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Dann erhob er sich, zog den Hausmantel fest um sich und kam auf mich zu. Er sah ziemlich komisch aus, zumindest in dieser normalen Moskauer Wohnung erinnerte er mit seinem orientalischen Auftreten an eine misslungene Karikatur.

»Noch nie zuvor hat irgendjemand einen solchen Strudel gebannt. Du bist der Erste, der das versucht.«

Ich schwieg.

»Bedenke auch Folgendes, Anton: Wenn dir irgendein Fehler unterläuft - und sei er auch noch so klein, irgendetwas -, dann bist du der Erste, der verbrennt. Dir wird nicht einmal genug Zeit bleiben, ins Zwielicht zu gelangen. Du weißt, was mit den Lichten passiert, wenn sie in einen Durchbruch des Infernos geraten?«

Meine Kehle trocknete aus. Ich nickte.

»Verzeihen Sie, mein gütigster Feind«, bemerkte Sebulon amüsiert.»Räumen Sie Ihren Mitarbeitern nicht das Recht der Wahl ein? Selbst im Krieg fordert man in solchen Situationen… Interessenten auf.«

»Wir haben Freiwillige aufgefordert«, erwiderte der Chef, ohne sich umzudrehen.»Wir alle sind Freiwillige, seit langem schon. Und eine Wahl haben wir nicht.«

»Wir schon. Immer.«Der Dunkle Magier kicherte erneut.

»Indem wir den Menschen das Recht der Wahl zubilligen, nehmen wir es uns selbst. Sebulon…«Boris Ignatjewitsch schielte zu dem Dunklen Magier hinüber.»… du plagst dich hier vor fremdem Publikum. Stör lieber nicht.«

»Ich sage kein Wort mehr.«Sebulon senkte den Kopf und kauerte sich zusammen.

»Versuch es«, sagte der Chef.»Anton, ich kann dir keinen Rat geben. Du musst es einfach versuchen. Ich bitte dich, versuche es. Und… vergiss alles, was ich dir beigebracht habe. Glaube nicht an das, was ich dir gesagt habe, glaube nicht an das, was du dir im Unterricht notiert hast, trau deinen Augen nicht, trau frem-

den Worten nicht.«

»Wem soll ich dann glauben, Boris Ignatjewitsch?«

»Wenn ich das wüsste, Anton, dann würde ich den Stab verlassen… und selbst in dieses Haus gehen.«

Gleichzeitig blickten wir zum Fenster hin. Der schwarze Wirbelwind drehte sich, taumelte von einer Seite auf die andere. Ein Mensch, der auf dem Gehweg entlangging, machte plötzlich kehrt und umrundete die Spitze des Wirbels im weiten Bogen. Mir fiel auf, dass am Rand bereits ein Pfad getrampelt worden war: Die Menschen konnten das über der Erde schwelende Böse zwar nicht sehen, fühlten aber, dass es näher kam.

»Ich werde Anton decken«, sagte Olga plötzlich.»Ihn decken und die Verbindung halten.«

»Von außen«, stimmte der Chef zu.»Nur von außen… Anton… geh jetzt. Wir werden dich so gut wie möglich gegen jede Beobachtung abschirmen.«

Die weiße Eule flog vom Bett auf und ließ sich auf meiner Schulter nieder.

Mit einem letzten Blick auf meine Freunde und auf den Dunklen Magier, der aussah, als sei er eingeschlafen, ging ich aus dem Zimmer. Sofort bemerkte ich, wie jedes Geräusch in der Wohnung verstummte.

Sie ließen mich in völliger Stille gehen, ohne jedes überflüssige Wort, ohne mir noch einmal auf die Schulter zu klopfen, ohne mir einen Rat mit auf den Weg zu geben. Denn im Grunde tat ich nichts Besonderes. Ich ging einfach sterben.

Es war still. Irgendwie beunruhigend still, selbst für einen Mos-

kauer Schlafbezirk zu so später Stunde. Als ob sich alle in den Häusern verschanzt, das Licht gelöscht, sich die Decke über den Kopf gezogen hätten und schwiegen. Schwiegen - nicht etwa schliefen. Bloß in den Fenstern flimmerten noch blaurote Flecken, denn überall liefen die Fernseher. Diese Angewohnheit, bei Angst oder Schwermut den Fernseher einzuschalten und sich alles Mögliche anzugucken, vom Teleshopping bis zu den Nachrichten. Die Menschen sehen die Zwielicht-Welt nicht. Doch sie können ihre Nähe spüren.

»Olga, was sagst du zu diesem Strudel?«, fragte ich.

»Unüberwindlich.«

Kurz und knapp.

Ich stand vor dem Hauseingang und betrachtete den geschmeidigen, an einen Elefantenrüssel erinnernden Stängel des Wirbels. Noch wollte ich nicht hineingehen.

»Wann… bei welcher Größe könntest du den Strudel zermalmen?«

Olga dachte nach.»Bei einer Höhe von fünf Metern. Da besteht noch eine Chance. Bei drei Metern klappt es bestimmt.«

»Und die Frau wird dabei gerettet?«

»Vielleicht.«

Etwas ließ mir keine Ruhe. In dieser unnormalen Stille, wo selbst die Autos den verdammten Bezirk umfuhren, waren immer noch einige Geräusche zu hören…

Dann ging es mir auf. Die Hunde winselten. In allen Wohnungen, in allen Häusern um uns herum beklagten die unglücklichen Tiere leise, erbärmlich und hilflos

ihre Herren. Sie sahen das nahende Inferno.

»Olga, die Informationen über die Frau. Sämtliche.«

»Swetlana Nasarowa. Fünfundzwanzig Jahre. Internistin, arbeitet in der Poliklinik Nr. 17. Keine Beobachtungen seitens der Nachtwache. Keine Beobachtungen seitens der Tagwache. Magische Fähigkeiten wurden nicht entdeckt. Die Eltern und der jüngere Bruder leben in Bratejewo, der Kontakt zu ihnen ist unregelmäßig, hauptsächlich telefonisch. Vier Freundinnen, die überprüft werden und bislang sauber sind. Normale Beziehungen zu ihrem Umfeld, heftige Antipathien wurden nicht festgestellt.«

»Eine Ärztin«, sagte ich nachdenklich.»Olga, das ist vielleicht ein Spur. Irgendein Alter oder eine Alte… die mit der Behandlung unzufrieden sind. In den letzten Lebensjahren brechen sich gewöhnlich latente magische Fähigkeiten Bahn…«

»Das wird überprüft«, erwiderte Olga.»Bislang hat sich da nichts ergeben.«

War ja auch zu schön gewesen. Es war dumm, sich in Mutmaßungen zu ergehen; einen halben Tag lang hatten sich Leute mit der Frau befasst, die klüger waren als ich.

»Was noch?«

»Blutgruppe A. Keine ernsthaften Erkrankungen, mitunter leichte Herzschmerzen. Erster sexueller Kontakt mit siebzehn, mit einem Altersgenossen, aus Neugier. Viermonatige Ehe, seit zwei Jahren geschieden, freundschaftliche Beziehungen zum Ex-Mann. Keine Kinder.«

»Fähigkeiten des Mannes?«

»Gar keine. Desgleichen bei seiner neuen Frau. Sie

wurden zuerst überprüft.«

»Feinde?«

»Zwei neidische Kolleginnen. Zwei abgewiesene Verehrer, ebenfalls Kollegen. Ein Schulkamerad hat vor einem halben Jahr versucht, eine gefälschte Krankschreibung zu bekommen.«

»Und?«

»Sie hat da nicht mitgemacht.«

»Alle Achtung. Wie sieht es bei denen mit der Magie aus?«

»Praktisch nicht vorhanden. Der Neid bewegt sich im üblichen Bereich. Bei allen sind die magischen Fähigkeiten nur schwach ausgeprägt. Für einen solchen Wirbel würden sie nicht reichen.«

»Sind Patienten gestorben? In letzter Zeit?«

»Nein.«

»Woher kommt dann dieser Fluch?«, stellte ich die rhetorische Frage. Jetzt wunderte mich gar nicht mehr, warum die Wache in eine Sackgasse geraten war. Swetlana musste ein Unschuldslamm sein. Fünf Feinde in fünfundzwanzig Jahren - Hut ab.

Olga hüllte sich in Schweigen.

»Wir sollten gehen«, sagte ich. Ich drehte mich zum Fenster zurück, wo ich die Silhouetten unserer Leute erkannte. Eine der Wachen winkte mir zu.»Olga, wie ist Ignat vorgegangen?«

»Nach Schema F. Er hat sie auf der Straße angesprochen, hat den schüchternen Intelligenzler gemimt. Dann einen Kaffee in der Bar. Gespräche. Das Objekt hat rasch Sympathie für ihn entwickelt. Ignat hat dann die Bekanntschaft forciert. Hat Sekt und Likör gekauft, und die beiden sind hierher gekommen.«

»Weiter.«

»Der Wirbel fing an zu wachsen.«

»Aus welchem Anlass?«

»Aus keinem. Ignat hat ihr gefallen, ja, sie hat sich sogar stark zu ihm hingezogen gefühlt. Doch in dem Moment wuchs der Strudel an, und zwar katastrophal schnell. Ignat hat drei Verhaltensmuster ausprobiert, hat ihr eine unmissverständliche Einladung abgerungen, über Nacht zu bleiben, doch danach fing der Wirbel vehement zu wachsen an. Ignat wurde abberufen. Daraufhin hat sich der Wirbel stabilisiert.«