Aber Admiral Bloch war Geary auch nicht wie ein Mann vorgekommen, der sich allzu viele Gedanken über die möglichen Konsequenzen seines Handelns machte.
»Ich weiß, jeder will etwas von Ihnen«, redete Desjani weiter. »Aber für mich ist das hier wirklich wichtig. Bitte, Jack.«
So sprach sie ihn selten an, selbst dann, wenn sie mit ihm allein war. Er sah sie verdutzt an. »Tanya, ich habe bereits zugesagt. Um was geht es? Wer ist diese Frau?«
»Um was es geht?« Ihre Hand berührte das Band des Flotten kreuzes auf ihrer Brust. »Darum geht es. Und wer sie ist? Sie ist die Tochter eines Mannes, den ich in den Tod geschickt habe.«
Greta Milam war eine hochgewachsene, dünne Frau, deren Gesichtsausdruck selbst dann noch ernst wirkte, wenn sie versuchte zu lächeln. Auch wenn sie vermutlich erst Anfang zwanzig war, erschien sie deutlich älter. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Admiral«, sagte sie und setzte sich in Desjanis Quartier auf den Platz, den Tanya ihr anbot.
»Die Ehre ist ganz meinerseits«, erwiderte er. »Ich hörte, Ihr Vater diente unter Captain Desjani.«
Offenbar war das eine sehr ungeschickte und dumme Bemerkung gewesen, da Desjani leicht zusammenzuckte und Milam bestürzt dreinschaute. Sie sah Tanya an, ihre Miene verriet ein wildes Durcheinander unterschiedlichster Gefühlsregungen. »Ja, auf der Fleche. Ich war Ihnen sehr dankbar für den Brief, den Sie mir nach dem Vorfall damals geschrieben haben, Captain, und in dem Sie mir schilderten, was mein Vater geleistet hat. Er hat meiner Mutter und mir sehr viel Trost gespendet.«
Als Desjani antwortete, klang es, als müsse sie mit ihren eigenen Gefühlen kämpfen. »Master Chief Milam war ein wahrer Held. Er hat das Flottenkreuz viel mehr verdient als ich.«
»Ich habe gehört, Sie haben darauf bestanden, dass er diese Auszeichnung erhält«, sagte Greta Milam. »Ich habe sie bekommen. Sie bedeutet mir sehr viel.«
»Das freut mich«, erklärte Desjani betreten.
»Ich habe mich immer etwas gefragt … Sie haben als Letzte mit ihm gesprochen?«
»Ja, das ist richtig.«
»Wie lauteten seine letzten Worte? In Ihrem Brief ist das nicht ausdrücklich erwähnt, deshalb habe ich darüber immer nachgegrübelt. Es ist schon eigenartig, auf welche Dinge sich die Menschen fixieren. Als kleines Mädchen fiel mir auf, dass darüber nichts im Brief steht, deshalb … habe ich immer gerätselt, was es gewesen sein könnte.«
Tanya blickte die Tochter von Master Chief Milam lange Zeit an, ehe sie antwortete: »Er sagte mir, ich hätte nur gut eine Minute.«
»Wie bitte?« Das war anscheinend ganz und gar nicht das, was Greta Milam erwartet hatte.
»Er hielt sich im Maschinenraum des Schweren Kreuzers der Syndiks auf, den wir geentert hatten«, erklärte Tanya. »Er stellte die Maschinen so ein, dass sie einen teilweisen Kollaps erleiden sollten. Ich befand mich in einem der Enterschläuche und kämpfte gegen die Syndiks, die von unserem Schiff auf ihr eigenes zurückkehren wollten, um das zu verhindern, was wir dort vorhatten. Er sagte … er sagte, bei ihm seien nur noch sechs überlebende Matrosen, und die Syndiks waren im Begriff, in das Abteil einzudringen. Er bat mich, Ihnen zu sagen, dass er eines ehrenvollen Todes gestorben ist. Das habe ich gemacht. Ich habe Ihnen gesagt, was er getan hat. Ich habe Ihnen gesagt, dass er das gesagt hat.«
Tanya sah einen Moment lang zur Seite, um sich zu sammeln, dann wandte sie sich wieder Greta Milam zu. »Ich wünschte ihm einen ehrenvollen Empfang inmitten der Lebenden Sterne, und dann sagte er zu mir, ich solle alle verbliebenen Matrosen zurück auf die Fleche bringen, und wenn wir es innerhalb einer Minute schafften, könnten wir vielleicht noch überleben, auch wenn die Fleche ein völliges Wrack war.«
»Wie viele Matrosen waren das?«, fragte Geary, der sich vorkam wie ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte.
»Mit mir zusammen? Neun. Angefangen hatten wir mit hundert. Nein. Mit zweihundertfünfunddreißig. Hundert waren nur noch übrig, als die Syndiks unser Schiff enterten.«
Greta Milam blinzelte, um gegen ihre Tränen anzukämpfen. »Ich muss gestehen, Captain, ich habe es Ihnen eine Weile zum Vorwurf gemacht, dass Sie überlebt haben, während mein Vater sterben musste.«
»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken«, entgegnete Desjani. »Mir ist es nicht anders ergangen.«
»Aber ich habe bereits mit ein paar von den anderen Überlebenden gesprochen. Sie berichteten davon, dass sie alle damit rechneten, sterben zu müssen. Es war ein Wunder, dass es ein paar von ihnen doch noch geschafft haben, den Syndik-Kreuzer rechtzeitig zu verlassen. Aber sie sagten auch, dass Sie das getan haben. Mein Vater wäre so oder so gestorben, und ohne Sie hätten die Syndiks die Schlacht gewonnen. Dann hätte niemand jemals erfahren, wie er gestorben ist. Durch Sie hat er die Chance bekommen, mit seinem Tod etwas zu leisten, woran sich jeder erinnern würde. So konnten wir alle erfahren, was er getan hatte. Dafür möchte ich Ihnen danken, und ich wollte Sie um Verzeihung bitten, dass ich Ihnen die Schuld gegeben habe.«
Desjani nickte bedächtig. »Natürlich. Ich … ich habe mir oft gewünscht, ich hätte ihn retten können. Er hat mir und allen anderen das Leben gerettet.«
»Das ist schon ziemlich verworren, nicht wahr?«, meinte Greta Milam. »Wer ist wem für was zu Dank verpflichtet? Wer schuldet wem was? Aber jetzt ist der Krieg vorbei, und dafür können wir dankbar sein.«
»Trotzdem sterben immer noch Matrosen.«
Die junge Frau schwieg sekundenlang. »Es sollte nicht so klingen, als wäre mir das egal.«
Desjani schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Es fällt mir noch immer schwer, an diesen Tag zurückzudenken. Ich … rede normalerweise nicht darüber.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Ihr Vater … ich hätte ihm das, was er getan hat, nicht befehlen können. Und selbst wenn, ich hätte es nicht getan. Er hat sich entschieden, ein Opfer zu bringen, damit viele andere überleben konnten, und ich bin mir sicher, in den letzten Augenblicken hat er an Sie und Ihre Mutter gedacht.«
Milam senkte den Kopf, konnte aber ihre Tränen nicht verbergen. Sie stand auf. »Ich … sollte jetzt gehen. Das hier war … wirklich nötig. Vielen Dank.«
Auf dem Weg aus dem Quartier fiel ihr Blick auf die Tafel neben der Luke, und Milam blieb noch einmal stehen. »Ich sehe da den Namen meines Vaters. Sind das alles … Freunde von Ihnen, die gestorben sind?«
»Ja«, antwortete Tanya leise. »Ich vergesse nicht einen Einzigen von ihnen.«
Nachdem Milam, von Master Chief Gioninni in Galauniform zu Ehren der Tochter eines gefallenen Master Chiefs begleitet, wieder gegangen war, ließ sich Desjani seufzend auf ihren Platz sinken. »Das war sehr hart.«
»Jetzt weiß ich zumindest etwas über das Gefecht, das Ihnen das Flottenkreuz eingebracht hat«, sagte Geary.
»Nur dass ich es gar nicht verdient habe, sondern Master Chief Milam. Ich weiß nicht, warum es mir ebenfalls verliehen worden ist.« Sie atmete tief durch und kniff gequält die Augen zusammen. »Habe ich Ihnen je von meinem Traum nach diesem Einsatz erzählt?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sie haben mir weder etwas über den Einsatz noch über die Zeit danach erzählt.«
»Ich gebe Ihnen gern die Erlaubnis, die offiziellen Aufzeichnungen darüber aufzurufen, wenn Sie das wollen. Ich werde nicht darüber reden. Aber Sie verdienen es zu wissen …«
»Sie sprachen von einem Traum«, hakte er nach.
Ihr Blick war starr auf das Deck gerichtet, um ihm nicht in die Augen zu sehen. »Ich … stand unter Stress. Mein Schiff war zerstört, fast meine gesamte Crew war im Kampf Mann gegen Mann ausgelöscht worden. Ich war in schlechter Verfassung. Man gab mir Medikamente, damit ich schlafen konnte. Ich träumte. Ich träumte davon, dass ich Sie schlafen sah.«