Geary betrachtete wieder den Deckplan der Invincible. »Ist jemand der Meinung, dass wir auf Zeit spielen können?«
Nur Carabali antwortete. »Nein, Sir. Wenn diese Leute bereit sind, für ihre Mission zu sterben, und wenn sie wirklich eine Bombe haben, dann müssen wir so bald wie möglich zuschlagen, bevor diese Erscheinungen auf der Invincible sie so verrückt machen, dass sie die Bombe grundlos zünden.«
»In den Abteilen, in denen sie sich befinden, können sie die Geister auf jeden Fall spüren«, stimmte Major Dietz ihr zu. »Seit wir die meisten Geräte und auch die Lebenserhaltungssysteme abgeschaltet haben, sammeln sie sich um uns herum. Es hilft, dass sich hier genug Leute aufhalten, aber das unheimliche Gefühl bleibt.«
»Schalten Sie Ihre Geräte wieder ein«, befahl ihm Carabali. »Und auch die Lebenserhaltung. Wenn sich noch irgendwo Syndiks aufhalten, die bislang nicht festgestellt worden sind und die durch diese Geister noch nicht in den Wahnsinn getrieben wurden, dann werden sie sich in Ihre Richtung begeben, sobald die Emissionen stärker werden. Das gibt Ihnen die Chance, sie außer Gefecht zu setzen. Admiral, sobald wir fertig sind, möchte ich diese fünf Abteile stürmen, in denen sich die zwanzig Syndiks verschanzt haben.«
Geary musste kurz nachdenken. Er durfte sich nicht zu viele Gedanken über die Folgen machen, sollten die Syndiks tatsächlich eine dritte Atombombe haben und sie auch zünden. Allein die Vorstellung genügte, um ihn aus der Ruhe zu bringen. Eigentlich war er voller Wut auf die Syndiks und fest entschlossen, sie nach ihrem hinterhältigen Angriff hier bei Sobek nicht gewinnen zu lassen, in welcher Form auch immer.
Die Invincible war von ungeheurem Wert für die Menschheit, selbst dann, wenn man außer Acht ließ, welchen Preis die Flotte bei der Einnahme des Superschlachtschiffs bereits bezahlt hatte. Konnte er es riskieren, dass dieses Schiff zerstört wurde und damit alles, was die Menschheit von der Invincible zu lernen imstande war?
Andererseits war da die Frage, ob er es wagen konnte, das Schiff aufzugeben. Was, wenn sich an Bord das Geheimnis für die planetare Verteidigung der Kiks finden ließ, die in der Lage war, anfliegende Objekte einfach abzudrängen – eine Technologie, über deren Funktionsweise die Menschen noch nicht das Geringste in Erfahrung hatten bringen können? Was, wenn die Syndiks in den Besitz dieses Geheimnisses gelangten? Jene Syndik-CEOs, die bereit waren, Selbstmordattacken anzuordnen, und die mit der Vernichtung der Invincible drohten, von der man so viel würde lernen können.
»Stürmen Sie, sobald Sie bereit sind«, sagte Geary. »Wenn Sie weitere Gefangene nehmen könnten, wäre das sehr schön, weil ich Überlebende gebrauchen kann, die aussagen, dass dieser Angriff von den Syndikatwelten befohlen wurde. Das Hauptziel ist aber, die Syndiks so schnell wie möglich zu überwältigen, damit keiner von ihnen noch Zeit genug hat, die Bombe zu zünden, sofern sie wirklich eine haben.« Er fragte lieber gar nicht nach den Erfolgsaussichten dieser Aktion, da das ohnehin nur wilde Vermutungen sein würden.
Major Dietz salutierte. »Fünf Minuten, Admiral. Wir haben den Angriffsplan bereits ausgearbeitet. Wir werden von allen Seiten gleichzeitig zuschlagen.«
»Gut.« Geary widmete sich daraufhin wieder der Gesamtsituation, während er versuchte, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen, die ihm zeigten, was vielleicht schon bald passieren würde, wenn er die falsche Entscheidung getroffen hatte. »Immer noch alles ruhig?«, fragte er Desjani.
»Ja. Ich habe ein umfassendes Bombardement der primären bewohnten Welt angeordnet, das vor zehn Minuten begonnen wurde. Aber das wird erst in eineinhalb Tagen da ankommen, also gibt es momentan nichts Neues zu sehen.«
Er warf ihr einen mürrischen Blick zu. »Das ist nicht witzig. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, wieso auf einmal jeder meint, er müsste schlechte Witze reißen?«
Sie sah ihm in die Augen. »Ja, weil wir Angst haben.«
»Oh.« Mehr wusste Geary darauf nicht zu erwidern.
»Wir werden auf untypische Weise angegriffen«, erklärte sie. »Keiner weiß, was als Nächstes kommt. Und wir wissen auch nicht, ob all die Opfer, die wir gebracht haben, um die Invincible zu kapern, vielleicht vergebens gewesen sein werden, weil die Gefahr besteht, dass in diesem Schiff ein kleiner Stern erglüht und es auslöscht. Wir wollen endlich nach Hause kommen, aber wir wissen nicht, welche Steine uns die verdammten Syndiks noch in den Weg legen werden. Reicht das?«
»Das reicht.« Er zuckte betreten mit den Schultern. »Ich war zu beschäftigt, um über diese Dinge nachzudenken.«
»Zu beschäftigt damit, die Flotte zu befehligen? Sie haben vielleicht Nerven.« Desjani lächelte flüchtig. »Wir müssten noch viel mehr Angst haben, wenn Sie nicht das Kommando hätten.«
»Die Marines stürmen gleich den Bereich, in dem sich die restlichen Syndiks verschanzt haben. Und zwar in … vier Minuten.«
»Sollten wir die Zerstörer ein Stück weit zurückziehen? Wegen des Suchmusters befinden sie sich sehr nahe beim Schiff.«
Darüber musste er erst einmal nachdenken, da es galt, das mögliche Risiko für die Zerstörer gegen die Folgen für die Moral derjenigen abzuwägen, die sich an Bord der Invincible befanden. Wenn die Leute ohnehin schon Angst hatten und wenn sie dann auch noch einen Beleg dafür sahen, dass sogar Geary mit dem Schlimmsten rechnete, würde das ihre Angst nur noch verstärken. »Nein, die Marines werden sich schon um die Bedrohung kümmern.« Außerdem sind vier Schlachtschiffe an der Invincible vertäut. Die Zeit reicht nicht, um diese Taue zu lösen und sich zurückzuziehen.
»Kümmern Sie sich ruhig wieder um Ihre Marines«, drängte Desjani ihn. »Ich habe die Flotte im Griff.«
Verwundert sah er sie an. »Augenblick mal. Sie agieren als meine Stellvertreterin?«
»Na klar. Fällt Ihnen das jetzt erst auf, Sir?«
»Und niemand hat etwas dagegen einzuwenden?«
»Warum sollte jemand was dagegen einwenden?« Nachdem sie ein paar Sekunden lang gewartet hatte, während Geary vergeblich nach einer unverfänglichen Antwort suchte, fuhr sie fort: »Badaya, Tulev, Duellos und Armus haben damit kein Problem, und solange die das akzeptieren, wird sich auch kein anderer beschweren.« Wieder legte sie eine kurze Pause ein. »Jane Geary hat auch keine Einwände, also habe ich die Gearys auf meiner Seite. Ich komme mir fast vor, als würde ich zur Familie gehören.«
»Hm … aha. Gut, dann … machen Sie weiter mit … mit dem, was Sie machen.«
»Ja, Sir, Admiral.« Sie schaute auf die Zeitanzeige. »Ihnen bleiben noch zwei Minuten, bis die Leute reingehen.«
»Danke.« Er konzentrierte sich wieder auf die Marines und suchte sich die Führer der Einheiten heraus, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Syndiks aufhielten, dann wählte er einen davon zufällig aus.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich auf die Position der Marine-Lieutenant orientiert hatte, deren Kamerabild er nun sah. Schließlich wurde ihm klar, dass sich dieser Zug über den von den Syndiks besetzten Abteilen befand. Einige Gefechtsingenieure waren fast damit fertig, Hüllenbruch-Band auf dem Boden anzubringen, das einen großen Bereich in der Mitte des Abteils umfasste, in dem sich die Marines befanden. Der gesamte Zug schwebte mit feuerbereiten Waffen über der markierten Fläche.
Ein Timer im Helmdisplay der Lieutenant lief Sekunde um Sekunde zurück. »Noch eine Minute«, warnte sie ihren Zug. »Sie kennen Ihre Befehle. Falls möglich, Gefangene nehmen, aber wichtig ist, jeden daran zu hindern, die Bombe zu zünden.«