Выбрать главу

Die Noten unter den Arbeiten hätte man vorhersagen können, dachte Ben, als er sie noch einmal durchging. Laurie Saunders und Amy Smith hatten wie gewöhnlich ihr Sehr gut, dann gab es den breiten Durchschnitt und zwei misslungene Arbeiten: die eine von Brian Ammon, einem erstklassigen Footballspieler — er schien Gefallen an schlechten Noten zu finden, obwohl Ben wusste, dass der Junge intelligent genug war, um Besseres zu leisten. Der zweite Misserfolg stammte von Robert Billings, dem ständigen Versager in der Klasse. ROSS schüttelte den Kopf. Dieser Robert Billings war wirklich ein Problem. Die Glocke läutete zum Ende der Stunde. Ben hörte Türen schlagen und die Schüler durch die Gänge strömen. Es war seltsam, dass Schüler die Klassen immer blitzschnell verließen, zum Beginn der nächsten Stunde aber im Schneckentempo kamen. Insgesamt betrachtet, war Ben überzeugt, dass die High School für die Schüler heute weit angenehmer sei als zu seiner Zeit, aber es gab doch einiges, das ihn störte. Da war zum Beispiel die völlige Gleichgültigkeit der Schüler, was die Pünktlichkeit betraf. Manchmal gingen fünf oder gar zehn kostbare Unterrichtsminuten verloren, ehe der letzte Schüler endlich zur Stelle war. Früher hatte man erheblichen Ärger bekommen, wenn man beim zweiten Läuten nicht an seinem Platz saß.

Das zweite Problem waren die Hausaufgaben. Die Kinder hatten einfach keine Lust mehr, sich damit aufzuhalten. Ob man sie mit schlechten Noten oder mit Nachsitzen bedrohte, war ihnen egal. Hausaufgaben waren zu einer Art freiwilliger Leistung geworden. Ein Schüler aus der neunten Klasse hatte ihm kürzlich gesagt:»Ja, sicher, Mister ROSS, ich weiß, dass Hausaufgaben wichtig sind; aber meine sozialen Kontakte gehen schließlich vor.«

Ben lachte leise vor sich hin. Soziale Kontakte! Die ersten Schüler betraten den Klassenraum. ROSS entdeckte David Collins, einen großen, gutaussehenden Jungen, der zu den Stars der Footballmannschaft gehörte. Außerdem war er der Freund von Laurie Saunders.

«David«, sagte ROSS,»glaubst du, dass du diesen Filmprojektor in Gang kriegen kannst?«»Ja, sicher«, antwortete David.

Während ROSS zuschaute, kniete David neben dem Projektor nieder und ging ans Werk. Nach wenigen Sekunden hatte er den Film eingelegt. Ben bedankte sich lächelnd.

Robert Billings stapfte ins Klassenzimmer, ein kräftiger Junge, dem dauernd das Hemd aus der Hose hing, und der sich anscheinend morgens nach dem Aufstehen nie die Mühe machte, sich zu kämmen.»Sehen wir 'n Film?«fragte er, als er den Projektor sah.»Nein, Blödmann«, sagte Brad, der Robert besonders gern quälte.

«Mister ROSS baut einfach gerne Filmprojektoren auf.«

«Das genügt, Brad!«sagte Ben streng. Inzwischen waren genug Schüler eingetroffen, so dass ROSS beginnen konnte, die Arbeiten zurückzugeben.»Hört her!«sagte er laut.»Hier sind eure Arbeiten von vergangener Woche. Allgemein kann man sagen, dass ihr nicht schlecht gearbeitet habt. «Er ging zwischen den Tischen hin und her und gab jedem Schüler seine Arbeit zurück.»Aber ich muss euch noch einmal ausdrücklich warnen. Manche dieser Arbeiten sehen wirklich zu unordentlich aus. «Er hob ein paar Blätter in die Höhe.»Hier, zum Beispiel. Ist es denn wirklich nötig, die Ränder einzurollen?«

Die Klasse lachte, und einer fragte:»Wem gehören die denn?«

«Das ist nicht deine Sache. «Ben strich die Blätter glatt und teilte weiter aus.»Von jetzt an werde ich die Noten bei den unordentlich abgelieferten Arbeiten verschlechtern. Wer zu viele Fehler gemacht hat oder zu oft ändern musste, der fängt eben ein neues Blatt an und schreibt seinen Text ordentlich ab, ehe er ihn abgibt. Habt ihr verstanden?«

Einige Schüler nickten. Andere achteten nicht weiter auf seine Worte. Ben ging nach vorn und entrollte die Filmleinwand. Das war nun schon das dritte Mal in diesem Halbjahr, dass er über unordentliche Arbeiten gesprochen hatte.

Kapitel 2

Das Thema der Stunde war der Zweite Weltkrieg, und der Film, den Ben ROSS an jenem Tage vorführte, berichtete von den Grausamkeiten, die Nazis in den Konzentrationslagern verübt hatten. Im verdunkelten Klassenzimmer starrten die Schüler auf die Leinwand. Sie sahen Männer und Frauen, die so heruntergekommen und ausgehungert waren, dass sie nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schienen.

Ben hatte diesen Film oder ähnliche Filme schon häufiger gesehen. Doch der Anblick so rücksichtsloser, unmenschlicher Grausamkeiten machte ihn noch immer betroffen und zornig. Während der Film noch lief, sagte er zur Klasse:»Was ihr da seht, hat sich in Deutschland zwischen 1933 und 1945 abgespielt. Es ist das Werk eines Mannes namens Adolf Hitler, eines ehemaligen Anstreichers, der sich nach dem Ersten Weltkrieg der Politik zuwandte. Deutschland war in diesem Krieg besiegt worden, die neue Führung war noch schwach, Tausende von Menschen waren heimatlos, hungrig und ohne Arbeit.

Diese Lage bot Hitler die Möglichkeit, in der Nazipartei schnell aufzusteigen. Er pflichtete der Lehre bei, die Juden seien die Zerstörer aller Kultur, und die Deutschen seien Angehörige einer höherstehenden Rasse. Heute wissen wir, dass Hitler ein Psychopath war. 1923 wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, doch im Jahre 1933 übernahm seine Partei die Regierungsmacht in Deutschland. «Ben schwieg einen Augenblick, damit die Schüler sich ganz auf den Film konzentrieren konnten. Sie sahen jetzt die Gaskammern und Menschenleiber, die wie Brennholz aufgestapelt waren. Noch lebende menschliche Skelette hatten die entsetzliche Aufgabe, die Toten unter den wachsamen Augen der SS-Leute aufzuschichten. Ben spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Wie war es nur möglich, dass ein Mensch einen anderen Menschen zu einer solchen Arbeit zwang?

Den Schülern sagte er:»In diesen Todeslagern spielte sich ab, was Hitler die

>Endlösung der Judenfrage< nannte. Aber jedermann — nicht nur die Juden — konnte in ein solches Lager geschickt werden, wenn er von den Nazis nicht als tauglich befunden wurde, der >Herrenrasse< anzugehören. In ganz Osteuropa pferchte man die Menschen in Lager. Zunächst leisteten sie harte Arbeit, hungerten, wurden gefoltert, und wenn sie nicht mehr arbeiten konnten, endeten sie in den Gaskammern. Ihre Überreste wurden in den Öfen verbrannt. «Ben schwieg einen Augenblick, ehe er hinzufügte:»Die Lebenserwartung der Gefangenen in den Lagern betrug zweihundertsiebzig Tage. Viele überlebten noch nicht einmal eine Woche.«

Auf der Leinwand sah man jetzt die Gebäude, in denen die Öfen standen. Ben dachte daran, die Schüler darauf aufmerksam zu machen, dass der Rauch, der aus den Schornsteinen aufstieg, das Verbrennen von Menschenfleisch anzeigte. Er tat es nicht. Es war auch so ein schreckliches Erlebnis, diesen Film anzuschauen. Nur gut, dass man noch keine Möglichkeit erfunden hatte, auch Gerüche im Film wiederzugeben; das Übelste musste der Gestank sein, der Gestank der niederträchtigsten Tat in der Geschichte der Menschheit. Der Film endete, und Ben erklärte seinen Schülern:»Insgesamt haben die Nazis über zehn Millionen Männer, Frauen und Kinder in ihren Vernichtungslagern umgebracht.«

Ein Schüler, der dicht bei der Tür saß, schaltete das Licht ein. Als der Lehrer sich im Klassenraum umsah, erkannte er deutlich, dass die meisten Schüler tief betroffen waren. Ben hatte sie nicht schockieren wollen, doch es war ihm klar gewesen, dass dieser Film es tun würde. Die meisten der Schüler waren in der kleinen Vorstadtgemeinde aufgewachsen, die sich ruhig und friedlich um die Gordon High School ausbreitete. Sie entstammten gesunden Mittelstandsfamilien, und trotz der Fülle von Grausamkeiten, mit denen sie durch die Massenmedien überschüttet wurden, waren sie überraschend naiv. Selbst jetzt wollten einige Schüler wieder mit ihren üblichen oberflächlichen Spielereien beginnen. Ihnen war der Film wahrscheinlich nur wie einer der zahllosen Fernsehfilme vorgekommen, die man ständig sah. Robert Billings, der dicht beim Fenster saß, hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und schlief. Aber ganz vorn saß Amy Smith, und es sah so aus, als wischte sie sich gerade die Tränen aus den Augen. Auch Laurie Saunders sah ganz verstört aus.