Выбрать главу

»Durch Eigeninteresse und Angst.«

»Meine Frage war ernst gemeint.«

Rione reagierte wieder einmal mit diesem herablassenden Blick. »Meine Antwort ebenfalls. Eigeninteresse plus Angst funktionieren gut, zumindest eine Zeit lang. Und zwar so lange, bis das Eigeninteresse, das nicht durch eine übergeordnete Loyalität gebändigt wird, zerstörerischer wird, als das System es aushalten kann. Und bis die Angst, sich gegen das System zu erheben, von der Angst verdrängt wird, weiter in diesem System leben zu müssen. Früher oder später läuft es immer darauf hinaus. Im Fall der Syndikatwelten versetzte der Krieg ihre Anführer in die Lage, die Angst vor uns zu nutzen, um die Angst davor zu schüren, sich gegen das eigene System zu erheben. Die Syndikatwelten zerfallen nicht nur, weil der Krieg eine so große Belastung dargestellt hat, und auch nicht, weil sie den Krieg und infolgedessen einen erheblichen Teil ihres militärischen Personals verloren haben. Sie zerfallen auch, weil die Angst vor der Allianz nicht länger benutzt werden kann, um die einzelnen Individuen und die einzelnen Sternensysteme an die Syndik-Regierung zu binden.«

»Ich verstehe«, sagte Geary nachdenklich. »Die Allianz sieht sich ganz ähnlichen Belastungen ausgesetzt, weil die Angst vor den Syndiks für unseren Zusammenhalt gesorgt hat.«

»Ein Feind von außen ist für jeden Politiker das Beste, was er sich wünschen kann«, kommentierte sie ironisch. »Indem sie auf einen solchen Feind zeigen, können sie sehr vieles entschuldigen und rechtfertigen. Aber das heißt nicht, Feinde von außen seien nie real. Wie heißt diese alte Redewendung doch gleich noch? Nur weil man paranoid ist, bedeutet das noch lange nicht, dass nicht doch jemand da ist, der einem was will.«

»Und die Syndiks tun, was sie können, um uns was zu wollen«, fügte Geary an. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: »Ich habe mich gefragt, welches Ziel die Syndiks verfolgen. Warum greifen sie uns auf diese Weise an? Sie müssen doch wissen, dass sie nicht gewinnen können. Aber ich glaube, Sie haben mich soeben auf die Antwort gebracht.«

»Das mache ich ganz wundervoll, nicht wahr?«, meinte Rione daraufhin. »Wenn Sie nicht noch mehr von meinen weisen Ratschlägen benötigen, würde ich jetzt gern meine Antwort auf die jüngsten Forderungen der Syndiks formulieren.«

Geary kehrte auf die Brücke zurück und nahm in seinem Sessel Platz, wobei er zum x-ten Mal versuchte, beim Blick auf sein Display das Fehlen der Orion in der Flottenformation nicht zur Kenntnis zu nehmen. Nachdem er monatelang die Orion im Blick gehabt hatte, weil sie wegen der immer falschen Befehlshaber für die Flotte eher im Weg gewesen war, hatte sie unter Commander Shen eine Wende um hundertachtzig Grad bewältigt und sich zu einem wertvollen Mitglied der Flotte entwickelt. Unwillkürlich schaute er auf die Stelle, wo die Orion sich hätte befinden müssen, aber nicht mehr zu sehen war.

Er warf Desjani einen Seitenblick zu. Sie erledigte verbissen ihre Arbeit, ohne sich ihre Trauer anmerken zu lassen. Trotzdem wusste er, dass Shen ein guter Freund von ihr gewesen war. Jetzt war er nur noch ein weiterer Kamerad, dessen Name auf der Tafel in ihrem Quartier zu finden sein würde, ein weiterer Eintrag auf der Liste derer, die gestorben waren und die Desjani niemals vergessen wollte.

»Ja, Admiral?«, fragte Desjani plötzlich. Sie hatte ihn nicht angesehen, ihr war nicht anzumerken gewesen, dass sie seinen Blick wahrgenommen hatte, und doch musste sie es irgendwie gespürt haben.

»Ich habe nur … nachgedacht«, erwiderte er.

Sie sah ihm in die Augen, dabei wurde ihm klar, dass sie genau wusste, was er gedacht hatte. Manchmal war es ihm unheimlich, wie leicht Tanya ihn durchschauen konnte. »Wir müssen die Erinnerung bewahren, aber wir können es uns nicht leisten, zu viel über Dinge nachzudenken, die uns von den Dingen ablenken, über die wir nachdenken müssen

»Glauben Sie mir, ich denke über fast nichts anderes nach als darüber, was die Syndiks noch alles geplant haben könnten. Ich habe eine Flottenkonferenz bislang nur vor mir hergeschoben, weil ich mir erst ein paar Themen zurechtlegen wollte, über die ich reden möchte, um alle von unseren Verlusten abzulenken.«

Sekundenlang sah sie ihn schweigend an. »Ich bezweifle, dass sich irgendjemand ablenken lassen könnte, Admiral. Nicht von solchen Ereignissen. Aber wenn uns nichts einfällt, sollten wir vielleicht noch andere Denker dazuholen. Haben Sie mit Roberto Duellos gesprochen? Oder Jane Geary? Mit irgendjemandem außer mir und dieser Frau?«

»Ja, ich habe mit anderen Leuten gesprochen. Und diese Frau hat gerade eben ein interessantes Bild gezeichnet, was die Syndik-Regierung langfristig planen könnte.« Er fuchtelte wütend mit den Händen. »Aber was die lokale Bedrohung angeht, muss ich mich mit der Tatsache abfinden, dass wir hier niemanden haben wie … na, wie diese beiden Colonels, die für General Drakon arbeiten. Jemanden, der wie ein Syndik denkt und der erahnen könnte, zu welcher List sie als Nächstes greifen werden.«

»Sie wollen ja nur Colonel Morgan wiedersehen«, sagte Desjani. »Oh, regen Sie sich nicht auf, das war nur ein Scherz. Allmählich sollten Sie wissen, dass ich zu Scherzen greife, wenn ich mit einer schwierigen Situation klarkommen muss. Also gut, wir haben keine Syndiks in der Flotte, abgesehen natürlich von unseren Gefangenen an Bord der Invincible. Aber die geben ja gar nicht erst zu, dass sie Syndiks sind. Trotzdem heißt das nicht, dass uns keine listigen Denker zur Verfügung stehen.« Desjani betätigte eine Taste. »Master Chief Gionnini, ich benötige jemanden mit einer verschlagenen Denkweise.«

Minuten später tauchte das Gesicht des Master Chief vor ihr in einem virtuellen Fenster auf. »Jemanden mit einer verschlagenen Denkweise? Sie wollen, dass ich jemanden für Sie ausfindig mache, auf den das zutrifft, Captain?«, fragte Gionnini todernst.

»Ich glaube, ich begnüge mich mit Ihnen, Master Chief. Sie sind doch über die Ereignisse in diesem Sternensystem auf dem Laufenden, nicht wahr?«

»Ja, Captain. Jedenfalls habe ich mich bei allem auf dem Laufenden gehalten, was meiner Position innerhalb der Flotte entspricht …«

»Verschonen Sie mich mit Ihrer falschen Frömmigkeit, Master Chief«, unterbrach Desjani ihn. »Ich möchte, dass Sie sorgfältig über die folgende Frage nachdenken: Wenn Sie dieser Flotte weiteren Schaden zufügen wollten, solange sie sich noch in diesem System befindet, was würden Sie dann versuchen?«

»Sie meinen, wenn ich ein Syndik wäre, Captain?«

»Wenn es Ihnen lieber ist, stellen Sie sich vor, dass dies hier eine Syndik-Flotte ist, und sie wollen ihr unbedingt noch eins auswischen, bevor sie das Sternensystem verlässt.«

»Minen am Sprungpunkt«, antwortete Gionnini, ohne zu zögern. »Wir können das System auf jedem beliebigen Weg durchqueren, aber wir müssen zu diesem Sprungpunkt dort. Und das wissen die Syndiks, Captain.«

»Und wie würden Sie verhindern, dass wir die Minen frühzeitig entdecken und sie umfliegen?«, wollte Desjani wissen. »Die Syndiks wissen, dass wir nach den ersten Attacken umso wachsamer sein werden und auf jede Auffälligkeit achten. Deren Tarntechnologie für Minen ist zwar gut, aber nicht so gut, dass wir sie nicht entdecken könnten, wenn wir an der richtigen Stelle danach suchen. Und von der richtigen Stelle sind wir jetzt nicht mehr so weit entfernt.«

»Ein Täuschungsmanöver«, lautete Gionninis nächste Antwort. »Etwas, das uns abermals ablenkt. Etwas, das ihnen hilft, die Minen besser vor unseren Sensoren zu verbergen. So wie bei einem Zaubertrick. So was funktioniert nicht etwa, weil niemand sehen kann, was Sie machen, sondern weil Sie auch noch etwas anderes machen, auf das sich die Leute konzentrieren, die Ihnen zusehen.«

»Irgendeine Idee, was für eine Ablenkung das sein könnte?«, fragte Desjani.