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»Jede Wette«, sagte Sprotte und schmiegte sich an sie. Ihre Mutter kraulte ihr abwesend den Rücken. Als Sprotte den Kaffee eingoss, klingelte das Telefon im Flur. Schniefend ging ihre Mutter an den Apparat. »Nein, es ist gar nichts los«, hörte Sprotte sie sagen. In dem Ton sprach sie nur mit Oma Slättberg. »Nein, wirklich nicht.« Sie guckte zu Sprotte rüber und verdrehte die Augen. »Gut, dann hör ich mich eben komisch an. Ja, ich hol sie.« Mit ausgestrecktem Arm hielt sie Sprotte den Hörer hin. »Nein!«, zischte Sprotte. »Ich will nicht mit der Hühnermörderin reden.« Aber ihre Mutter hielt ihr unerbittlich den Hörer hin. Mit einem tiefen Seufzer stand Sprotte auf und schlenderte in den Flur. »Ja, was gibt's?«, brummte sie ins Telefon.

»Was für eine nette Begrüßung!«, schnarrte Oma Slättberg ihr ins Ohr. »Die Erziehung deiner Mutter ist wirklich erstklassig. Ich habe mir im Garten den Fuß vertreten. Du musst mir helfen. Der Gründünger ist noch nicht gesät, der Kohl verkommt im Unkraut, und der Hühnerstall muss sauber gemacht werden.«

»Wieso?«, fragte Sprotte und schnitt dem Telefon eine Grimasse. »Du willst sie doch sowieso alle schlachten.« »Na und?«, schnarrte ihre Großmutter. »Muss es deshalb zum Himmel stinken? Komm morgen nach der Schule. Ich mach dir was zu essen. Die Schularbeiten erledigst du hier.« »Okay«, brummte Sprotte - aber plötzlich begann ihr Herz schneller zu klopfen, schneller und schneller. »Wegen dem Fuß, du - du fährst doch Sonntag trotzdem zu deiner Schwester, oder?«, stotterte sie in den Hörer. »Ach was!«, antwortete Oma Slättberg barsch. »Wie soll ich denn mit zwei Krücken in den Zug kommen? Nein, ich bleib zu Hause, und sie ist natürlich zu faul, mich zu besuchen. Was interessiert dich das?« »Ach, nur so«, murmelte Sprotte.

»Na, dann bis morgen«, sagte ihre Großmutter. »Ich hab Kekse gebacken.« Und weg war sie. Mit düsterer Miene ging Sprotte zurück in die Küche. »Siehst du?«, sagte ihre Mutter und goss sich noch einen Kaffee ein. »Wir müssen nach Amerika. Den Ärger mit Oma werden wir auf diese Weise auch endlich los.«

5

Am nächsten Morgen hörte Sprottes Mutter den Wecker nicht, weil sie die halbe Nacht in ihr Kissen geschluchzt hatte. Also kam Sprotte wieder mal zu spät, obwohl ihre Mutter sie samt Fahrrad mit der Taxe zur Schule fuhr. »Irgendeine Ausrede, Charlotte?«, fragte Frau Rose, als Sprotte in die Klasse stolperte.

Was sollte Sprotte darauf sagen? Meine Mutter hat Liebeskummer. Sie hat den Wecker nicht gehört, weil sie ihr voll geheultes Kissen überm Kopf hatte? Nein, so was erzählte man nicht, schon gar nicht, wenn die Pygmäen dahinten an ihren Tischen saßen und dumm grinsten. Also murmelte Sprotte nur: »'tschuldigung, hab verschlafen, Frau Rose«, und ging zu ihrem Platz, wo Frieda schon mit mitfühlendem Blick auf sie wartete.

»Setz dich ruhig«, flüsterte sie Sprotte zu. »Ich hab das Ei schon weggeschmissen.«

»Was für ein Ei?«, murmelte Sprotte und schob ihre Tasche unters Pult.

»Wir hatten heute Morgen alle ein rohes Ei auf dem Stuhl liegen«, flüsterte Wilma.

Neuerdings saß sie gleich hinter Sprotte. Aber lange würde das nicht gut gehen. Frau Rose runzelte schon ständig die Stirn, wenn sie in ihre Richtung sah.

»Trudes Ei ist auf dem Boden zerklatscht, aber Melanie hat sich mit ihrer frisch gewaschenen Hose mitten draufgesetzt«, raunte Wilma über Sprottes Schulter. »Sie war so sauer, dass sie Fred und Willi die glibbrigen Schalen an den Kopf geschmissen hat. Und weißt du, was das Tollste ist?« Wilma schniefte heftig in ein Taschentuch. »Die beiden haben die gekränkte Unschuld gespielt und alles abgestritten!« »Du meine Güte, die werden immer kindischer«, murmelte Sprotte. »Aber die können uns mal. Wir haben ganz andere Sorgen, das sag ich euch! Meine Oma ... « »Charlotte, Wilma«, sagte

Frau Rose. »Schluss mit dem Getuschel. Wir sind hier nicht im Hühnerstall.« In der vorletzten Reihe fingen die Pygmäen vierstimmig an zu gackern. Täuschend echt konnten sie das, aber Frau Rose beendete die Vorstellung mit einem Blick. Dann spitzte sie die an diesem Morgen kirschrot geschminkten Lippen, zog ihr kleines Buch raus und machte wegen der Verspätung das fünfte Kreuz hinter Sprottes Namen. Noch ein Kreuzchen mehr, und Sprotte würde Punkt sieben kommen müssen, um einen Aufsatz zu schreiben über das schöne Thema: Berufe, für die man früh aufstehen muss.

Den Rest der Stunde nahm Frau Rose Sprotte so oft dran, dass sie es nicht mal schaffte, die anderen Hühner per Geheimschrift-Nachricht über Oma Slättbergs Anruf zu informieren. Erst in der großen Pause, als alle auf dem Gang vor der Klasse rumhingen, weil es draußen regnete wie am ersten Tag der Sintflut, kam Sprotte dazu, die schlechte Nachricht zu verkünden.

»Sonntag ist geplatzt!«, raunte sie, als die anderen Hühner um sie rumstanden. »Die Hühnermörderin hat sich den Fuß verknackst. Sie fährt nicht zu ihrer Schwester.« »O nein!«, stöhnte Trude. »Was machen wir denn jetzt?« Sprotte sah sich um, aber die Pygmäen standen alle drüben vor der Parallelklasse rum und stritten darüber, wer der beste Fußballer der Welt war.

»Ich bin kaum zum Denken gekommen«, sagte Sprotte leise. »Meine Mutter hat sich die halbe Nacht die Augen aus dem Kopf geheult wegen diesem Typen, mit dem sie zusammen war. Vorher hat sie die Hälfte von unserm Geschirr zerschmissen, seine Socken verbrannt und beschlossen, dass wir auswandern.«

»Wie romantisch!«, hauchte Wilma und musste so heftig niesen, dass ihr der Haarreif verrutschte.

»Mensch, dauernd niest du in meine Richtung«, zischte Melanie und fingerte nervös an dem kleinen Pflaster rum, das sie sich auf ihren neuesten Pickel geklebt hatte. Herzförmig, mit Glitter drauf. Sie trug ihre Sport-Leggins. Die eierbekleckerte Hose weichte auf dem Mädchenklo im Waschbecken vor sich hin.

»Romantisch? Na, ich kann mich beherrschen«, murmelte Sprotte.

»Wohin denn auswandern?«, fragte Trude besorgt. »Nach Amerika«, knurrte Sprotte. »Taxifahrerin in New York will sie werden.«

»Die Ärmste«, murmelte Frieda. »Liebeskummer ist eine scheußliche Sache.«

»Ach ja?« Spöttisch guckte Melanie sie von der Seite an. »Seit wann kennst du dich denn damit aus?« »Schluss mit dem Thema!«, zischte Sprotte. »Wir müssen über den Fuchsalarm reden.« Sie sah sich noch mal nach den Pygmäen um, aber die waren vollauf miteinander beschäftigt. Willi hielt den kichernden Torte im Schwitzkasten, und Fred kitzelte Steve durch. Beruhigt drehte Sprotte ihnen wieder den Rücken zu. »Wir können nur eins machen, wenn wir die Hühner retten wollen«, sagte sie. »Wir ...«, sie senkte die Stimme, »... wir entfuhren sie Samstagabend, wenn die Hühnermörderin vorm Fernseher sitzt.« Entgeistert guckten die ändern vier sie an. »Wie?« Trude rückte sich beunruhigt die Brille zurecht. »Du willst die Hühner stehlen, wenn deine Oma zu Hause ist?« »Hört sich nicht nach einer von deinen besseren Ideen an«, sagte Melanie. »Das sind fünfzehn Hühner!«, flüsterte Wilma. »Da muss jede von uns drei Hennen schleppen. Wie soll das denn gehen? Nee!« Sie schüttelte den Kopf. »Die entwischen uns, und dann rennen wir durch den ganzen Garten hinter ... « »Quatsch«, unterbrach Sprotte sie. »Wir packen sie im Stall in Kartons. Drei Kartons reichen dicke für die paar Hennen.«