»Die Allianz«, warf Navarro mit Nachdruck ein, »braucht diese Person.«
Eine sichtlich unzufriedene Suva richtete ihre Aufmerksamkeit auf Geary. »Wir haben Ihren Bericht gelesen. Sie wurden auf eine Erkundungsmission geschickt.«
»Und die habe ich absolviert, Senatorin.«
»Sie haben zwei neue Kriege begonnen«, hielt Senator Wilkes dagegen. »Sie wurden losgeschickt, um Neues zu erkunden, aber Sie haben zwei neue Kriege begonnen!« Er ließ eine Pause folgen, als erwarte er Applaus.
Senator Navarro verzog das Gesicht. »Die Aufzeichnungen besagen deutlich, dass die Enigmas bereits die Menschheit bekämpft haben, als wir von Ihrer Existenz noch nicht einmal wussten. Admiral Geary hat mit ihnen keinen Krieg begonnen. Aus den offiziellen Berichten ergibt sich, dass er vielmehr versucht hat, weitere Kämpfe zu verhindern und mit den Enigmas zu verhandeln.«
»Die Berichte stammen von den Syndiks, Senator.«
»Das gilt aber nicht für die Aufzeichnungen unserer Schiffe, Senator. Die zeigen uns, dass er versucht hat, mit ihnen zu reden und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Aber die Enigmas beharrten auf weiteren Angriffen.«
»Selbst für den Fall, dass die Enigmas wirklich nicht mit uns reden wollten«, sagte Senatorin Suva, »und angesichts des wahrscheinlichen Verhaltens der Syndiks und des provozierenden Verhaltens unserer eigenen Streitkräfte …«
»Provozierendes Verhalten?«, ging Senatorin Costa dazwischen. Mittlerweile kannte Geary Costa gut genug, um zu wissen, dass sie weniger ihn verteidigen wollte, sondern vielmehr reflexartig Suva attackierte.
»Wir sind ohne Erlaubnis in fremdes Gebiet vorgedrungen«, argumentierte Suva.
»Haben Sie sich nicht dafür starkgemacht, dass Admiral Gearys Flotte genau diese Mission aufgetragen bekommt?«, herrschte Costa sie an.
Einen Moment lang fragte sich Geary, ob es wohl jemandem auffallen würde, wenn er jetzt einfach aufstand und den Raum verließ. Die Senatoren waren so in ihren verbalen Schlagabtausch vertieft, dass sie sich längst gegenseitig anbrüllten.
»Das hat mir wirklich nicht gefehlt«, merkte Rione. Sie stützte den rechten Ellbogen in die linke Handfläche und legte ihr Kinn in die rechte Hand, dann schloss sie die Augen. »Wecken Sie mich, wenn die fertig sind.«
»Sie können dabei schlafen?«
»Das ist hundertmal besser, als es im wachen Zustand mitzumachen.«
Eine plötzliche Stille ließe Geary aufhorchen. Er sah zum Tisch und stellte fest, dass sich die verschiedenen Senatoren immer noch wütend anschauten, aber aufgehört hatten zu brüllen. Senator Sakai war aufgestanden und sah auf seine Amtskollegen herab. Normalerweise ließ seine Miene keine Gefühlsregung erkennen, doch jetzt zeigte sie eindeutig Missbilligung.
»Gibt es irgendwelche Fragen, die an Admiral Geary gerichtet werden sollen?«, fragte er und nahm wieder Platz.
Wilkes meldete sich als Erster zu Wort. Obwohl er eben zurechtgewiesen worden war, zeigte er sich unverändert aggressiv. »Wir befinden uns jetzt im Krieg mit zwei anderen Spezies. Ich nehme an, dem wird niemand widersprechen wollen. Warum bestand unser erstes Zusammentreffen mit den Bov-Ursoiden in einer Schlacht auf Leben und Tod?«
»Bov-Ursoide?«, fragte Geary. »Reden Sie von den Kiks?«
»Das ist eine beleidigende Formulierung. Ich werde den Gebrauch dieses Begriffs nicht tolerieren.«
Costa lachte abfällig. »Niemand interessiert sich dafür, ob Sie beleidigt sind, weil wir einem Volk von Verrückten einen Spitznamen gegeben haben.«
Es sah ganz nach dem nächsten verbalen Schlagabtausch aus, doch der wurde in dem Moment erstickt, als Sakai sich vorbeugte und einen frostigen Blick über die Anwesenden wandern ließ.
Geary blickte kurz zu Rione, dann antwortete er: »Wir haben alles versucht, was möglich war, um eine Kommunikation mit ihnen zu erreichen. Ihre erste Reaktion bestand darin, uns in dem Augenblick anzugreifen, als sie uns entdeckten. Wir ergriffen alle erforderlichen Maßnahmen, um uns zu verteidigen, und solange wir uns in ihrem Sternensystem aufhielten, versuchten wir weiter, mit ihnen zu reden. Es gab von ihrer Seite keine Reaktion, außer dass sie uns weiter attackierten.«
»Sie alle haben die Berichte gesehen«, ergänzte Rione in nüchternem Tonfall. »Sie haben uns angegriffen und verfolgt, sie sind uns sogar in ein anderes Sternensystem gefolgt, um uns weiter anzugreifen. Selbst als ihre Niederlage und damit ihr Tod unausweichlich war, kam es zu keiner Kommunikation, stattdessen bevorzugten sie den Selbstmord. Sie können nicht mit jemandem reden, der sich weigert zu antworten und stattdessen mit den Versuchen, Sie zu töten, einfach nicht aufhört.«
»Vielleicht hatten sie Angst vor uns!«, gab Wilkes zu bedenken.
»Ja, vielleicht. Sie mögen aus ihrer Sicht berechtigte Gründe dafür gehabt haben, nicht mit uns zu reden und lieber bis zum Tod zu kämpfen«, erwiderte Rione. »Allerdings fühle ich mich nicht verpflichtet, mich von jemandem töten zu lassen, nur weil der einen guten Grund dafür hat.«
»Wären Sie nicht mit feuerbereiten Waffen in deren System geplatzt …«
»Wir haben nicht als Erste das Feuer eröffnet«, betonte Geary.
»Admiral«, sagte Senator Navarro. »Sind Sie in das Sternensystem … wie hieß es noch gleich … Honor auf die gleiche Weise eingeflogen wie bei den Enigmas und bei dieser anderen Spezies, die Sie besucht haben?«
»Ja, Senator. In einer defensiven Formation.«
»Und bei Honor wurden Sie von den Vertretern der Tänzer willkommen geheißen?«
»Sie haben dort unserer Flotte geholfen!«, rief Senatorin Costa triumphierend dazwischen.
»Aber …«, begann ein anderer Senator, »… diese Tänzer, die sind so …«
Costa grinste weiter. »Was ist los, Tsen? Wäre es politisch unkorrekt, sie als abgrundtief hässlich zu bezeichnen?«
»Wir dürfen sie nicht nach ihrem Aussehen beurteilen!«
»Aber genau das machen Sie gerade, wie? Und es macht Ihnen schrecklich zu schaffen, nicht wahr?«
»Senatorin Costa«, warf eine große, dunkle Frau ein. »Sie würden mehr Sympathien für sich verbuchen, wenn es Ihnen nicht solch offensichtliche Freude bereiten würde, Ihren Kontrahenten die Arme abzureißen und dann mit den blutigen Stümpfen auf sie einzuschlagen.«
»Ich möchte eine Erklärung abgeben«, verkündete Senatorin Suva.
»Wir haben noch so gut wie keine Fragen gestellt, Senatorin«, konterte die dunkle Frau. »Könnten wir dieses Mal mit einer alten Tradition brechen und erst einmal etwas über ein Thema in Erfahrung bringen, ehe wir dazu Erklärungen abgeben?«
»Da hat Senatorin Unruh allerdings recht«, fand Navarro.
Bevor irgendwer etwas sagen konnte, explodierte Wilkes ein weiteres Mal und zeigte dabei auf Geary: »Warum haben Sie alle aus der Hand der Enigmas befreiten Menschen den Syndiks übergeben?« Der Tonfall des Mannes war so anklagend, als hätte Geary ein Kapitalverbrechen begangen.
»Sie waren alle Bürger der Syndikatwelten«, antwortete Geary und gab sich Mühe, nicht so zu klingen, als würde er sich rechtfertigen.
»Sie hätten uns wichtige Informationen über die Enigmas liefern können!«
»Sie wussten nichts über die Enigmas!« Geary bändigte seine Wut, ehe er weiterredete. »Rein gar nichts. Wenn Sie meinen Bericht lesen, dann …«
»Sie haben sie einfach …«
»Ich bin mit meiner Antwort NOCH NICHT fertig, Sir!« Alle starrten sie ihn an. Na gut, sollten sie ruhig machen. Er hatte zu viel durchgemacht und musste sich so etwas wie das hier nicht antun. »Bevor Sie mir Fragen stellen, lesen Sie die Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen, damit Sie wissen, wovon Sie eigentlich reden. Und wenn Sie mir dann Fragen stellen, gestatten Sie mir, darauf zu antworten, ohne unterbrochen zu werden. Jede Person, die wir aus dem Gefängnisasteroiden der Enigmas geholt hatten, war ein Bürger der Syndikatwelten. Ich besaß gar nicht das Recht, sie gegen ihren Willen festzuhalten und hierher mitzubringen. Keiner von ihnen wusste irgendetwas über die Enigmas. Sie hatten noch nie einen von ihnen gesehen und auch nie mit ihnen gesprochen. Sie hatten ja nicht mal einen von deren Avataren gesehen. Sie wussten weniger über die Enigmas als wir, noch bevor wir in deren Gebiet vorgedrungen sind. Aber der wichtigste Faktor bei meiner Entscheidung war der, dass ich kein Recht hatte, sie festzuhalten. Sie besaßen die Freiheit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und selbst über ihr Schicksal zu entscheiden.«