Ein weiteres eingehendes Gespräch holte ihn aus seinen düsteren Gedanken über ihren Heimweg. Rione hatte wieder diesen frostigen Gesichtsausdruck, den sie immer dann zur Schau stellte, wenn sie extrem frustriert war. Zum Glück betraf ihre Laune nicht ihn.
»Wenn Sie erwarten, dass sich die Situation an Bord der Invincible mit Diplomatie oder Verhandlungen lösen lassen wird, dann sollten Sie andere Optionen in Erwägung ziehen«, sagte sie.
»Ich habe das nicht erwartet, ich habe das eher so gesehen, dass ein Versuch nicht schaden kann«, räumte Geary ein. »Sie sehen also keinen Grund für die Hoffnung, dass sich die Lage mit Worten anstelle von Taten lösen lässt?«
Rione schüttelte den Kopf. »Es mag an dieser Umgebung liegen, vielleicht auch an der Tatsache, dass diese Gruppe in einer ausweglosen Situation steckt. Auf jeden Fall will die Frau, mit der ich gesprochen habe, keinen Millimeter nachgeben, auch wenn sie einen verunsicherten Eindruck macht. Es ist so, als würde man mit Leuten reden, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie wissen, sie können nicht entkommen, aber sie wollen auch nicht aufgeben. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie ihnen versprechen wollten, sie wie militärische Gefangene zu behandeln, sollten sie sich ergeben. Ich bin mir nicht sicher, dass Sie dieses Versprechen halten könnten, wenn wir mit ihnen erst einmal ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt sind, aber das hat nichts bewirkt. Sie scheinen Versprechen von hochrangigen Offiziellen keinen Glauben zu schenken.«
»Natürlich nicht. Es sind Syndiks. Hat General Carabali Ihnen von den Hinweisen darauf erzählt, dass diese Leute mental manipuliert worden sein könnten?«
»Ja, allerdings kann ich aus meinen Gesprächen nicht ableiten, ob das stimmt oder nicht«, sagte Rione und ergänzte: »In Fällen wie diesen ist es eigentlich nicht möglich, einen Unterschied festzustellen, ob jemandem eine mentale Blockade implantiert wurde oder ob jemand von seiner Sache so überzeugt ist, dass er damit seinen eigenen Verstand blockiert.«
Geary fuhr sich durchs Haar und überlegte, was er tun konnte. »Glauben Sie, die haben tatsächlich eine Atombombe? Und falls ja, glauben Sie, die werden sie zünden?«
»Das sind gute Fragen, auf die ich keine guten Antworten habe«, entgegnete Rione.
Was auch sonst? »Hatten Sie den Eindruck, dass sie immer noch glauben, dass jemand kommt und sie rettet? Wissen sie, dass wir all ihre Shuttles zerstört haben?«
»Sie wissen das, was wir ihnen gesagt haben, Admiral. Dass sie es uns auch glauben, halte ich für unwahrscheinlich.«
Erschöpft nickte Geary. »Reden Sie bitte weiter mit ihnen.«
»Da Sie mich so freundlich bitten, werde ich das machen.« Sie verzog angewidert den Mund. »Ich werde mit ihnen reden, bis sie von den Marines getötet werden. Vielleicht wird sie das ja ablenken, und die Marines haben leichteres Spiel. Haben Sie schon mal mit jemandem in dem Moment gesprochen, als er starb?«
»Nein«, antwortete Geary.
»Ich auch nicht. Aber vielleicht ist es ja heute so weit. Ich habe den Verdacht, dass ich bald erfahre, wie sich das anfühlt.«
Er kniff die Augen zu und verzog den Mund, nachdem Rione das Gespräch beendet hatte. Dann straffte er die Schultern und konzentrierte sich wieder auf die Situation der Marines. An Bord der Invincible hatten die Marines ihren sphärenförmigen Kordon um den Bereich enger gezogen, den Major Dietz als den wahrscheinlichen Standort der Syndiks bestimmt hatte. Die Gänge und Abteile ringsum sowie oberhalb wie auch unterhalb der vom Feind besetzten Sektion waren bereits hermetisch abgeriegelt. Auf Gearys Bild vom Deckplan der Invincible waren fünf Abteile als vom Gegner eingenommen markiert zu erkennen. »Wissen wir, dass sie dort sind?«, fragte Geary an Major Dietz gewandt.
»Ja, Sir«, meldete der Marine. »Wir haben den Bereich ein wenig auskundschaften können, aber da die Syndiks sich noch immer im Tarnmodus befinden, lässt sich ihre Zahl nicht exakt feststellen. Wir schätzen, dass es etwa zwanzig Leute sind, Admiral.«
»Guter Instinkt, was ihre Position betrifft, Major. Wissen wir auch, ob sie tatsächlich eine dritte Atombombe bei sich haben?«
Major Dietz errötete leicht, als er Gearys Lob hörte, dann zögerte er einen Moment lang. »Admiral, wir haben Sensormücken reingeschickt, die das Einzige waren, was wir durch die Gegenmaßnahmen der Syndiks hindurchschaffen konnten, mit denen sie alle Zugänge gesichert haben. Diese Mücken haben keine zusätzliche Strahlung auffangen können, die auf eine Atombombe hindeuten würde. Aber wegen ihrer Größe und der geringen Energievorräte können sie nur begrenzt Daten liefern. Und falls die Syndiks die Bombe zusätzlich abgeschirmt haben, hätten wir sogar mit leistungsfähigerer Ausrüstung Schwierigkeiten, etwas festzustellen.«
»Was wäre nötig, um absolut sicher zu sein?«
»Um absolut sicher zu sein?«, wiederholte Dietz. »Reingehen und nachsehen, Admiral.«
Admiral Lagemann betrachtete während des Gesprächs den Deckplan der Invincible, dann sagte er: »Ich habe gerade über etwas anderes nachgedacht. Wir haben einen guten Überblick darüber, wie die Invincible im Inneren aussieht, weil die Daten von unseren Patrouillen und den automatischen Kartographierungsdrohnen zusammengetragen wurden. Wir verfügen über einen sehr präzisen Plan der Decks. Und jetzt sehen Sie sich das an.« Auf dem Plan leuchteten verschiedene Punkte auf. »Jeder dieser Punkte steht für eine Syndik-Präsenz. Wenn Sie sich ansehen, wie sich die Entdeckung der Eindringlinge entwickelt hat, dann zeigt uns das, welchen Weg die Syndiks ursprünglich genommen haben.«
»Worauf basieren diese Entdeckungen?«, wollte Geary wissen.
»Versuchsweise getäuschte Lamarr-Sensoren und fragmentarische Hinweise, die von anderen Sensoren festgestellt wurden«, erklärte Lagemann. »Es ist kein perfektes Bild, aber es ist das Beste, was wir erwarten dürfen, wenn wir es mit getarnten Widersachern in einer Umgebung wie der Invincible zu tun haben. Sie sind gleichzeitig an der Pseudo-Maschinenkontrolle und auf der Pseudo-Brücke eingetroffen. Sie haben die unterschiedlichsten Routen genommen, die in einigen Fällen auf eine Zurückverfolgung hindeuten, da die Syndiks schließlich nichts über das Innenleben der Invincible wussten. Aber so breit gefächert sie auch ins Schiff vorgedrungen sind, waren sie nach unseren Beobachtungen doch alle zielstrebig auf dem Weg zu den zwei Bereichen. Nachdem sie die Pseudo-Bereiche besetzt hatten, sind sie wieder ausgeschwärmt dieser Achse hier gefolgt.«
Major Dietz nickte. »Das ist die grobe Richtung hin zu dem Bereich, in dem wir uns tatsächlich aufhalten. Die Emissionen der Esel haben geholfen, unsere wahre Position zu verschleiern. Nachdem die Esel abgeschaltet waren, müssen die Syndiks Hinweise auf unseren eigentlichen Aufenthaltsort entdeckt haben.«
»Worauf ich hinauswill«, fuhr Lagemann fort, »ist die Tatsache, dass sie ursprünglich nur zwei Ziele angesteuert haben. Es gab keine dritte Gruppe, die parallel versucht hat, die Waffenkontrolle zu erreichen, obwohl sie die auch hätten einnehmen müssen.«
»Was dafür spricht, dass sie in Wahrheit nur zwei Atombomben mitgebracht haben?«, folgerte General Carabali. »Diese Analyse leuchtet ein, die Frage ist nur, ob wir darauf unser letztes Hemd verwetten sollen.«
Lagemann grinste schief. »Wenn wir uns irren, und sie haben eine dritte Bombe, dann können Sie mein letztes Hemd gern haben.«
»Wir würden uns gar nicht in dieser Situation befinden, wenn die nicht versucht hätten, sich unser Schiff in ihre Hemdtasche zu stecken«, wandte Dietz ein.
»Sind Sie jetzt alle fertig?«, fragte Geary aufgebracht.
»Tut mir leid«, erwiderte Admiral Lagemann. »Das sind nicht gerade die neuesten Witze. Tut mir wirklich leid. Aber ich glaube, man kann mir ein bisschen Galgenhumor verzeihen, damit ich nicht die ganze Zeit über die möglichen Konsequenzen für mich und meine Crew nachdenke, dass ich Sie dazu gedrängt habe, die Marines an Bord zu schicken.«