Rund siebenunddreißig Minuten später war die Flotte – die wieder begonnen hatte, auf 0,1 Licht zu beschleunigen – immer noch damit beschäftigt, jedes Schiff an seinen neuen Platz innerhalb der Formation zu bringen. Gleichzeitig konnte Geary mitansehen, wie hinter ihnen das Hypernet-Portal allmählich zusammenbrach. Die als Trossen bezeichneten Objekte, die die Energiematrix kontrollierten, schalteten sich nacheinander oder in kleinen Gruppen ab, was sich in einer komplexen Sequenz abspielte, weil verhindert werden musste, dass sich die Matrix in einem einzigen Impuls entlud, der alles Leben in diesem Sternensystem auslöschen würde. Das An- und Abschwellen der gewaltigen Kräfte im Inneren des kollabierenden Portals erzeugte dabei Verzerrungen im Raum, die mit dem bloßen Auge zu beobachten waren.
Geary hatte diese Kräfte aus nächster Nähe zu spüren bekommen, als sie bei Sancere alles darangesetzt hatten, den Zusammenbruch des dortigen Hypernet-Portals zu verhindern. Er verspürte kein Verlangen danach, je wieder einem im Kollaps befindlichen Portal so nah zu sein. Sogar jetzt, auf diese große Entfernung, bereitete der Anblick ihm großes Unbehagen. Das war nichts, was ein menschliches Auge jemals erblicken sollte. Es war eine Sache, wenn die Wissenschaft erklärte, wie unsicher die »Realität« sei, und wie bizarr das war, das sich jenseits des stofflichen Universums befand. Aber es war etwas ganz anderes, das Befremdliche und Instabile hinter dem Vorhang mit eigenen Augen zu erblicken.
Dennoch verspürte Geary eine große Genugtuung, das Portal zusammenbrechen zu sehen. Es würde zwar die Orion nicht wieder zum Leben erwecken, aber so bezahlten die Syndiks wenigstens einen Preis, den sie sich eigentlich nicht leisten konnten.
Der Todeskampf des Hypernet-Portals erlebte seinen Höhepunkt, die Verzerrung im All schrumpfte rapide zusammen, noch während das Energieniveau im Inneren beängstigend anstieg. Dann kollidierten die letzten Energiewellen und hoben sich gegenseitig auf, bis nichts weiter übrig war als die verstreut durchs All treibenden, nutzlos gewordenen Trossen.
Sieben
»Der Senior-CEO der Syndiks in diesem Sternensystem drückt sein Mitgefühl über unseren Verlust aus«, meldete Rione ohne jede Betonung. »Er behauptet außerdem, nichts über die Identität der Kurierschiffe zu wissen, da die Syndik-Regierung alle diese Schiffe vor einer Weile verkauft habe. Wenn ich ihn nach der Identität der Käufer frage, werde ich zweifellos zur Antwort bekommen, dass man mit Schrecken festgestellt hat, dass der Käufer nur ein Strohmann war, der von einer unbekannten Gruppierung vorgeschoben wurde.«
»Würde mich nicht wundern«, sagte Geary, der gleichermaßen versuchte, seine Gefühle aus dem Spiel zu lassen. Sie befanden sich auf Riones Bitte im Konferenzraum, um sich ungestört unterhalten zu können. »Wie viel Zeit ist nach dem Angriff verstrichen, bis die Nachricht uns erreicht hat?«
»Gesendet wurde sie zwanzig Minuten nach dem Moment, als sie das Ende des Angriffs mitangesehen haben müssen«, antwortete sie. »Also mit genügend Verzögerung, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie von dem Angriff auf uns gleich nach unserem Eintreffen in diesem System gewusst haben. Sie haben allerdings noch nichts geleugnet, was den Angriff auf die Invincible betrifft.«
»Von der Zerstörung der getarnten Shuttles abgesehen gab es da nicht viel zu sehen, was sich außerhalb des Schiffs abgespielt hat«, betonte Geary. »Es wäre doch sehr verdächtig, die Beteiligung an etwas zu leugnen, was man gar nicht gesehen haben kann.«
»Was sollen wir ihnen über diesen Vorfall sagen?«, wollte Rione wissen, setzte sich ihm gegenüber hin und stützte sich mit einem Ellbogen auf dem Tisch ab.
Er betrachtete das Sternendisplay, das zwischen ihnen über dem Tisch schwebte. In der Mitte befand sich der Stern Sobek, der Kurs der Ersten Flotte führte in einem eleganten Bogen zu diesem Stern. In einigen Lichtstunden Entfernung von der Flotte zog die primäre bewohnte Welt ihre Bahnen durch das System – die Welt, auf der sich die CEOs befanden, die von dem Angriff der Kurierschiffe und der versuchten Kaperung der Invincible zweifellos gewusst und beides wahrscheinlich auch unterstützt hatten, weshalb sie ebenfalls für die Zerstörung der Orion verantwortlich waren.
»Gar nichts«, entschied er schließlich. »Sollen sie ruhig rätseln, was wohl passiert ist.«
Sie schürzte den Mund und schüttelte den Kopf. »Wir könnten ihnen sagen, dass wir Gefangene genommen haben, die wir als Beweis mit ins Allianz-Gebiet nehmen.«
»Als Beweis für was? Diese Gefangenen werden nichts verraten, was eine offizielle Beteiligung der Syndiks belegen könnte. Unsere Ärzte sagen, wenn wir sie hartnäckig genug befragen, werden sie dabei sterben.«
»Wir wissen das, aber die Syndiks nicht«, sagte Rione. »Die wissen zwar, was sie ihren Soldaten angetan haben, aber sie können nicht beurteilen, ob wir eine neue Methode entwickelt haben, um mentale Manipulationen rückgängig zu machen.«
»Hm.« Eine solche Andeutung könnte einige Syndik-CEOs sehr nervös machen, und vielleicht würde damit den Soldaten zukünftig eine solche Manipulation erspart bleiben, wenn die Syndiks erst einmal befürchten mussten, dass ihre Methoden nicht mehr ausreichten, um ihre Leute am Reden zu hindern. »Wenn Sie etwas in dieser Art indirekt vermitteln können, dann machen Sie das. Aber nennen Sie keine Details über den Angriff auf die Invincible.«
»Halten Sie mich für eine Anfängerin, Admiral?« Sie schaute auf das Sternendisplay. »Wir sollten sie auch wissen lassen, dass wir allen Anstrengungen zum Trotz leider nicht in der Lage waren, ihr Hypernet-Portal zu retten.«
»Haben Sie den für die Syndiks bestimmten Bericht gelesen, den Captain Smythe vorbereitet hat?«
»Smythe hat den Bericht nicht geschrieben. Mich würde interessieren, von wem er stammt.«
»Wieso?«
Rione musterte ihn eindringlich. »Weil derjenige über einige sehr nützliche Talente verfügt.«
Geary verzog den Mund zu einem kurzen und unübersehbar aufgesetzten Lächeln. »Die Identität dieser Person ist bis auf Weiteres mein Geheimnis.«
»Wie Sie wollen.«
Sie hatte zu schnell aufgegeben, was Geary verriet, dass sie verschiedene Hebel in Bewegung setzen würde, um Lieutenant Jamensons Identität zu enthüllen. »Gibt es sonst noch was?«
»Eine Sache, Admiral.« Sie sah ihn auf rätselhafte Weise an. »Wie fühlen Sie sich?«
»In Bezug auf was?«
»In Bezug auf die Zerstörung des Hypernet-Portals. Wie fühlen Sie sich jetzt?«
»Was soll diese Frage?«, konterte Geary, anstatt zu antworten.
»Sie sind einen Schritt zu weit gegangen, Admiral. Das wissen Sie so gut wie ich. Sie haben die Zerstörung des Portals angeordnet, obwohl Sie keinerlei rechtliche Handhabe dazu hatten. Der Kollaps des Hypernet-Portals in diesem System ist eine unmissverständliche Botschaft an die Adresse der Syndiks, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie sich mit dieser Flotte anlegen. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Grenzen dessen, was Sie tun können und was nicht, von Ihnen selbst festgelegt sind.«
Fast hätte er sie angebrüllt und sie zum Teufel gewünscht, um ihr klarzumachen, dass hier anständige Männer und Frauen ihr Leben verloren hatten und dass die Syndiks in diesem System von Glück reden konnten, dass er kein orbitales Bombardement befohlen hatte, um jede Stadt, jede Siedlung und jede Einrichtung auszulöschen. Anstatt ihr das alles aber ins Gesicht zu brüllen, zählte er langsam bis zehn, dann gab er zurück: »Soweit ich mich erinnern kann, hat mich jemand auf die Idee zu genau dieser Aktion gebracht.«