»Glauben Sie, sie werden bei dieser Version bleiben, auch wenn das bedeutet, dass ihnen als Terroristen die Todesstrafe droht?«
»Schwer zu sagen, Admiral. Wir bewegen uns auf unerforschtem Gebiet, wenn es um diese Dinge geht. Früher waren sie Syndiks, und wir befanden uns mit ihnen im Krieg. Sie stellten feindliche Kämpfer dar. Jetzt, da offiziell Frieden herrscht, sind offizielle Syndiks, die in Gefangenschaft geraten, besser geschützt als ›Freischaffende‹. Allerdings besitzen diese Leute hier nichts, womit sich im Ernstfall belegen ließe, dass sie einen offiziellen Status haben. Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass die Syndik-CEOs in diesem Fall behaupten werden, von diesen Leuten und ihrer Mission keine Ahnung zu haben. Für uns bedeutet das, dass wir sie rechtmäßig hinrichten dürfen, ganz gleich was sie von sich behaupten.«
Und das war diesen Syndiks genauso klar. Hatten sie das gewusst, als sie diese Operation in Angriff genommen hatten? Oder war es ihnen erst klar geworden, als sie an Bord der Invincible in der Falle saßen, ihr Angriffsplan gescheitert war und sie immer weniger wurden, während die Kik-Geister ihnen zu schaffen machten?
»Bieten Sie ihnen die Chance zu überleben an«, sprach Geary bedächtig. »Sagen Sie ihnen, ich gebe ihnen ganz offiziell und vor Zeugen die Zusage, dass jedes Mitglied ihrer Einheit unversehrt bleiben wird, wenn er kapituliert und kooperiert.«
»Ich werde dafür sorgen, dass dieses Angebot sie erreicht«, sagte Carabali. Ihre Miene zeigte keine Regung, nur ihr Tonfall verriet, dass sie einer Vorgehensweise zustimmte, bei der sie davon überzeugt war, dass sie zu nichts führen würde. Dann hielt sie inne und drehte sich zur Seite, um sich einen Bericht anzuhören. »Admiral, der Gefangene, der von uns verhört wird, lässt Anzeichen dafür erkennen, dass er einer mentalen Manipulation unterzogen wurde.«
Unwillkürlich wunderte sich Geary, wieso ihn solche Enthüllungen eigentlich immer noch überraschen konnten. »Was für eine Art von mentaler Manipulation?«
»Das ist noch nicht klar. Sobald die Unterhaltung auf ein militärisches Thema gelenkt wird, liefert er Antworten, die zu einer mentalen Manipulation passen. Möglicherweise sind sie nicht fähig zuzugeben, dass sie zu einer Spezialtruppe gehören oder gehörten.« Carabali verzog den Mund. »Möglicherweise sind sie nicht in der Lage sich zu ergeben. Wenn sie das nicht können, werden wir alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen.«
»Ich verstehe.« Nachdem er bei Commander Benan das Ausmaß derartiger Manipulationen erlebt hatte, konnte er gut verstehen, dass die so behandelten Syndiks nicht in der Lage waren, die Blockade zu überwinden, die man in ihrem Verstand implantiert hatte. Und er wusste auch, warum Carabali das Thema angesprochen hatte. Er war der Oberbefehlshaber, und es fiel in seine Verantwortung, zu entscheiden, ob alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden sollten oder nicht. »Ihre Befehle lauten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedrohung zu eliminieren, die von diesen Syndiks für die Invincible und für unser an Bord befindliches Personal ausgeht.«
»Jawohl, Sir. Alle Vorbereitungen werden getroffen. Wir geben Ihnen Bescheid, bevor wir reingehen.«
Nachdem er das Gespräch mit General Carabali beendet hatte, lehnte sich Geary zurück und versuchte, seine angespannten Muskeln ein wenig zu lockern. Es war nicht nötig, vornübergebeugt dazusitzen, während er sich die Bilder ansah, die von den Kameras der Marines übertragen wurden. Und genauso musste er darauf gefasst sein, jeden Moment einen Satz zu machen und ins Geschehen einzugreifen. Aber es war eben nicht so leicht, die Instinkte zu überlisten. Außerdem fühlte es sich verkehrt an, in einer lässigen Pose dazusitzen und zuzusehen, wie Männer und Frauen ihr Leben riskierten.
»Wann gehen die Marines rein?«, fragte Desjani.
»Woher wissen Sie, dass sie reingehen werden?«
»Das kursiert auf allen inoffiziellen Kanälen in der Flotte. Schon ironisch, nicht wahr?«
»Was?«, fragte Geary verdutzt.
»Dass die Pläne der Syndiks durchkreuzt werden, weil die Kik-Geister ihnen Angst einjagen. Die Kiks helfen uns, das Schiff zu verteidigen, das wir ihnen abgenommen haben.«
»Nur zu schade, dass die Kiks keine Atombomben entschärfen können. Gab es irgendwelche Überlebende von den Shuttles?«
Desjani schüttelte den Kopf. »Nein, aber das ist auch nicht weiter verwunderlich. Wenn ein Shuttle von Kriegsschiffen beschossen wird, bleibt normalerweise nicht viel übrig. Ich habe trotzdem ein paar Zerstörer angewiesen, einige Trümmerteile zu bergen. Vielleicht finden wir ja einen Beweis dafür, dass die Syndiks das zu verantworten haben.«
»Schaden kann es nicht. Danke. Aber wundern Sie sich nicht, wenn sich nichts finden lässt. Sämtliche Ausrüstung der Syndik-Soldaten an Bord der Invincible wurde vollständig anonymisiert.«
»Es heißt, wir hätten mindestens einen Gefangenen.«
»Und die ersten Verhöre deuten darauf hin, dass man mit den Soldaten etwas Ähnliches gemacht hat. Mentale Blockaden.«
Sie sah ihn lange schweigend an. »Die Vorfahren mögen uns beistehen. Warum um alles in der Welt haben sich die Menschen der Syndikatwelten nicht dazu durchringen können, ihre verdammten CEOs in kleine Stücke zu reißen?«
»Wenn ich das wüsste.« Er musste an einige Sternensysteme denken, die sie zu sehen bekommen hatten. »Ich schätze, hier und da werden sie es schon gemacht haben. Vielleicht ist das ja der Grund, wieso die Syndik-CEOs uns mit allen Mitteln zu bekämpfen versuchen. Sie müssen schreckliche Angst davor haben, was jeden Einzelnen von ihnen erwartet, wenn sie auch nur die geringste Schwäche erkennen lassen.«
»Sie meinen, die versuchen mit heiler Haut davonzukommen, indem sie die Leute noch wütender auf sich machen? Ja, das dürfte funktionieren.«
Er teilte ihre Meinung, worauf die um sich greifenden Revolten gegen die Taktiken der Syndik-Regierung auf lange Sicht hinauslaufen würden. Aber für den Augenblick änderte das nichts an der Tatsache, dass diese Flotte sich mit den zunehmend verzweifelten und immer verschlageneren Taktiken der CEOs konfrontiert sah, die alles versuchten, um an der Macht zu bleiben.
Geary musterte sein Display. Die Flotte entfernte sich vom Hypernet-Portal, die Zerstörer und die Leichten Kreuzer waren nach wie vor um die Invincible geschart. Auf dem Weg, den die Flotte nehmen würde, befand sich kein Hindernis … jedenfalls nichts, was für ihn erkennbar gewesen wäre, korrigierte sich Geary. Da waren nur ein paar Handelsschiffe unterwegs, von denen das nächstgelegene immer noch über zwanzig Lichtminuten entfernt war. »Tanya, berechnen Sie einen Kurs zum Sprungpunkt nach Simur. Ich will einen weiten Bogen fliegen. Auch wenn es dann länger dauert als eigentlich nötig, will ich vermeiden, dass uns auf dem direkten Weg weitere Hindernisse erwarten.«
»Kein Problem, Admiral. Sollen wir dann auch sofort auf diesen Kurs einschwenken?«
»Nein, warten Sie damit noch. Ich möchte nicht mit der Invincible durch das System fliegen, solange die Marines ihre Arbeit noch nicht erledigt haben.«
Sein Blick kehrte zum Display zurück. Sobek verfügte nur über einen Sprungpunkt. Wer also durch das Hypernet-Portal hier eintraf und den Kurs auf sein nächstes Ziel nicht auf gleichem Weg nahm, der konnte nur nach Simur weiterreisen. Von dort konnte die Flotte nach Padronis springen und von dort nach Atalia, von wo aus das im Allianz-Gebiet gelegene Varandal-Sternensystem erreicht werden konnte. Kein allzu langer Weg, aber zu berechenbar für den Fall, dass die Syndiks weitere Fallen gestellt hatten. Es ist nicht nur Sobek, es ist auch das Problem, dass wir von Sobek aus keine Alternativen haben. Von Sobek nach Simur, von dort nach Padronis, wenn wir nach Hause gelangen wollen. Als wir das letzte Mal in Atalia waren, hat man dort mit der Syndik-Regierung nicht mehr zusammengearbeitet. Aber bis Atalia ist jedes System für uns ein Spießrutenlaufen.