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Willi stieß ihn in den Rücken. »Halt die Klappe, Steve.« »He, he, war doch nur ein Witz«, murmelte Steve. »Eure Witze waren auch schon mal besser«, sagte Melanie. Sie warf Willi einen schnellen Blick zu, mit einem Lächeln als Zugabe.

Stirnrunzelnd sah Sprotte die anderen Hühner an. »Find ich okay, das mit dem Gutschein«, sagte Frieda. Trude und Wilma nickten. Melanie zuckte nur die Achseln. »Wenn sie drauf bestehen.«

»Okay«, sagte Sprotte. »Ihr kriegt das Ding, spätestens morgen. Wegen Samstagabend - falls ihr es vergessen habt, meine Oma wohnt im Schaumkrautweg 31, aber wir treffen uns am besten erst mal vorn in der Straße. Auf der linken Seite ist ein Grundstück mit hohen Tannen. Punkt acht warten wir da auf euch. Die Kartons für die Hennen ...« »... besorgen wir«, unterbrach Fred sie. »In Tortes Keller stehen jede Menge rum. Aber wo bringen wir das Federvieh hin, wenn wir's geklaut haben?«

»Das geht euch nichts an«, antwortete Sprotte. »Ihr sollt uns bloß beim Einfangen helfen.«

»Ach ja, ihr habt ja immer noch kein Hauptquartier!« Höhnisch verzog Torte das Gesicht. »Steckt ihr euch die Köpfe gegenseitig untern Hintern, wenn es kalt wird? Wie die echten Hühner?«

Die Klingel übertönte Sprottes Antwort. »Falls ihr keinen Platz findet«, sagte Fred und drehte sich um, »wir würden die Hühner auch eine Weile bei uns am Baumhaus verstecken.«

»Danke!«, murmelte Sprotte, während sie alle zurück zur Klasse gingen. Sie flehte die Götter an, dass sie das Angebot nicht annehmen mussten.

6

Pünktlich zum Schulschluss hörte es auf zu regnen. Die Sonne brach durch die grauen Wolken und Sprotte hatte es nicht eilig damit, zu Oma Slättberg zu kommen. Sie fuhr durch die Pfützen, dass ihr das trübe Wasser gegen die Hose spritzte, hielt das Gesicht ins kalte Sonnenlicht und versuchte, an nichts zu denken. Nicht an den Liebeskummer ihrer Mutter, nicht an die Pygmäen oder die fünfzehn Hennen, die, wenn es nach ihrer Großmutter ginge, den nächsten Frühling nicht erleben würden. Vor allem aber versuchte Sprotte, nicht an Oma Slättberg zu denken. Die wartete schon auf sie. Auf zwei Krücken gestützt stand sie in der offenen Haustür, die Lippen aufeinander gepresst, der Mund nur ein Strich über dem eckigen Kinn. Sprotte hatte Fotos von ihrer Oma gesehen, auf denen sie kaum zwanzig war. Manchmal, wenn ihre Großmutter es nicht merkte, starrte Sprotte sie an und suchte in dem alten nach dem jungen Gesicht. Aber sie fand kaum eine Spur davon.

»Du bist spät dran!«, rief Oma Slättberg, als Sprotte ihr Rad in den Garten schob. Auf so was antwortete Sprotte schon lange nicht mehr. Sie hatte festgestellt, dass es am besten war, einfach gar nichts zu sagen oder so wenig wie möglich. »Bist auch schon wieder dünner geworden«, stellte ihre Großmutter als Nächstes fest. »Willst du dich in Luft auflösen? Wenn ich deine Mutter wäre, würde ich mir langsam ernsthaft Sorgen machen.«

Bist du aber nicht, dachte Sprotte. Zum Glück. Und verfluchte zum hundertsten Mal, dass sie sich alles gefallen lassen mussten, nur weil Oma Slättberg die Einzige war, bei der Sprotte bleiben konnte, wenn ihre Mutter Taxi fuhr. Sprottes Großmutter hatte Buchweizenpfannkuchen gemacht und Berge von kaum gesalzenem Gemüse. Sprotte hasste Buchweizenpfannkuchen, und das Gemüse salzte sie so lange nach, bis ihre Großmutter ihr den Salzstreuer wegnahm. Mit eisiger Miene saß Oma Slättberg ihr gegenüber am Tisch, die Krücken über den Schoß gelegt. »Iss«, sagte sie, ohne selbst einen Bissen anzurühren. »Du kriegst schließlich selten genug was zwischen die Zähne, das nicht aus der Mikrowelle kommt.«

»Soll Mam etwa im Taxi kochen?«, fragte Sprotte und schob die zerkochten Karotten von einer Backe in die andere. »Rede nicht mit vollem Mund«, antwortete Oma Slättberg nur. »Deine Mutter klang komisch gestern am Telefon«, stellte sie fest, als Sprotte den Teller wegschob und ihre Schultasche holte. »Hat sie wieder Arger mit irgendeinem Mann?« »Weiß ich nicht«, brummte Sprotte und tat so, als wäre sie völlig in ihre Matheaufgaben versunken. Das brachte ihre Großmutter meistens zum Schweigen. Es klappte auch diesmal. Oma Slättberg humpelte mit ihren Krücken zum Küchenfenster und ließ sich ächzend in ihren Lieblingssessel fallen. Dann guckte sie wordos nach draußen, bis Sprotte ihre Hausaufgaben wegpackte.

»Ich hab dir eine Liste geschrieben«, sagte sie, als Sprotte ihre Schultasche neben die Garderobe stellte. »Da, auf dem Schrank liegt sie. Die Kekse daneben sind für dich.« Sprottes Großmutter schrieb ständig Listen. Sie wurde von Tag zu Tag vergesslicher, deshalb schrieb sie alles auf, sogar die Sendezeiten ihrer Lieblingsserien im Fernsehen. Überall lagen ihre Zettel herum. Manche klebte sie an die Türen, einige sogar an. die Fenster. Der Zettel, auf den sie Sprottes Arbeitsliste für diesen Nachmittag geschrieben hatte, war ziemlich groß.

Grünkohlbeet und Rosenkohlbeet hacken, stand drauf. Auf dem abgeernteten Beet Gründünger säen. Eier aus dem Stall holen. Unkraut zupfen auf dem Kräuterbeet.

»Das schaff ich nicht alles, bis es dunkel wird«, sagte Sprotte. »Fang an«, antwortete Oma Slättberg und guckte wieder aus dem Fenster. Sprotte nahm sich die Kekse, die neben dem Zettel lagen, zog ihre Jacke an und ging raus. Als Erstes lief sie zum Hühnerstall, obwohl ihre Oma mit der Krücke gegen die Fensterscheibe klopfte. Wahrscheinlich, weil Sprotte die Reihenfolge ihrer Liste nicht einhielt.

»Na, ihr Süßen?«, sagte Sprotte, als sie in den Stall kam. Die meisten Hühner scharrten draußen im Auslauf, aber vier pickten im Stall in der fast leeren Futterrinne herum. Zögernd staksten sie auf Sprotte zu, gackerten klagend, verdrehten die Hälse und guckten sie fragend mit ihren Knopfaugen an. Isolde, Sprottes Lieblingshenne, war auch dabei. »Na, seid ihr schon wieder hungrig?« Sprotte fing Isolde, setzte sie sich auf den Schoß und strich ihr über den hellroten Kamm. Die braune Henne kniff die Augen zu. »Ihr Dummköpfe!«, murmelte Sprotte. »Dick und fett habt ihr euch gefressen. Wenn ihr weniger verfressen wärt, würde es sich nicht lohnen, euch zu schlachten.« Sie seufzte. »Ich glaub, ihr würdet sogar Omas verkochtes Gemüse runterschlingen.« Isolde gluckste leise vor sich hin. Behutsam setzte Sprotte sie wieder ins Stroh und sah zu, wie die Henne hastig davonstakste.

»Ihr habt wirklich keine Ahnung«, sagte Sprotte leise. »Von gar nichts.«

War das das Wunderbare an Tieren, dass sie von gar nichts wussten? Manchmal, wenn Sprotte so traurig war, dass sie kaum Luft kriegte, hockte sie sich in Oma Slättbergs Hühnerstall ins Stroh und sah den Hennen zu. Wie sie pickten und scharrten. Dabei vergass sie alles, was traurig machte. Sie vergaß den Ärger mit ihrer Großmutter, sie vergaß, dass es Kriege gab, Kinder, die verhungerten, bevor sie so alt wie Friedas kleiner Bruder waren, Tiere, die ihr Leben in Käfigen zubrachten, die ganze endlose Elendsliste vergaß Sprotte, wenn sie die Hühner so sorglos herumpicken sah. Seltsam.

Aber gerade weil sie nichts wussten, liefen sie auch nicht weg, wenn Oma Slättberg mit einem Beil in den Stall kam, um ihnen den Kopf abzuhacken.

Mit einem Seufzer stand Sprotte auf, zupfte sich das Stroh von der Jacke und ging zur Stalltür. »Ich werd euch retten«, sagte sie über die Schulter. »Heiliges Hühnerehrenwort. Auch wenn das eine verflixt riskante Sache ist. Das könnt ihr mir glauben.« Die Hennen hoben nicht mal die Köpfe. Hektisch pickten sie weiter im Stroh herum. Oma Slättberg machte ein finsteres Gesicht, als Sprotte wieder aus dem Stall kam. Sie kniff die Lippen so fest aufeinander, dass ihr Mund aussah wie zugenäht. Sprotte tat so, als wüsste sie nicht, was los wäre, steckte sich einen Keks in den Mund und begann das Grünkohlbeet zu hacken. Mehr als eine halbe Stunde brauchte sie dafür. Der eisige Wind blies ihr vertrocknete Blätter und ein paar verlorene Regentropfen ins Gesicht. Die Erde war so feucht und kalt, dass Sprotte sich wunderte, wie daraus was wachsen konnte. Vielleicht ist die Idee mit dem Auswandern ja doch nicht so schlecht, dachte sie, als ihre Knie zu schmerzen anfingen und ihre Finger steif von der Hackerei waren. Da hörte sie plötzlich einen kurzen, dann einen lang gezogenen Pfiff, das Geheimsignal der Wilden Hühner. Überrascht hob sie den Kopf.