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Gonvalon schnitt eine Grimasse, sagte aber nichts. Sie lösten die Anker und nahmen ihre Plätze an Bord ein. In den letzten Tagen hatten sie sich gut aufeinander eingespielt.

Als sie um den schützenden Felsen herum auf das offene Eis hinausglitten, befolgte Nandalee Cullayns Rat. Sie nahm sich eine Decke und schnallte sich mit zwei breiten Lederriemen an Deck fest. Der zischende Laut der stählernen Kufen sang ihr ein Schlaflied. Sie blickte zum Himmel, zum wogenden grünen Licht, das bald schon der Morgendämmerung weichen würde.

Gonvalon kauerte sich neben sie. Er griff nach ihrer Hand, sagte aber nichts mehr. Sie war dankbar für das Schweigen. Es gab nichts mehr zu besprechen. Ihr Entschluss war unumstößlich.

Den Blick zum Himmel gerichtet, schlief sie bald ein und träumte von einer Riesin, die den Vorhang des Himmels zerteilte. Sie wollte ihr, Nandalee, etwas zeigen. Nur deshalb zog sie das Grüne Licht zur Seite. Doch bevor sie erkennen konnte, was es war, entglitt Nandalee, ihr Traum. Gonvalon weckte sie mit einem leichten Rütteln an der Schulter. »Von nun an geht es zu Fuß weiter.«

Ein wolkenverhangener, grauer Himmel spannte sich über ihnen. Es hatte zu schneien begonnen. Sie streckte sich und dehnte ihre steifen Muskeln. »Wo sind wir?«

»In einem Seitental, an der Nordflanke des Königssteins«, sagte Cullayn hinter ihr. »Von hier ist es ein Aufstieg von vier Stunden bis zu dem gefrorenen Wasserfall. Vielleicht fünf, wenn das Schneetreiben noch dichter wird.«

Nandalee blickte zum Himmel hinauf. Das Wetter war günstig. Sollten wider Erwarten Trolle so nahe bei der Höhle des Ungeheuers auf die Pirsch gehen, würde das Schneetreiben sie vor deren Blicken verbergen. Sie griff nach ihrem Schwert und kam nicht umhin, den sorgenvollen Blick Gonvalons zu bemerken.

»Willst du nicht wenigstens darauf verzichten, Todbringer mitzunehmen? Ich würde mich besser fühlen, wenn du ohne diese verfluchte Waffe gehen würdest. Nimm mein Schwert stattdessen. Es wird dir in den Tunneln weniger hinderlich sein als der Zweihänder. Ich wiederhole mich. Ich weiß.«

Sie schüttelte den Kopf. »Mit Todbringer kann ich Trolle mit einem einzigen Hieb töten. Und in Tunneln, durch die Trolle passen, werde ich mich ganz sicher nicht beengt fühlen.«

»Tu es um unserer Liebe willen«, beharrte Gonvalon.

Sie zögerte. Sie wusste, wie sehr er unter dem Glauben litt, auf ihm und dieser Waffe laste ein Fluch. Sie schob ihm das große Schwert hinüber. »Damit wirst du das Ungeheuer aus der Höhle über dem Wasserfall für mich in Stücke hacken.«

Gonvalon lächelte gezwungen. »Ja, das werde ich.«

»Seid ihr Turteltauben bald fertig?«, murrte Cullayn. »Der Schneefall lässt nach. Wir werden leichter am Hang zu entdecken sein.« Er blickte zu Nandalee. »Nimm das mit.« Der Jäger warf ihr eine weiße Wolldecke zu. »Damit bist du im Schnee fast unsichtbar. Du wirst dich an den Plan halten, den wir besprochen haben?«

Sie nickte.

»Dann los!«

Sie versteckten den Eissegler in einem Tanndickicht und begannen mit dem Aufstieg. Die beiden Maurawani gingen voran. Wie Ziegen erklommen sie den schneebedeckten Felshang. Nandalee hatte Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. Während sie schweigend zwischen grauen Granitblöcken wanderten, klarte der Himmel immer weiter auf. Sie durchquerten eine Klamm, in der ein Bach zu funkelnden Eiskaskaden erstarrt war.

Nandalee spürte das Wasser unter der trügerischen Kruste. Der Grund der Klamm lag schon im Dunkel. Das Geräusch ihrer Schritte auf dem knarrenden Eis hallte von den Felswänden wider. Keiner sprach ein Wort. Immer wieder blickte Nandalee zu den Schneewechten, jenen tückischen Schneeablagerungen, die sich auf Klippenrändern türmten und nicht selten einen Spalt zwischen festem Grund überdeckten. Eiszungen waren daraus hervorgewachsen. Ein lautes Geräusch, und die Schneemassen mochten in die enge Schlucht stürzen, um sie lebendig zu begraben.

Ihr schweigender Marsch währte länger als einer Stunde. Als sie endlich aus der Klamm herausstiegen, tauchte die Abendsonne das Schneefeld auf dem Hang über ihnen in zartes Rosa.

Der Bach aus der Klamm wand sich in weiten Kurven durch ein flaches Bett einem Steilhang entgegen, der in einen Panzer aus durchscheinendem Kristall gehüllt zu sein schien. Der gefrorene Wasserfall. Er reichte mehr als dreißig Schritt in die Höhe. Über ihm entdeckte Nandalee eine dunkle Öffnung unter einem vorspringenden Felssims. Die Höhle, die sie in den Berg führen würde.

Eisiger Wind fegte über den Hang und wirbelte den Schnee auf dem nackten Felsen auf. Trotz ihres Zaubers fröstelte es Nandalee. Es war hier deutlich kälter als in der Klamm. Nur wenige Schritt entfernt ragten eisverkrustete Rippenbögen aus dem Schnee. Ein Troll oder ein großer Hirsch, dachte die Jägerin. Ihr Blick wanderte aufmerksam das Bachbett hinauf. Nun entdeckte sie überall Knochen. Der Schnee lag wie ein riesiges Leichentuch darübergebreitet, doch hier und dort ragten Schenkelknochen daraus hervor, und was für den flüchtigen Beobachter wie große Steine im Bachbett wirken konnte, waren Schädel.

Cullayn trat an ihre Seite. Er wies den Bach hinauf zu einer Stelle, an der fast mannshohe Bögen aus dem gefrorenen Wasserlauf ragten. »Die Stoßzähne von Mammuts«, sagte er leise. »Was immer hier jagt, muss groß wie ein Drache sein. Du hältst dich genau an unseren Plan. Du wirst es nicht angreifen!«

Sie nickte und rieb sich die rot gefrorenen Hände. Warum schützte ihr Zauber sie nicht? War es die Kälte der Angst, die ihr in die Knochen gefahren war? Sie dachte an eine der Geschichten ihrer Kindheit. Ein Märchen, vor dem sie sich lange Zeit gefürchtet hatte. »Als ich klein war, hat man in meiner Sippe eine Geschichte über ein Ungeheuer erzählt. Angeblich stammte sie von den Trollen. Es ging um ein Geschöpf, das sie in ihrer Sprache den Immerwinterwurm nannten. Wo es war, herrschte eisige Kälte. Und wen sein Atem traf, der wurde zu Eis. Es lebte weiter im Norden und hat die Trolle von dort vertrieben.«

Cullayn runzelte die Stirn. »Und wie sah dieser Wurm aus?«

Nandalee zuckte mit den Schultern. »Das weiß keiner. Wer dem Immerwinterwurm begegnet, der überlebt das nicht.«

»Ungemein beruhigend«, murmelte Tylwyth. »Genau die Sorte Geschichte, die ich zu hören schätze, bevor ich ein Ungeheuer jagen gehe. Findet ihr es nicht auch ungewöhnlich kalt hier?« Er legte seine Hände zusammen und blies seinen Atem darauf.

»Wir stehen an einem Berghang, fast schutzlos dem Nordwind ausgeliefert«, sagte Gonvalon. »Dort ist es für gewöhnlich kühl. Mit oder ohne Märchen, die sich irgendjemand ausgedacht hat, um Kinder zu erschrecken.«

Cullayn nickte zustimmend. »Also los! Holen wir das Vieh aus seiner Höhle.«

»Ich frage mich nur, wie es jagt, wenn es so riesig ist.« Tylwyth zog sich den Umhang enger um die Schultern. »Und warum gibt es hier keine Spuren im Schnee? Kann es vielleicht fliegen?«

Gonvalon rollte mit den Augen. Über seiner Schulter ragte der lange Griff des Zweihänders auf. Jetzt bedauerte Nandalee, ihm das Schwert überlassen zu haben. Allein die Größe der Waffe gab schon Zuversicht, dass man mit ihr jeden Feind besiegen könnte. »Pass auf dich auf«, sagte sie ein wenig beklommen. Sie war nicht gut im Abschiednehmen. Sie wusste nie, was sie sagen sollte.

»Wenn du morgen früh nicht zurück bist, komme ich dich holen«, sagte er so ernst, dass ihr schwer ums Herz wurde. »Und kein Troll in ganz Albenmark wird mich aufhalten können. Sollen wir nicht doch gleich gemeinsam gehen?«

»Ich bin besser allein.« Ihre Stimme klang belegt.

»Dann sehen wir uns morgen.« Er schaffte es, bei diesen Worten eine solche Zuversicht auszustrahlen, als hege er daran nicht den geringsten Zweifel, dass sie sich am nächsten Tag wiedersehen würden.

Sie küsste ihn, hastig und ungelenk. Dann schlang sie sich die weiße Decke um die Schultern und ging davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Fast hätte er es geschafft, sie umzustimmen.