»Wie hat man ihn abberufen?«
Ich war schon fast erfroren, meine Schuhe fürchterlich durchweicht. Und immer noch war ich nicht bereit zu handeln.
»Die Nummer mit der kranken Mutter. Ein Anruf übers Handy, ein kurzes Telefonat, Entschuldigungen und das Versprechen, morgen anzurufen. Alles sauber, das Objekt hat keinen Verdacht geschöpft.«
»Und daraufhin hat sich der Strudel stabilisiert?«
Olga schwieg, offenbar stand sie gerade mit den Analytikern in Verbindung.
»Er ist sogar ein wenig eingesackt. Drei Zentimeter. Das kann aber ebenso gut der übliche Rückgang sein, der auftritt, wenn der Strudel nicht mehr gespeist wird.«
Irgendetwas stimmte hier nicht. Auch wenn ich meinen vagen Verdacht nicht formulieren konnte.
»Für welchen Abschnitt ist sie zuständig, Olga?«
»Für den hier. Ihr Haus eingeschlossen. Zu ihr
kommen oft kranke Leute.«
»Gut. Dann geh ich als Patient zu ihr.«
»Brauchst du Hilfe, um ihr eine falsche Erinnerung einzugeben?«
»Das schaff ich.«
»Der Chef ist einverstanden«, sagte Olga nach einer kurzen Pause.»An die Arbeit. Deine Legende: Anton Gorodezki, Programmierer, unverheiratet, seit drei Jahren in Behandlung, Diagnose Magengeschwür, wohnhaft in diesem Haus, Wohnung Nr. 64. Die steht im Moment leer, gegebenenfalls halten wir dir den Rücken frei.«
»Drei Jahre kriege ich nicht hin«, gab ich zu.»Ein Jahr. Höchstens ein Jahr.«
»Gut.«
Ich schaute Olga an, die wiederum mich ansah, mit ihrem starren Vogelblick, in dem gleichwohl etwas von jener schmutzigen aristokratischen Frau lag, die in meiner Küche Kognak getrunken hatte.
»Viel Glück«, wünschte Olga mir.»Sieh zu, dass der Strudel kleiner wird. Wenigstens zehn Meter… Dann versuch ich es.«
Der Vogel flog auf und drang sofort ins Zwielicht ein, verschwand irgendwo in seinen tiefsten Schichten.
Seufzend ging ich zum Hauseingang. Der Rüssel des Wirbels schlenkerte hin und her und versuchte mich zu streifen. Ich streckte ihm die Handflächen entgegen und formte mit ihnen das Xamadi, das Zeichen der Negation.
Der Wirbel erzitterte und wich zurück. Ohne Furcht, so als habe er die Regeln des Spiels begriffen. Wenn das drohende Inferno bereits solche Ausmaße zeigt, muss es intelligent sein, keine dumpfe Zielsuchrakete, sondern eher ein unerbittlicher und erfahrener Kamikaze. Das klingt komisch: ein erfahrener Kamikaze, doch in Bezug auf das Dunkel ist dieser Ausdruck gerechtfertigt. Wenn der Höllenwirbel in die Menschenwelt einbricht, muss er sterben, doch das bedeutet nicht mehr als der Tod einer Wespe in einem riesigen Schwarm.
»Deine Stunde ist noch nicht gekommen«, sagte ich. Das Inferno antwortete natürlich nicht, trotzdem verlangte es mich danach, diese Worte auszusprechen.
Ich ging an dem Stängel vorbei. Der Wirbel schien aus rabenschwarzem Glas gemacht, das eine gummiartige Flexibilität aufwies. Die Außenseite bewegte sich kaum, doch in der Tiefe, wo das dunkle Blau in ein unergründliches Dunkel überging, ließ sich eine wütende Rotation erahnen.
Vielleicht irrte ich mich ja auch. Vielleicht war seine Stunde in ebendiesem Moment gekommen…
Die Haustür hatte noch nicht einmal ein Codeschloss, oder besser gesagt, es gab eins, doch das war aus der Wand gerissen und demoliert. Nicht weiter verwunderlich. Ein kleiner Gruß des Dunkels. Seine kleinen Flecken sah ich mittlerweile gar nicht mehr, die Graffiti und die Abdrücke von Schuhen an den Wänden, die zerschlagenen Lampen und die zugemüllten Fahrstühle. Aber jetzt war ich kurz davor auszurasten.
Nach der Wohnungsnummer brauchte ich nicht zu fragen. Ich spürte das Mädchen - trotz ihrer Ehe konnte sie wohl noch Mädchen genannt werden, das ist ja eher eine Frage des Alters -, wusste, wohin ich gehen musste, sah ihre Wohnung bereits, besser, ich sah sie nicht, sondern nahm sie in ihrer Gesamtheit war.
Das Einzige, was ich nicht wusste, war, wie ich diesen verdammten Strudel beseitigen sollte…
Vor der Wohnungstür blieb ich stehen. Es war eine gewöhnliche Tür, keine aus Stahl, was für eine Wohnung im Hochparterre sehr seltsam ist, vor allem angesichts des herausgerissenen Schlosses am Hauseingang. Ich seufzte auf und klingelte. Elf Uhr. Schon spät, sicher.
Ich hörte Schritte. Keinerlei Schallisolation…
Sieben
Ohne weiteres öffnete sie die Tür.
Keine Fragen, kein Blick durch den Spion, keine vorgelegte Kette. Und das in Moskau! Nachts! Wo sie allein zu Hause war! Der Wirbel hatte die letzten Reste ihrer Vorsicht vertilgt, ebenjener Achtsamkeit, die es der jungen Frau ermöglicht hatte, ein paar Tage durchzuhalten. So sterben sie dann in der Regel auch, die Leute, auf denen ein Fluch lastet…
Äußerlich merkte man Swetlana noch nichts an. Ein leichter Schatten unter den Augen, aber wer vermochte schon zu sagen, was für eine Nacht sie hinter sich hatte. Und wie sie angezogen war: Rock, eine hübsche Bluse, Pumps - als erwarte sie jemanden oder wolle ausgehen.
»Guten Abend, Swetlana«, sagte ich und bemerkte in ihren Augen bereits das Aufflackern des Erkennens. Sicher, vage würde sie sich von gestern her an mich erinnern. Und diesen Moment, in dem ihr schwante, dass wir uns kannten, sie aber noch nicht wusste, woher, musste ich nutzen.
Ich reckte mich im Zwielicht hinein. Vorsichtig, denn der Wirbel hing wie angeklebt über dem Kopf der Frau und konnte jede Sekunde reagieren. Vorsichtig, denn ich wollte sie nicht täuschen.
Nicht einmal zu ihrem Besten.
Das Ganze ist nur beim ersten Mal interessant und komisch. Findest du auch danach noch Gefallen daran, bist du bei der Nachtwache fehl am Platze. Es ist eine Sache, moralische Imperative zu ändern, und zwar immer zugunsten des Guten. Etwas andres ist es, ein Gedächtnis zu manipulieren. Das ist unvermeidlich, muss sein, das ist ein Teil des Vertrags, und allein schon unser Ein- und Auftauchen aus dem Zwielicht zieht bei den Umstehenden eine sekundenkurze Amnesie nach sich.
Doch wenn du erst einmal Vergnügen am Spiel mit einem fremden Gedächtnis findest, dann ist es Zeit für dich zu gehen.
»Guten Abend, Anton.«Ihre Stimme zerfloss ein wenig, als ich sie zwang, sich an etwas zu erinnern, das sie nie erlebt hatte.»Was ist denn mit Ihnen los?«
Mit schiefem Lächeln schlug ich mir gegen den Bauch. In Swetlanas Gedächtnis tobte jetzt ein Orkan. So begabt, ihr ein komplett falsches Gedächtnis einzugeben, bin ich nicht. Doch zum Glück taten es zwei, drei Anspielungen, danach täuschte sie sich selbst. Sie setzte sich mein Bild aus einem alten Bekannten zusammen, dem ich äußerlich ähnelte, einem anderen, noch älteren und flüchtigen Bekannten, der ihr aber sympathisch war, aus zwei Dutzend Patienten meines Alters sowie aus einigen Nachbarn im Haus. Ein leichter Anstoß meinerseits genügte, um diesen Prozess in Gang zu setzen, der Swetlana dann das fertige Bild lieferte. Ein guter Mensch - Neurastheniker -, ist wirklich häufig krank… Manchmal flirtet er ein wenig, aber eben nur ein wenig - er ist nicht sehr selbstsicher. Wohnt im selben Haus, einen Aufgang weiter.
»Haben Sie Schmerzen?«Selbst jetzt schaffte sie es noch, sich zu konzentrieren. Wirklich, eine gute Ärztin. Eine Ärztin aus Berufung.