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Nandalee presste sich mit dem Rücken gegen einen baumdicken Stalagmiten. Die Fackel war gelöscht worden. Allein von ihrer Schwertklinge ging nun noch ein fahles Licht aus. Zu schwach, um die Dunkelheit auch nur einen Fuß weit zurückzudrängen. Aber hell genug, um gesehen zu werden. Hastig schob sie die Klinge in die Scheide zurück.

Der Geruch nach ranzigem Fett wurde stärker. Aber sie hörte nichts! Lag es allein daran, dass die Tatsache, dass sie nichts mehr sah, ihre übrigen Sinne schärfte?

Nandalee öffnete ihr Verborgenes Auge. Die Wandbilder flammten in leuchtenden Linien auf. Sie waren von Magie durchdrungen. Jagdzauber, gewoben aus Blut und wilder Leidenschaft, so kraftvoll, dass sie plötzlich die weite Höhle von einem großen Feuer erleuchtet sah, um das die Jäger tanzten. Sie riefen die Alben und Himmelsschlangen an, ihnen eine erfolgreiche Jagd zu schenken. Sie sah, wie Fleisch mit primitiven Steinmessern durchtrennt wurde. Sah Krieger, die sich über und über mit dem Blut ihrer Beute einrieben, in Ekstase entrückt tanzten und sich bei dem Wild entschuldigten, dessen Fleisch sie genommen hatten, damit ihnen künftig keine Tiergeister folgten und Unglück auf ihre Fährte lockten. Nandalee schloss ihr Verborgenes Auge, um der Flut der Bilder zu entgehen, die auf sie einströmte. Zu viele Tänzer. Zu viel Blut. Und sie war mit all dem verbunden gewesen!

Es dauerte einige Herzschläge, bis sie sich wieder gefasst hatte und bemerkte, dass etwas nicht gewichen war. Der Trommelschlag, den sie in ihrer Vision gehört hatte. Er war noch da. Leiser und dumpfer jetzt, aber er war geblieben.

Sie entschied sich, den Trommeln entgegenzugehen. Sie musste die Trolle ausspähen, wenn sie herausfinden wollte, wo die Gefangenen waren. Blindlings durch die Tunnel und Höhlen zu streifen war sinnlos. Der Trommelschlag würde sie zu ihrem Ziel führen!

Sie wagte es nicht noch einmal, Gonvalons Schwert zu ziehen. Die Kraftlinien hatten ihr überdeutlich die Umrisse dieser Höhle der Jagdzauber gezeigt. So fand sie auch in völliger Dunkelheit den Ausgang.

Ihre Hände ertasteten eine grobe, unregelmäßige Wand. Dieser Tunnel musste von den Trollen erweitert worden sein. Er war leicht abschüssig. Und er führte sie dem Trommelschlag entgegen.

Sie mochte fünfzig Schritt gegangen sein, als sie noch ein anderes Geräusch wahrnahm. Leises Wimmern! Das war kein Troll! Sie beschleunigte ihren Schritt. Es stank nach Urin und kaltem Rauch. Das Wimmern wurde lauter. Eine Elfenstimme!

Nandalee spürte, wie der Tunnel weiter wurde. Unter das Miasma übler Gerüche mischte sich der Gestank von Verwesung. Auch roch sie wieder das ranzige Fett, mit dem die Trolle sich einrieben. Sie hielt inne und öffnete noch einmal ihr Verborgenes Auge. Eine weite, natürliche Höhle erstreckte sich vor ihr. Es gab etliche Zugänge. Weit entfernt erkannte sie Gestalten, die am Boden kauerten und lagen. Trolle! Sie schienen zu schlafen oder zu dösen.

Unmittelbar vor ihr in der Senke verdichtete sich das Netz der magischen Kraftlinien zu einem Gespinst aus dunkelrotem Licht, durchsetzt mit feinen Goldfäden. Dort wirkte ein Zauber von großer Macht, der in Verbindung mit einer der Tunnelöffnungen und mit ihr stand.

Aus der Senke erklang auch das leise Wimmern, das sie hierhergelockt hatte. Entsprang das Gespinst aus Kraftlinien einem intuitiven Zauber? Lag dort unten ein Normirga? Ein Elf aus der Sippe der Windwanderer?

Der Trommelschlag tiefer im Berg wurde schneller, drängender.

Nandalee hatte das Gefühl, dass sie in eine Falle gelockt werden sollte. Sie wich ein Stück zurück und verschloss sich dem magischen Blick auf die Höhle. Sie könnte sich lange im Berg verbergen. Er schien von Tunneln und natürlichen Grotten durchzogen zu sein. Bestimmt konnte sie einen Platz finden, an dem die Trolle sie nicht aufzuspüren vermochten. Sie musste nur in eine Felsspalte klettern, die für Trolle zu eng war.

»Nandalee …« Die Stimme ging ihr durch Mark und Bein. Als Kind hatte diese Stimme ihr Nachtlieder gesungen. Sie gehörte Elleyna, die lange mit Duadan zusammengelebt hatte. Sie war dort unten. Dort, wo der Zauber wirkte.

»Bitte …«

Aus einem nahen Tunnelausgang erklang ein kratzendes Geräusch, als schabe Stein auf Stein. Sie konnte die Trolle riechen! Sie waren hier und warteten auf sie. Wie konnte das sein?

Jetzt erklang auch hinter ihr im Tunnel ein Geräusch. Schlurfende, schwere Schritte bewegten sich auf sie zu. Auf diesem Wege würde sie nicht mehr entkommen können. Wer immer dort ging, gab sich nicht die geringste Mühe, sich lautlos zu bewegen. Die Trolle wollten, dass sie wusste, dass sie umzingelt war.

Nandalee griff nach dem Schwert. Sie war fast eine Drachenelfe! Vielleicht war sie nicht so tödlich wie Ailyn oder Gonvalon, aber sie war bei Weitem nicht mehr die einfache Jägerin, die von den Trollen durch die verschneiten Wälder Carandamons gehetzt worden war.

Nandalee eilte in die Senke hinab, dorthin, wo Elleynas Stimme erklungen war. Sie würde sie hier herausbringen. Auch wenn die Trolle sie aufgespürt hatten, konnten sie nicht darauf vorbereitet sein, was sie nun erwartete.

Gonvalons Schwert war ganz von silbergrauem Licht umflossen. Es schien die Dunkelheit kaum zu durchdringen und entriss ihr keinerlei Farben. Nur Grau und Schwarz waren zu sehen. Ein Stück voraus erhob sich ein eigenartiger Fels. Darauf lag etwas von der Größe eines Wasserkrugs. Gehetzt sah Nandalee sich um. Wo war Elleyna? Hinter dem Stein? Über sich hörte sie kehlige Stimmen flüstern.

Nandalee erreichte den Stein. Darauf lag ein abgeschnittener Kopf. Elleyna! Ihre Augen waren in den Höhlen verdreht und starrten zu ihr hinauf. »Erlöse mich …« Ihre Lippen zuckten, der Mund war halb geöffnet. Etwas steckte darin.

Nandalee dachte an einen fernen Frühling, als sie sich beim Klettern in Bäumen den Arm gebrochen hatte. Die Windwanderer waren keine großen Zauberweber. Duadan hatte ihr den Arm geschient und ihr befohlen, sich ruhig zu verhalten und sein Zelt nicht zu verlassen. Die Entscheidung war ihr damals ungerecht vorgekommen. Sie hätte doch auch draußen still sitzen können … Der Frühling war so kurz in Carandamon, und sie war in einem Zelt gefangen. Heute wusste sie es besser. Draußen wäre sie der Versuchung erlegen, durch die Wälder zu streifen und die Wunder des Frühlings zu bestaunen.

In dieser Zeit war Elleyna mit ihr im Zelt geblieben. Sie hatte ihr Geschichten erzählt von großartigen Jagden, enttäuschter Liebe, von den Alben, die manchmal zu den Elfen kamen, die ihre liebsten Kinder waren. Von Ny Rin aus der Sippe der Wolfszähne, die auf dem Rücken einer Regenbogenschlange hinauf zum Blauen Stern geritten war und eine Gefährtin des Alben wurde, den alle den Sänger nannten. Elleyna hatte es geschafft, ihr die Tage im Zelt wie einen langen, wunderbaren Traum erscheinen zu lassen. Und was für seltsame Geschichten sie kannte! Von den Elfen Arkadiens, die in Palästen von kalter Pracht lebten, die ihre Herzen so sehr verhärtet hatten, dass sie die Schönheit der Natur nicht mehr zu begreifen vermochten. Von den Himmelsschlangen und ihren Todfeinden, den schrecklichen Devanthar, die in einer fernen Welt darauf lauerten, das Werk der Alben zu vernichten.

»Was haben sie dir angetan?« Sie lehnte ihr Schwert an den Stein, hob Elleynas Haupt auf und ließ es fast wieder fallen. Der dunkle Zauber, der es umgab, wollte auf sie übergreifen, sie einspinnen in Kraftlinien aus dunklem Rot und strahlendem Gold.

Wieder bewegten sich die Lippen Elleynas. Sie waren aufgeplatzt. Sie war geschlagen worden. Nandalee zwang die Finger in den Mund der Toten und bekam etwas Glitschiges zu packen, das verzweifelt versuchte, sich ihr zu entwinden. Die Elfe zerrte eine kleine, schwarzrote Kröte aus dem Mund der Toten. »Erlöse mich!«

Es war die Kröte, die mit Elleynas Stimme sprach. Sie sah die Angst in den Augen des Tiers, das verzweifelt aus ihrer Hand zu entkommen versuchte. In dem abgetrennten Kopf war immer noch Leben.

Nandalee setzte die Kröte behutsam auf den Stein. Sie blickte in Elleynas aschfahles Antlitz. Das Geräusch der Füße war verstummt. Die Jägerin spürte, wie sie angestarrt wurde. Sie konnte die Trolle atmen hören. Der Gestank nach Fett und ungewaschenen Leibern war überwältigend.