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»Ich glaube, jemand beobachtet mich«, sagte er nach einer Weile.»Sind Sie das?«

»Nein. Wahrscheinlich ist es die Vampirin.«

Der Junge erschauerte nicht. Ich hatte ihm nichts Neues gesagt.

»Wie wird sie mich überfallen?«

»Ohne Aufforderung kann sie nicht durch die Tür kommen. Das ist eine Besonderheit bei Vampiren, die in den Märchen ganz richtig beschrieben wird. Aber du wirst selbst zu ihr hinausgehen wollen. Du willst ja schon jetzt aus der Wohnung heraus.«

»Ich gehe nicht hinaus!«

»Wenn sie den Ruf einsetzt, gehst du. Du wirst verstehen, was geschieht, aber trotzdem gehen.«

»Können… können Sie mir nicht einen Rat geben?

Irgendeinen?«

Jegor kapitulierte. Er wollte Hilfe, jede mögliche Hilfe.

»Das kann ich. Verlass dich auf uns.«

Sein Zögern währte nur eine Sekunde.

»Kommen Sie herein.«Jegor gab die Tür frei.»Nur… meine Mutter kommt gleich von der Arbeit.«

»Ja und?«

»Werden Sie sich dann verstecken? Oder soll ich ihr was Bestimmtes sagen?«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, tat ich seine Bedenken ab.»Aber ich…«

Die Tür der Nachbarwohnung wurde geöffnet, vorsichtig, ein kleines Stück nur, bei vorgelegter Kette. Ich blickte in das kleine faltige Gesicht einer alten Frau.

Rasch streifte ich ihr Bewusstsein, ganz flüchtig nur und möglichst behutsam, um den ohnehin zerrütteten Verstand nicht weiter in Mitleidenschaft zu ziehen.

»Ach, du bist das…«Die Alte strahlte übers ganze Gesicht.»Du, du…«

»Anton«, soufflierte ich ihr hilfsbereit.

»Ich hab schon gedacht, ein Fremder würde sich hier herumtreiben«, meinte die Alte, während sie die Kette abnahm und ins Treppenhaus hinaustrat.»Zeiten haben wir, da muss man mit allem rechnen, die Leute machen, was sie wollen…«

»Keine Sorge«, beruhigte ich sie.»Alles wird gut. Sie gucken jetzt lieber Fernsehen, da läuft eine neue Serie.«

Die Alte nickte, warf mir einen letzten freundlichen

Blick zu und verschwand wieder in ihrer Wohnung.

»Was für eine Serie denn?«, fragte Jegor.

»Weiß nicht.«Ich zuckte mit den Schultern.»Irgendeine. Genug Seifenopern gibt’s doch, oder?«

»Und woher kennen Sie unsere Nachbarin?«

»Ich? Sie? Von nirgendwoher.«

Der Junge schwieg.

»Eben«, meinte ich.»Wir sind die Anderen. Ich komme jetzt nicht mehr mit rein, ich muss weg.«

»Und was dann?«

»Dich werden andere beschützen, Jegor. Du brauchst keine Angst zu haben: Die sind viel bessere Profis als ich.«

Ich spähte durchs Zwielicht: Zwei grelle orangefarbene Feuer näherten sich dem Eingang des Hauses.

»Die… die will ich nicht.«Sofort erfasste Panik den Jungen.»Sie sollen bleiben!«

»Das kann ich nicht. Ich habe eine andere Aufgabe.«

Unten im Eingang knallte die Tür, Schritte hallten. Den Aufzug ignorierten die beiden Kampfspezis.

»Die will ich nicht!«Der Junge machte sich an der Tür zu schaffen, als wolle er sie abschließen.»Denen trau ich nicht!«

»Entweder vertraust du allen von der Nachtwache oder niemandem«, fiel ich ihm hart ins Wort.»Wir sind keine einsamen Supermänner in rotblauen Umhängen. Wir werden für diese Arbeit bezahlt. Wir sind die Polizei der Zwielicht-Welt. Meine Worte sind die Worte der Nachtwache.«

»Und wer sind die?«Der Junge fügte sich in sein

Schicksal.»Magier?«

»Ja. Allerdings hochspezialisierte.«

Unten am Fuß der Treppe tauchte Tigerjunges auf.

»Hallo, Jungs«, rief die junge Frau fröhlich aus, während sie mit einem einzigen Sprung den gesamten Absatz überwand.

Dieser Sprung konnte nicht von einem Menschen sein. Jegor kauerte sich zusammen und trat zurück, wobei er Tigerjunges misstrauisch beäugte. Ich schüttelte den Kopf: Offenbar balancierte die Frau am Rande der Transformation entlang. Das gefiel ihr - und im Moment hatte sie allen Grund, sich auszutoben.

»Wie sieht’s in Perowo aus?«, fragte ich.

Tigerjunges seufzte laut auf, bevor sie lächelte.»Och… lustig. Alle sind in Panik. Geh jetzt, Antoschka, sie warten schon auf dich… Und das hier ist wohl mein kleiner Schützling, oder?«

Schweigend sah der Junge sie an. Der Chef hatte eine gute Wahl getroffen, indem er Tigerjunges zum Schutz hierher geschickt hatte, das musste man ihm lassen. Vom Kind bis zum Greis flößte sie allen Vertrauen und Sympathie ein. Angeblich fielen sogar die Dunkeln ab und zu auf sie rein. Was sie teuer zu stehen kam…

»Ich bin kein Schützling«, erwiderte der Junge schließlich.»Ich heiße Jegor.«

»Und ich bin Tigerjunges.«Die Frau war bereits in die Wohnung gegangen, jetzt legte sie dem Jungen liebevoll den Arm um die Schultern.»Dann bring mich mal zum Kriegsschauplatz! Damit wir unsere Verteidigung in Stellung bringen können!«

Kopfschüttelnd ging ich hinunter. In fünf Minuten würde Tigerjunges dem Jungen zeigen, wie sie zu ihrem Namen gekommen war.

»Hallo«, brummte Bär, als er mir entgegenkam.

»Hallo.«Wir gaben uns kurz die Hand. Von allen Mitarbeitern der Wache rief Bär in mir die seltsamsten und widersprüchlichsten Gefühle hervor.

Bär war etwas größer als der Durchschnitt, kräftig und hatte einen absolut undurchdringlichen Gesichtsausdruck. Er machte nie viel Worte. Wie er seine Freizeit verbrachte, wo er wohnte - das wusste niemand, von Tigerjunges vielleicht abgesehen. Gerüchten zufolge sollte er gar kein Magier, sondern ein Tiermensch sein. Angeblich hatte er zunächst in der Tagwache gearbeitet, bis er dann im Zuge irgendeiner Mission plötzlich auf unsere Seite überwechselte. All das war natürlich blanker Unsinn, denn die Lichten verwandeln sich ebenso wenig in Dunkle, wie die Dunklen zu Lichten mutieren. Doch irgendetwas steckte in Bär, das einen unwillkürlich irritierte.

»Das Auto wartet auf dich«, sagte der Fahnder im Laufen.»Der Fahrer ist ein Ass. Bist im Nu da.«

Bär stotterte leicht und baute deshalb nur kurze Sätze. Er beeilte sich nicht, denn Tigerjunges hielt bereits Wache. Doch ich durfte keine Zeit vergeuden.

»Sieht es da schlimm aus?«, fragte ich, während ich einen Zahn zulegte.

»Kann man wohl sagen«, scholl es von oben herab.

Mehrere Stufen auf einmal nehmend, stürzte ich aus dem Haus. Der Wagen wartete schon - und ich musste kurz innehalten, da ich mich einfach nicht satt sehen konnte an ihm. Ein eleganter BMW in dunklem Burgunderrot, das neueste Modell, mit einer lieblos auf dem Dach angeklebten Sirene. Beide Türen auf der Seite zum Haus hin standen offen, der Fahrer, unter dessen Jackett eine Pistole zu erahnen war, lehnte sich zum Wagen hinaus und rauchte hastig. Am hinteren Schlag stand ein älterer Mann von monumentaler Statur in offenem Mantel und einem sehr teuren Anzug, an dessen Revers ein Abgeordnetenzeichen funkelte.

»Ja, wer ist er denn?«, sagte der Mann in sein Handy.»Sobald ich kann, komm ich! Was? Was für Weiber, verdammich? Hast du sie noch alle? Könnt ihr nicht einen Schritt alleine machen?«

Als er mich aus den Augenwinkeln heraus erblickte, brach der Abgeordnete das Telefonat ab, ohne sich zu verabschieden, und kletterte in den Wagen. Der Chauffeur zog ein letztes Mal gierig an der Zigarette, warf sie dann weg und klemmte sich hinters Steuer. Der Motor heulte leise auf, und ich hatte kaum im Fond Platz genommen, als das Auto davonschoss. Vereiste Zweige kratzten über die Tür.

»Bist du blind, oder was?«, blaffte der Abgeordnete den Fahrer an, obwohl die Schuld daran einzig und allein bei mir lag. Doch der Besitzer des Wagens brauchte sich nur mir zuzudrehen, da änderte sich sein Ton auch schon:»Du willst nach Perowo?«