Brücke ist ihnen auch in die Hände gefallen, und dieser Esel ist ebenfalls tot.«
»In unserem Abschnitt hier läuft alles mit minimaler Energie«, sagte Lagemann. »Wir tragen unsere Schutzanzüge, deshalb konnten wir die Lebenserhaltung abschalten, außerdem alle anderen Systeme, die für die Kommunikation und die Überwachung der Eindringlinge nicht benötigt werden. Die werden Mühe haben, uns zu finden, und wenn sie es schaffen, werden sie von den Marines erwartet.«
»Admiral Lagemann«, sagte Geary. »Die Invincible darf nicht diesen Syndik-Soldaten in die Hände fallen.«
»Das wird nicht passieren«, versicherte ihm Major Dietz. »Ich lasse eine Kompanie zurück, damit sie zusammen mit den Matrosen diesen Bereich hier bewacht.« Es gelang ihm, keinen Spott bei dem Gedanken durchklingen zu lassen, Matrosen könnten ernsthaft eine Unterstützung für Marines sein. »Die andere Kompanie nehme ich in Trupps aufgeteilt mit zu den Pseudo-Bereichen, die von den Syndiks eingenommen wurden. Falls sie Atombomben an Bord gebracht haben, werden sie sie sehr wahrscheinlich dort irgendwo bewacht aufbewahren. Wir können keine Leute in Tarnanzügen jagen, jedenfalls nicht mit so wenigen Marines in einem so riesigen Schiff. Aber wir können den Bewachern das Leben schwermachen und mit etwas Glück die Sprengköpfe in unsere Gewalt bringen.«
»Konnten Sie bestätigen, dass sich Syndik-Atomwaffen an Bord befinden?«, wollte Geary wissen.
»Nein, Admiral. Das ist nach wie vor nur eine Spekulation über die Pläne des Feindes. Ich empfehle, dass wir von der Annahme ausgehen, dass diese Syndiks mindestens eine Atombombe mitgebracht haben.«
»Ihre Einschätzungen waren bislang alle extrem präzise, Major Dietz, und ich weiß Ihre Empfehlung zu schätzen. Admiral Lagemann, General Carabali, wir gehen auf der Grundlage der Annahme vor, dass die Syndiks nukleare Bomben auf die Invincible mitgebracht haben.«
General Carabalis Verbindung war zum Leben erwacht, und sie nickte jetzt als Reaktion auf Gearys Worte. »So gehen wir vor, Admiral. Bitte um Erlaubnis, Verstärkung auf die Invincible zu bringen.«
»An wie viele Leute hatten Sie gedacht?«
»Alle von der Tsunami«, antwortete sie. »Fast achthundert Marines. Sobald die Tsunami sich der Invincible nähern kann, möchte ich auch die Typhoon heranholen, falls deren Marines auch noch benötigt werden.«
»Erlaubnis erteilt. Schaffen Sie diese Marines schnell auf die Invincible.«
»Verstanden, Admiral. Wir gehen rein.«
Geary wandte sich an Major Dietz. »Haben Sie das mitbekommen? Viele von Ihren Freunden sind auf dem Weg zu Ihnen.«
»Ja, Sir.« Dietz betrachtete eines der düsteren Displays vor sich. »Ein weiterer Lamarr-Sensor in einem der Korridore hat sich abgeschaltet. Sie suchen nach uns. Ich schicke meine Leute raus, damit sie uns etwas leichter finden können. Zwei Trupps begeben sich zur Pseudo-Maschinenkontrolle, zwei weitere zur Pseudo-Brücke. Wenn unser Gegenangriff beginnt, wird es sie auch davon ablenken, dass noch viel mehr Marines an Bord kommen.« Er wollte sich wegdrehen, hielt aber inne und zog eine verdutzte Miene. »Schüsse? Admiral, unsere Sensoren melden, dass in einem Bereich Waffen abgefeuert werden, wo sich niemand von uns aufhält.«