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Ikuška dachte an den Jäger, der sich an den See herangewagt hatte. Sie hätte ihn töten sollen … Aber das war nicht ihre Art. Üblicherweise genügte ein wenig Zauberei, um Menschenkinder so sehr zu erschrecken, dass sie für immer das Weite suchten. Aber dieser hier … Sie hatte seine Gedanken gesehen. Er hatte die Nabelschnur für eine Schlange gehalten! Warum schafften es die Menschen, die Dinge ins Böse zu verdrehen? Sie half Barnaba! Aber dieser Jäger hatte geglaubt, sie habe eine Schlange gerufen, die den Priester am Grund des Sees gefangen hielt.

So wie der Menschensohn gerannt war, würde er nicht wiederkommen. Sie dachte an die anderen Bewohner des Tals. Jene Sippe, die hier vor vielen Jahrhunderten gelebt hatte. Für sie war sie eine Göttin gewesen. Sie hatte ihnen ihren Namen verraten. Aber auch mit ihnen hatte sie nicht auf Dauer in Harmonie leben können. Die Menschen hatten immer mehr von ihr erwartet. Und je weiter sich die Geschichte von der Göttin im See verbreitet hätte, desto größer wäre die Gefahr geworden, dass die Devanthar auf sie aufmerksam geworden wären. Irgendwann hatte sie sich ihren Gefolgsleuten nicht mehr gezeigt. Zwei Jahre später hatten sie das Tal verlassen. Ein Trupp Wilder, in Felle gekleidet und zutiefst niedergeschlagen, weil sie ihre Göttin verloren hatten. Was wohl aus ihnen geworden war? Sie wusste, sie waren in ein Hochtal gewandert, das man heute die Ebene von Kush nannte. Und war sich fast sicher, dass diese Ebene ihren Namen trug. In abgewandelter Form …

Ikuška lachte laut auf. Eitelkeit, das war schon immer einer ihrer Fehler gewesen. Und Stolz. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich ganz darauf, an den Träumen Barnabas teilzuhaben. So wunderschöne Träume. Er liebte sie darin, zärtlich und doch voller Leidenschaft, saß mit ihr am See und redete oder sah sie manchmal einfach nur an. So viel Liebe war in ihm. Aber er hielt alles nur für einen Traum. Seinen Sturz, ihre Begegnung, seinen Schlaf hier unter dem See. Ein paar Wochen noch, dann könnte sie die Nabelschnur durchtrennen.

Sie mochte es, mit ihm zusammen zu träumen. Es würde schwer werden von ihm zu lassen. Aber wenn sie es wagte, könnten sie seine Träume leben. Vielleicht.

Konnte die Wirklichkeit so schön werden? Er hatte sein Leben lang nach einer Xana gesucht. Er war ein hoffnungsloser Romantiker. Sie glaubte, dass es diese Sehnsucht nach ihr gewesen war, die er seit seiner Kindheit in seinem Herzen trug, die ihn letztlich gegen jede Wahrscheinlichkeit zu ihr geführt hatte. Es war sein Schicksal gewesen, sie zu finden. Er würde nicht gehen, wenn sie die Nabelschnur durchtrennte.

Sie beugte sich über ihn, am Grund des Sees, und küsste ihn voller Sehnsucht. Bald schon würde er ihre Küsse erwidern. Ikuška schloss ihn in ihre Arme und schmiegte sich eng an seinen ausgemergelten Leib. In seinen Träumen bettete er sein Haupt auf ihren Schoß, und sie sang für ihn. Sie würde ein Lied für ihn ersinnen. Ein Lied über ihre Liebe und die Einsamkeit, die er von ihr genommen hatte. Sein Traum sollte sich erfüllen. Und ihrer auch!

Der Immerwinterwurm

Nandalee blickte zu dem grünen Licht hinauf, das in weit geschwungenen Bahnen über den Nachthimmel wogte. Sie lag in Gonvalons Armen, der mit ihr zum Himmel hinaufblickte. Sie waren nicht mehr weit vom Königsstein entfernt. Der Eissegler stand hinter einem Felsen verborgen. Cullayn und Tylwyth hatten vor Stunden erklärt, auf die Jagd gehen zu wollen. Die beiden konnten überraschend einfühlsam sein für Maurawan. Hier inmitten der Einöde war es so gut wie unmöglich, irgendein Wild aufzuspüren. Sie alle wussten das, ebenso wie sie wussten, dass die beiden ihnen eine letzte gemeinsame Nacht schenken wollten.

»Als ich noch klein war, habe ich mir manchmal vorgestellt, gleich hinter dem Horizont stünde ein Riese, dessen Haupt bis zum Mond hinaufreicht«, sagte Nandalee. »Und dass er den Vorhang aus Licht für uns zur Seite ziehen will, um uns all die Geheimnisse zu zeigen, die jenseits der Sterne verborgen liegen.« Sie stockte und dachte an Nangog. Daran, was sie tief im Herzen dieser fremden Welt gesehen hatte.

»Du denkst an die Riesin.« Es war keine Frage, eher eine nüchterne Feststellung.

»Nachtatem will, dass ich dorthin zurückkehre.«

»Gut!« Gonvalon drehte sich zu ihr um. »Dann solltest du nicht in den Königsstein gehen.«

Sie lächelte matt. »Du gibst niemals auf, nicht wahr?«

»Nicht, wenn es um dein Leben geht.«

»Ich werde dort wieder herauskommen.« Sie sagte das mit aller Entschlossenheit und wusste doch nur zu gut, wie wenig überzeugt sie klang.

»Wenn nicht, komme ich dich holen.«

»Ich möchte nicht, dass du dort …« Er brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Sie wusste, dass er ihr folgen würde. Sie wollte es nicht. Wollte ihn nicht in Gefahr bringen. Und doch tat diese Gewissheit gut.

Ein leises Räuspern ließ sie auffahren. »Die beiden sind zurück.« Sie griff nach ihren Kleidern.

Gonvalon hielt ihre Hand zurück und sah ihr tief in die Augen. »Du solltest dort nicht hingehen.«

»Ich habe keine Wahl.« Nandalee machte sich mit einem Ruck los. Ihr musste niemand erklären, wie töricht ihre Tat war.

»Und wenn keiner mehr lebt?«

Sie lächelte. »Hast du jemals gegen Trolle gekämpft? Sie hassen uns Elfen. Sie töten uns, wo immer sie können.«

»Ich dachte, sie fressen unsere Herzen, weil sie unseren Mut bewundern«, entgegnete er mit aufreizender Ruhe.

»Glaubst du, das zu wissen, ist dir ein Trost, wenn dich ein Troll erschlägt?«

»Ich glaube nicht, dass es in der Macht eines einzelnen Trolls steht, mich zu erschlagen.«

Manchmal war er schlimmer als die Pest, dachte Nandalee. »Jeder Troll, der stirbt, macht das Leben der Jäger in Carandamon ein wenig sicherer.«

»Glaubst du nicht, dass jeder Tote nur den Hass bestärkt, den sie gegen uns hegen? Dann würdest du genau das Gegenteil von dem erreichen, was du sagst. Sie werden sich nur umso mehr anstrengen, die Elfen Carandamons zu töten.«

Er hatte ein ungewöhnliches Talent, ihr die Worte im Mund herumzudrehen. »Ich ziehe mich jetzt an«, sagte sie gereizt und streifte die ledernen Beinlinge über, die sie sich von Tylwyth geliehen hatte. Sie genoss es, wieder in Leder gekleidet zu sein wie eine Jägerin.

»Enge Hosen stehen dir«, sagte Gonvalon und zwinkerte ihr zu. Sie spürte, dass er keinen Streit mit ihr ausfechten wollte. Nicht an ihrem letzten Tag.

»Keine Hosen anzuhaben steht dir gut«, entgegnete sie mit einem anzüglichen Lächeln. »Irgendwie habe ich das Gefühl, Cullayn und Tylwyth werden diesen Anblick auch zu schätzen wissen.«

Gonvalon griff nach seiner Hose. Nandalee war immer wieder aufs Neue überrascht, wie leicht es ihr fiel, den Schwertmeister aus der Fassung zu bringen.

Nur einen Augenblick später kamen die beiden Jäger. »Ihr beide solltet versuchen, ein wenig Schlaf zu finden, wenn wir draußen auf dem Eis sind. Ihr macht nicht den Eindruck, als sei die Nacht sehr erholsam für euch gewesen«, erklärte Tylwyth und warf einen erlegten Schneehasen auf das lederne Deck des Eisseglers. »Es bleibt keine Zeit mehr, ein Feuer zu machen. Wir essen ihn unterwegs.«