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Während ich immer schneller rannte, zerschlug ich die graue Silhouette und trat ins Zwielicht ein. Die Farben der Welt verblassten, die Autos auf dem Prospekt schienen langsamer zu fahren, stecken zu bleiben.

Ich näherte mich dem Ort meiner Bestimmung.

Als ich in den Tordurchgang trat, war ich darauf gefasst, nur noch das Schlussbild zu sehen: den unbeweglichen, ausgelaugten, leer getrunkenen Körper des Jungen und die im Verschwinden begriffenen Vampire.

Doch ich kam rechtzeitig.

Der Junge stand vor der Vampirin, deren lange Eckzähne aufblitzten, und zog langsam den Schal weg. In diesem Moment hatte er bestimmt keine Angst - der Ruf erstickte das Bewusstsein absolut. Wahrscheinlich sehnte er sich sogar danach, dass die spitzen, funkelnden Eckzähne ihn berührten.

Neben den beiden stand ein Vampir. Intuitiv erfasste ich sofort, dass er das Sagen hatte: Er hatte die Frau initiiert, er hatte sie ans Blut gebracht. Und das Widerlichste von allem: Er hatte eine Moskauer Registriermarke. Dieses Schwein!

Immerhin erhöhte das meine Erfolgsaussichten.

Die Vampire drehten sich mir zu, waren jedoch verwirrt und begriffen nicht gleich, was hier vor sich ging. Der Junge stand in ihrem Zwielicht, sodass ich ihn nicht hätte sehen können, nicht hätte sehen dürfen. Wie sie selbst auch nicht.

Nach und nach entspannte sich das Gesicht des jungen Vampirs, er lächelte sogar, freundlich und ruhig.

»Hallo.«

Er hielt mich für einen von seinesgleichen. Was ihm nicht vorzuwerfen war: Im Moment war ich wirklich einer von ihnen. Fast. Die Woche Vorbereitung war nicht umsonst gewesen: Ich fing an, sie zu spüren - wäre dafür aber beinah selbst auf der Dunklen Seite gelandet.

»Nachtwache«, sagte ich. Ich streckte die Hand mit dem Amulett vor. Es war zwar entladen, aber das war auf die Entfernung nicht so leicht mitzukriegen.»Tretet aus dem Zwielicht heraus!«

Der Mann hätte womöglich gehorcht. In der Hoffnung, dass ich nichts von der Blutspur wusste, die er hinter sich herzog, und das Ganze als»Versuch der unerlaubten Interaktion mit einem Menschen«abgetan wurde. Doch die Frau verfügte nicht über seine Selbstbeherrschung und vermochte ihre Lage nicht einzuschätzen.

»Aaaah!!!«Heulend stürzte sie sich auf mich. Immerhin schlug sie ihre Zähne dann nicht dem Jungen ins Fleisch. Sie war jetzt absolut unzurechnungsfähig, wie eine Drogensüchtige auf Turkey, der man die Spritze, die sie sich gerade setzt, aus den Adern reißt, wie eine Nymphomanin, aus der man sich kurz vor dem Höhepunkt zurückzieht.

Für einen Menschen kam die Attacke zu schnell, niemand hätte sie parieren können.

Doch ich befand mich in derselben Realitätsschicht wie die Vampirin. Ich riss die Hand hoch und spritzte ihr etwas von dem Fusel direkt in das durch die Transformation entstellte Gesicht.

Warum vertragen Vampire Alkohol so schlecht?

Das bedrohliche Geschrei ging in ein leises Wimmern über. Die Vampirin drehte sich um sich selbst und hämmerte mit den Händen auf ihr Gesicht ein, von dem die Haut und das gräuliche Fleisch schichtweise abblätterten. Der Vampir aber wirbelte herum und wollte wegrennen.

Alles lief schon fast zu glatt. Ein registrierter Vampir ist kein zufälliger Gast, mit dem man einen fairen Kampf ausfechten müsste. Ich schleuderte den Flachmann gegen die Vampirin, streckte die Hand aus und erwischte die Schnur der Registriermarke, die sich gehorsam abrollte. Aufstöhnend fasste sich der Vampir an den Hals.

»Komm aus dem Zwielicht raus!«, schrie ich.

Anscheinend begriff er, dass er richtig in der Klemme saß. Indem er sich auf mich stürzte, versuchte er, der gespannten Schnur den Druck zu nehmen. Aus der Bewegung heraus ließ er die Eckzähne hervortreten und begann seine Transformation.

Wenn das Amulett voll geladen gewesen wäre, hätte ich ihn einfach betäubt.

So aber musste ich ihn umbringen.

Die Marke - ein leicht glänzendes, hellblaues Siegel auf der Brust des Vampirs - knirschte, als ich einen lautlosen Befehl aussandte. Die Energie, die von jemandem stammte, der weitaus fähiger war als ich, ergoss sich in den toten Körper. Der Vampir rannte noch. Er war satt, stark, und noch nährte fremdes Leben das tote Fleisch. Doch einen Schlag von dieser Kraft vermochte er nicht auszuhalten: Die Haut trocknete ein, legte sich wie Pergament über die Knochen, die Gallerte sickerte aus den Augenhöhlen. Dann brach die Wirbelsäule auseinander, und das zuckende Gerippe krachte vor meinen Füßen zusammen.

Ich drehte mich zurück - die Vampirin hatte das Bewusstsein schon zurückerlangt. Gefahr ging von ihr jedoch keine mehr aus. Mit riesigen Sprüngen hastete sie über den Hof davon. Noch immer war sie nicht aus dem Zwielicht herausgetreten, sodass dieses frappierende Schauspiel nur ich zu sehen vermochte. Und die Hunde natürlich. Von irgendwoher erklang das hysterische Gebell einer kleinen Töle, die Hass und Angst gleichermaßen gefangen hielten - und all die Gefühle, die die Hunderasse seit Urzeiten für diese lebenden Toten hegt.

Die Vampirin zu verfolgen fehlte mir die Kraft. Ich reckte mich und nahm einen Abdruck ihrer Aura, einer ausgetrockneten, grauen, muffigen Aura. Sie würde uns nicht entkommen.

Doch wo steckte der Junge?

Nachdem er aus dem von den Vampiren geschaffenen Zwielicht herausgetreten war, konnte er entweder in Ohnmacht oder in völlige Erstarrung gefallen sein. Im Tordurchgang war er jedoch nicht zu sehen. An mir vorbeigelaufen sein konnte er auch nicht… Ich stürmte aus dem Durchgang in den Hof, wo ich den Jungen tatsächlich entdeckte. Er hatte sich womöglich noch schneller davongemacht als die Vampirin. Tapferer kleiner Kerl! Ein echtes Wunder. Meine Hilfe brauchte er gewiss nicht. Bloß dumm, dass er sich an alles erinnerte - aber wer würde schon einem kleinen Jungen glauben? Bis morgen früh würde die Erinnerung verblasst sein, sich verwischt, sich in einen irrealen Albtraum verwandelt haben.

Oder sollte ich dem Jungen trotzdem nach?

»Anton!«

Vom Prospekt her kamen Igor und Garik angerannt, unser Einsatzteam im Doppelpack.

»Die Frau ist entkommen!«, rief ich.

Garik kickte im vollen Lauf gegen die vertrocknete Leiche des Vampirs, worauf eine Wolke modrigen Gestanks in die eisige Luft aufstieg.»Den Abdruck!«, schrie er.

Ich übermittelte ihm den Abdruck der geflohenen Vampirin. Garik verzog das Gesicht und legte einen Zahn zu. Die Fahnder nahmen die Verfolgung auf.»Kümmer dich um den Müll!«, brüllte Igor mir noch zu.

Mit einem Nicken - als ob sie eine Antwort erwarteten - trat ich aus meinem Zwielicht heraus. Die Welt gewann an Farbe. Die Silhouetten der beiden Jungs aus der operativen Abteilung zerschmolzen, selbst der Schnee, der in der Menschenwelt lag, wurde nicht länger von unsichtbaren Füßen platt getreten.

Aufseufzend ging ich zu dem am Straßenrand geparkten grauen Volvo. Auf der Rückbank lagen ein paar banale Dinge, die ich gut gebrauchen konnte: ein stabiler Plastiksack, eine Schaufel und ein Besen. In fünf Minuten hatte ich die Reste des Vampirs, die kaum etwas wogen, zusammengefegt und den Sack im

Kofferraum verstaut. Aus dem kümmerlichen Schneehaufen, den der schlampige Hausmeister liegen gelassen hatte, holte ich etwas schmutzigen Schnee, den ich im Durchgang verteilte und feststampfte, um die Moderreste tief unter dem Dreck zu begraben. Eine menschliche Bestattung bekommst du nicht, denn du bist kein Mensch…