»Vielleicht schießen sie ja auf Schatten«, gab Admiral Lagemann zu bedenken.
»Auf Schatten? Das müssen Spezial-Einsatzkräfte sein. Vielleicht sogar diese Sicherheitsfanatiker, gegen die ich einmal gekämpft habe. Vipern. Das sind harte, bestens geschulte Leute. Die würden nicht auf Schatten schießen …« Mit einem Mal veränderte sich Dietz’ Gesichtsausdruck. »Die Standardvorgehensweise beim Einsatz von Tarnanzügen ist es, einzeln vorzurücken, manchmal auch in Gruppen von zwei oder höchstens drei. Selbst wenn sie mit einem ganzen Bataillon an Bord gekommen wären, würden sie sich nur dann in einer größeren Gruppe bewegen, wenn sie sich ihrem Ziel nähern. Vermutlich handelt es sich aber insgesamt um höchstens eine Kompanie.«
»Und?«
»Die Geister, Admiral! Diese Syndiks sind allein oder zu zweit im Schiff unterwegs, während wir uns nicht unter Truppstärke durch das Schiff bewegen. Einer von ihnen muss die Nerven verloren und auf etwas gefeuert haben, was gar nicht da ist!«
»Ist es nicht von Nutzen, wenn sie in Panik geraten?«, fragte Geary.
»Normalerweise ja«, entgegnete Major Dietz und gab sich unüberhörbar sehr große Mühe, die Geduld zu bewahren, während er etwas erklärte, was seine Vorgesetzten längst selbst hätten merken müssen. »Aber nicht, wenn sie Atombomben mit sich führen.«
Abrupt schnappte Geary nach Luft. Isoliert operierende Soldaten mit Nuklearwaffen, die von ganzen Scharen geisterhafter Kreaturen angegriffen werden. »Halten Sie sie auf, bevor die durchdrehen und das ganze Schiff hochgehen lassen!«, befahl er Major Dietz und General Carabali.
»Das haben wir vor, Admiral«, sagte Carabali und wandte sich an Dietz: »Rücken Sie aus, sobald Sie bereit sind.«
»Da ist einer!«, riefen Desjani und Lieutenant Castries gleichzeitig und verwirrten Geary einen Moment lang.
Dann schaute er auf sein Display und stellte fest, dass das Symbol für ein Syndik-Shuttle flackerte, da die Flottensensoren die winzigen Hinweise auf seine Existenz entdeckt hatten. Einer der in nächster Nähe befindlichen Leichten Kreuzer fand eine Feuerkontrolllösung, gleich darauf jagte ein einzelner Höllenspeer auf das Shuttle zu.
Der Höllenspeer landete einen Treffer, im nächsten Moment wurde das Gefährt sichtbar, da die Energie an Bord ausfiel und sich die aktiven Tarnsysteme abschalteten. Ein halbes Dutzend Höllenspeere mehr trafen ins Ziel und rissen das Shuttle in Stücke.
»Da ist noch eins«, sagte Desjani, als das nächste Symbol aufleuchtete. »Mit dieser Suchformation haben wir sie in der Falle. Wenn sie sich nicht bewegen, ist es nur eine Frage der Zeit. Wenn sie sich bewegen, bekommen wir sie umso schneller.«
Es kostete Geary wirklich Mühe, sich von der Suche nach den Shuttles loszureißen und nicht sofort wieder zur Situation an Bord der Invincible zurückzukehren, sondern sich stattdessen erst einmal auf die gesamte Lage und auf die gesamte Region zu konzentrieren. »Die Selbstmordpiloten waren zumindest zum Teil ein Ablenkungsmanöver«, wandte er sich an Desjani. »Aber vielleicht wollen sie uns mit dem Enterkommando an Bord der Invincible auch nur ablenken.«
Desjani verkniff sich eine wütende Erwiderung und dachte nach. »Das könnte sein. Allerdings kann ich nichts entdecken, und niemand ist in der Lage, ein Schiff, das größer ist als ein Shuttle, so gut zu tarnen, dass unsere Sensoren es nicht entdecken würden. Jedenfalls kann das kein Mensch, und ich möchte bezweifeln, dass die Tänzer ihre Tarntechnologie mit den Syndiks geteilt haben.«
Bei den nächsten sichtbaren Schiffen handelte es sich durchweg um Syndik-Frachter, und die waren alle weiter als eine halbe Lichtstunde von den Allianz-Kriegsschiffen entfernt. Geary ließ sich Zeit damit, sein Display zu studieren, aber er wurde nicht fündig. »Captain Desjani, ich möchte sehen, was auf der Invincible passiert.«
»Kann ich gut verstehen. Lieutenant Castries«, rief Desjani. »Behalten Sie im Auge, wie viele getarnte Shuttles abgeschossen werden. Ich beobachte in der Zeit alles andere, während der Admiral den Angriff der Syndiks auf die Invincible mitverfolgt.« Leiser fügte sie hinzu: »Machen Sie ruhig. Wir haben hier alles im Griff.«
»Geben Sie mir Bescheid, wenn Ihnen irgendetwas auffällt …«
»Ich kämpfe schon seit mehr Jahren gegen die Syndiks als Sie, Black Jack! Ich weiß, was ich zu tun habe.«
»Ja, Captain«, sagte er. »Ich muss erst noch alles lernen.« Er konzentrierte sich auf das Geschehen an Bord der Invincible, während Lieutenant Castries die Zerstörung von zwei weiteren getarnten Shuttles meldete.
Die Invincible war im Augenblick das wichtigste Thema von allen. Nur von dort konnte ein weiterer verheerender Schlag gegen diese Flotte ausgehen, wenn es den Syndiks gelingen sollte, das Schiff zu sichern und dann zu drohen, es von innen heraus zu zerstören.
Da nur zwei Kompanien an Bord der Invincible unterwegs waren, konnte er nur aus relativ wenigen Übertragungsbildern auswählen. Die Hälfte der Bilder war zudem praktisch stationär, da die Marines zu Einheiten gehörten, die irgendwo im Schiff Verteidigungspositionen eingenommen hatten.
Der Rest war in Bewegung, und von ihnen wählte Geary eines aus, das von der Helmkamera einer Truppführerin übertragen wurde.
Das Fenster, das sich beim Antippen öffnete, zeigte ihm das gleiche Bild, das auch die Marine sah, einschließlich aller Symbole ihres eigenen Helmdisplays. Zu sehen war ein dunkler, leerer Gang an Bord der Invincible. Unwillkürlich lief Geary ein Schauer über den Rücken, da er an die Geister der Kiks denken musste, die sich in diesen Gängen herumtrieben.
Die Marine, deren Bild er sah, war ebenfalls nervös. Ihr Blick zuckte ständig hin und her, immer auf der Suche nach einem Hinweis auf die unsichtbaren Eindringlinge. Aber sie sprach mit fester Stimme, während sie bei Schwerelosigkeit ihre Leute durch das Labyrinth aus Gängen führte. »Nicht so schnell. Die sind komplett getarnt. Wartet auf die Anzeigen. Ski, wachen Sie auf, und halten Sie verdammt noch mal Ausschau auf der Sechs.«
»Bin dabei, Sarge.«
»Von wegen.«
Die Marines hangelten sich von einem Handgriff zum nächsten und schwebten durch einen dunklen Korridor bis zu einem Abzweig, wo sie links abbogen und sich eine Leiter hinaufzogen, die eindeutig für Wesen mit kleineren Füßen und kürzeren Beinen konstruiert war. Dann ging es weiter durch den nächsten Korridor. Die Marines, die dank ihrer Patrouillengänge längst mit dem Grundriss des fremden Schiffs vertraut waren, mussten nur hin und wieder einen Blick auf den Deckplan werfen, der auf ihren Helmschilden dargestellt wurde. »Jetzt Vorsicht«, warnte die Truppführerin. »Der Major sagt, sie sind hier in diesem Bereich.«
»Sarge, da kommt was auf uns zu!«
»Ich nehme keine Bewegung wahr, Tecla.«
»Da. Sehen Sie. Wie jemand, der getarnt ist und der sich viel schneller bewegt, als er eigentlich sollte. Jemand, der von etwas abprallt.«
»Hab ihn. Sie kommen in unsere Richtung. Vorsicht, wenn sie um die Ecke kommen.«
Aber der unsichtbare Syndik-Soldat kam nicht um die Ecke. Vielmehr musste er beim zügigen Laufen nach hinten gesehen haben, da durch den Korridor ein dumpfer Knall hallte, der davon herrühren musste, dass der Syndik gegen das Schott geprallt war, als es ihm nicht gelungen war, sich schnell genug umzudrehen.
»Hab ihn!«, brüllte einer der Marines und eröffnete das Feuer.
Treffer prallten von etwas Unsichtbarem ab, dann nahm das Bild eines Menschen in Kampfpanzerung Gestalt an, und im nächsten Moment wurde der Syndik von einem Dutzend Geschossen durchsiebt, noch bevor er reagieren konnte.
Geary rieb sich die Augen und versuchte sich vorzustellen, was der Syndik wohl gesehen hatte. Kiks, die von allen Seiten auf ihn zustürmten. Echte Geister oder etwas, das von einer letzten Verteidigungsmaßnahme in der Struktur des Schiffs erzeugt wurde, so wie Captain Smythe spekuliert hatte? Was immer es war, es fühlte sich eindringlich genug an, um einen Menschen nervös werden zu lassen.