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»Übermorgen ist Mittwoch, das reicht doch.« Wilma prustete in ihr Taschentuch und schrieb >nächstes Bandentreffen Mittwoch Nachmittag< ins Hühnerfeder-Ringbuch. »Bis dahin haben wir auch noch ein bisschen Zeit, drüber nachzudenken, wo wir die Hühner hinbringen.«

»Okay, Mittwoch«, Sprotte rutschte von der Tischtennisplatte. »Wieder hier im Keller?« Frieda nickte. »Kein Problem.«

»Aber bitte nicht wieder mit diesem Fledermaussaft«, sagte Melanie und zog ihre Lederjacke an.

»Das war Fliederbeersaft, und der soll sehr gut gegen Pickel sein«, meinte Wilma, während sie das Protokollbuch in ihren Rucksack schob, ganz vorsichtig, damit die aufgeklebten Federn nicht abgingen. »Ehrlich?« Misstrauisch guckte Melanie sie an. »Nee!«, sagte Wilma, zog grinsend eine kleine Flasche aus der Tasche und lud ihre Wasserpistole nach. Melanie stieß ihr ärgerlich den Ellbogen in die Seite.

Als Frieda aufschloss, spähte Sprotte erst mal vorsichtig durch die Tür, aber Titus und sein langer Freund lungerten nicht in dem kalten Flur herum. Erst auf der Kellertreppe kamen sie den Wilden Hühnern entgegen. »Seid bloß froh, dass wir uns nicht an kleinen Mädchen vergreifen!«, knurrte Titus, während sie sich aneinander vorbeidrängten.

»Seid froh, dass wir uns nicht an langen Jungs vergreifen«, knurrte Sprotte zurück. »Bei eurer Größe funktioniert die Blutzufuhr zum Gehirn nicht mehr, wusstet ihr das?« Titus' Freund strich sich das nasse Haar aus der Stirn und schnitt ihr eine Grimasse. Hastig drängten sich Trude und Sprotte an ihm vorbei. Melanie konnte es sich natürlich nicht verkne ifen, den Jungs noch ein Lächeln zu schenken und die Treppe raufzuschweben, als hätte sie ihren großen Auftritt.

Titus hielt Frieda am Arm fest. »Worum ging's denn heute, Schwesterchen?«, fragte er. »Komm, wir wollen was zu lachen haben. Die Mädels sind nämlich eine Bande«, sagte er über die Schulter zu seinem Freund. »Du kommst nie drauf, wie sie sich nennen. Die Wilden Hühner.« »Und ihr?« Wilma hatte schon wieder ihre Hand im Ärmel. »Wie nennt ihr euch? Die Pingpong-Asseln?« »Du solltest dir für deinen Wasserwerfer einen Waffenschein besorgen!«, raunte Titus ihr zu.

»Spielt schön!«, flüsterte Wilma zurück. »Tischtennis spielen ist genau das Richtige für kleine Jungs. Vorhaben für so was leider keine Zeit.«

»Schluss jetzt«, sagte Frieda und zog Wilma mit sich die Treppe rauf.

4

Als die Wilden Hühner ihre Räder wieder nach draußen schoben, war es dunkel.

»Torte hat seine Liebeskummer - Wache wohl aufgegeben«, stellte Melanie fest, als sie sich aufs Rad schwang. »Oder seht ihr ihn irgendwo?«

»Der war inzwischen erfroren, wenn er noch da wär«, sagte Wilma.

Trude schaute sich trotzdem um. »Torte seh ich nicht«, sagte sie, »aber guck dir mal eure Hauswand an, Frieda.« Alle drehten sich um. Auf der schmutzig weißen Mauer, direkt unter Friedas Fenster, stand in riesigen Buchstaben: Hier wohnt Frieda, das blödeste Huhn der Stadt. Melanie kniff die Lippen zusammen, aber kichern musste sie trotzdem.

»Dieser Idiot!« Sprotte legte Frieda den Arm um die Schulter. »Das gibt Ärger. Darauf kann der Urwaldzwerg seinen kleinen Hintern verwetten!«

»Irgendwie ist das romantisch«, näselte Wilma andächtig. »Ich mein ... «

»Vergiss es«, sagte Sprotte und starrte zu Tortes Gekritzel hinauf. »Wie ist der Kerl eigentlich da hochgekommen?« »Wahrscheinlich auf die Mülltonnen geklettert«, murmelte Frieda. »Wenn das Titus sieht...« Sie seufzte. »Sollen wir dir helfen, es abzuwischen?«, fragte Sprotte. »Das kannst du vergessen«, sagte Melanie und zupfte sich vor ihrem Fahrradspiegel die Haare unterm Helm zurecht. »Torte hat Massen von diesen Spraydosen, ihr wisst schon, die Farbe kriegt man nicht so einfach ab.« Sie kicherte. »Frieda kann ja eins von den Plakaten drüberhängen, die sie überall in der Schule verteilt.«

»Bist du aber witzig!«, fuhr Sprotte sie an. »Wie ist es, soll ich unter de in Fenster spritzen: Melanie ist das eitelste Huhn der Stadt?«

»Und Sprotte das eingebildetste«, fauchte Melanie. »Ach, hört schon auf«, sagte Trude.

»Genau!« Wilma schwang sich auf ihr Rad. »Wir reden morgen ein ernstes Hühnerwort mit Torte, okay?« Aber Frieda schüttelte den Kopf. Fröstelnd ging sie zur Haustür zurück. »Lasst ihn einfach in Ruhe«, sagte sie über die

Schulter. »Irgendwann wird er schon aufhören mit dem Mist.«

»Wie du meinst«, sagte Sprotte und stieg auch aufs Rad. »Aber sag Bescheid, wenn wir was unternehmen sollen.« Frieda nickte nur. »Bis morgen«, rief sie den ändern zu. Dann verschwand sie im Hausflur.

Sprotte hatte es nicht weit nach Hause. Sie wohnte in derselben Straße wie Frieda, nur am anderen Ende. Schon vom Bürgersteig aus sah sie, dass ihre Mutter da war. Oben in der Küche brannte Licht.

Im Treppenhaus stank es nach Fisch. Sprotte lief die Stufen hoch, genau achtundvierzig, und schloss mit kalten Fingern die Wohnungstür auf. »Bin wieder zurück!«, rief sie, warf die Schuhe in die Ec ke und ging durch den dunklen Flur zur Küchentür.

»Verdammter Scheißkerl«, rief ihre Mutter und schmiss einen Teller gegen die Wand. Einen, den Oma Slättberg ihr geschenkt hatte. Dann griff sie sich einen Stapel Tassen und pfefferte sie gegen die Kacheln. Sprotte sah sich bestürzt um. Der ganze Fussboden lag voller Scherben. Und in der Spüle brannte irgendwas.

»Alles - alles in Ordnung, Mam?«, fragte Sprotte zaghaft. Ihr Herz klopfte heftig.

»Ach, du bist es.« Ihre Mutter ließ mit verlegenem Lächeln die große Schüssel sinken, die sie in den Händen hielt und stellte sie auf den Küchentisch. Dann ging sie zur Spüle und kippte einen Topf Wasser auf das Feuer. »Entschuldige«, murmelte sie und stieß das Fenster auf, damit der Rauch abzog. »Aber ich musste Wut loswerden.« »Auf diesen Typen?« Sprotte holte Handfeger und Dreckschaufel aus der Vorratskammer und fing an die Scherben aufzufegen.

»Auf diesen Typen, ja. Du mochtest ihn nie, ich weiß. Ich sollte öfter auf dich hören.«

»Stimmt«, murmelte Sprotte und kippte die erste Ladung Scherben in den Mülleimer.

»Komm, lass mich das machen«, sagte ihre Mutter. »Du schneidest dich noch.«

»Quatsch!« Sprotte fegte die Splitter unterm Tisch zusammen. »Na, wenigstens hast du nur das hässliche Geschirr von Oma zerdeppert. Und was hast du verbrannt?« Sprottes Mutter fuhr sich durchs Haar und ließ Wasser in das Becken laufen. »Ein paar Socken, die er hier liegen gelassen hat«, sagte sie. »Ich glaub, Oma hat doch Recht. Ich und die Männer, das gibt nur Ärger.«

»Du magst immer die falschen«, sagte Sprotte, holte den Staubsauger und saugte die letzten Splitter weg. Ihre Mutter setzte sich mit einem Seufzer an den Tisch und schnitzte Kerben in die Platte. »Weißt du was?«, sagte sie. »Ich glaub, wir sollten auswandern.«

Verblüfft sah Sprotte sie an. »Wie kommst du denn da drauf?« »Na ja.« Ihre Mutter zuckte die Achseln. »Den Arger einfach hinter uns lassen, verstehst du? Was Neues anfangen, was Abenteuerliches machen.«

»Aha.« Sprotte füllte Wasser in die Glaskanne und goss es in die Kaffeemaschine. »Ich koch dir erst mal Kaffee, okay?« »Du bist ein Schatz!« Ihre Mutter guckte nachdenklich aus dem Fenster. Grauschwarz war der Himmel draußen. Regen

lief die Scheibe runter. »Amerika«, murmelte sie. »Da kann man auch Taxi fahren. Gar kein Problem. Ich müsste nur mein Englisch auffrischen. New York! Oder San Francisco, da ist das Wetter besser.«

»Du gehst zu oft ins Kino«, sagte Sprotte und stellte ihrer Mutter den Lieblingsbecher mit dem Schwein hin. »Das ist da bestimmt ganz anders, als du es dir vorstellst. Ziemlich gefährlich und überhaupt nicht gesund für Kinder. Und Hühner gibt es da auch keine, wilde schon gar nicht.« »Meinst du?« Ihre Mutter guckte immer noch aus dem Fenster, durch das nichts zu sehen war als die schmutzig graue Stadtnacht.