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Nandalee wurde auf die Beine gerissen. Je ein Troll hielt einen ihrer Arme.

»Was hat mich verraten?«

Der Trollkönig blickte sie verächtlich an. »Warum starb mein Sohn?«

Sie erzählte ihm von der Jagd nach dem weißen Hirsch. Wie lange sie ihm gefolgt war und wie sein Sohn einen Herzschlag, bevor sie den perfekten Schuss versuchen konnte, das edle Tier zerfetzt hatte.

»Ein Kampf um Beute …« Er nickte. »Du bist eine kluge Jägerin. Ich werde deinen Verstand fressen. Von dir lernen.« Er fuhr ihr mit einem ausgestreckten Finger über die Stirn. »Da scheidet das Schädelmesser. Erst die Haut. Wir ziehen deine Haare zurück. Dann scheide ich den Knochen. Du wirst noch leben, wenn meine Hand in deinen Kopf greift. Wenn du nicht schreist, macht das Ehre. Dann bleiben deine Knochen hier. Unsere Welpen spielen damit. Wenn du schreist, lege ich deine abgeschnittenen Hände und deinen leeren Schädel in das Grab meines Sohns. Du wirst ihm in der Dunkelheit immer dienen.«

»Wie hast du meine Sippe gefunden? Was habe ich zurückgelassen?«, fragte sie verzweifelt. »Und wo sind sie jetzt?« Sie musste es wissen. Das Ausmaß ihrer Schuld erkennen. Verstehen, wofür sie sterben würde. Wofür die Windwanderer gestorben waren.

Der Troll sah sie verständnislos an. »Wir haben deine Sippe ohne dich gefunden.«

»Aber woher wusstet ihr, dass es die Windwanderer waren, von denen ich kam? Was habe ich übersehen, das euch auf diese Spur gebracht hat?«

Der Trollkönig schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.«

»Wo habt ihr das Zeichen des Hirschs gefunden? Das Totem meiner Sippe. War es auf einem meiner Pfeile?«

Er schnaufte. »Wir Trolle sind nicht dumm. Ihr seid dumm, weil ihr das glaubt. Wir sind Jäger, wie ihr es seid. Und unsere Schamanin kann dunkle Zauber knüpfen. Kann Tote reden machen. Und sie kann Spuren sichtbar machen mit ihrer Zaubermacht. Wir folgten der Spur des Windschlittens. Ein sehr weiter Weg. Der alte Mann hat mich zu deiner Sippe geführt, Nandalieh.«

»Duadan …« Sie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte. »Wie … das kann nicht … Ich bin es doch gewesen!«

»Trolle sind nicht dumm! Der Zauber hat die Spur des Windschlittens gezeigt. Und der Jagdzauber hat dich hierher zurückgerufen. Ich wusste, dass du kommen würdest. Und wir wurden gewarnt vor dir. Bist brav dem Licht gefolgt, das wir für dich aufgestellt haben. Bist die Letzte.« Er fuhr sich über die seltsamen Wülste im Fleisch seiner Wangen. »Alle sind hier. Von jedem rechten kleinen Finger ein Knochen. Deine Sippe ist tot, für immer. Alle! Sie werden nicht wiederkommen. Ihre Seelen sind für immer im Dunkel. An mich gebunden. Auch wenn ich im Grab liege. Sehr starker Zauber! Nur du darfst gehen. Wenn du nicht schreist.«

Nandalee blickte schockiert auf die Wülste. Unter zwei von ihnen sah sie frisch verkrustete Schnitte. Hatte er sich wirklich Fingerknochen unter die Haut geschoben? Sie öffnete ihr Verborgenes Auge. Im selben Augenblick traf sie ein Schlag ins Gesicht, so hart, dass ihr Kopf in den Nacken gerissen wurde.

»Nicht Zauber knüpfen!«

Nandalees Lippen waren aufgeplatzt. Blut troff über ihr Kinn. »Wo sind meine Leute?«

Der Trollkönig wandte sich ab. »Du gehst zu ihnen. Bald. Jetzt ist genug geredet. Bereitet sie vor. Wir wollen ein Ende machen.«

Von Pferdeäpfeln und vollkommener Macht

Der Goldene blickte auf die verschneite Nordflanke des Königssteins hinab. Er stand an der Reling des Blauen Sterns, jenes verwunschenen Schiffes, auf dem der Sänger über die Himmel reiste. Der Alb war nicht an Bord. Und niemand wollte ihm sagen, wo er war. Ob der Sänger etwas wusste? War er vor ihm geflohen? Zwei Tage war er schon an Bord des Himmelsschiffes. Seit seinem Besuch am Hof Bromgars, des Trollkönigs. Er war ihm in seiner Gestalt als Elf erschienen, was für einige Unruhe gesorgt hatte, bis er seinen Charme hatte spielen lassen.

Tief in Gedanken strich sich der Goldene über sein Gesicht. Es fühlte sich fremd an. Dabei hatte er diese Elfengestalt schon oft angenommen, wenn er unter den Albenkindern wandelte. Sein Gesicht kribbelte, als liefen Fliegen darüber. War ihm ein Fehler unterlaufen? Er lächelte. Nein! Es war nur fremd.

Selbstzufrieden betrachtete er die drei Elfen neben der Klamm. Sie hatten ihn überrascht. Es war ein schwerer Rückschlag, Gonvalon als seinen Schwertmeister verloren zu haben. Er hatte das Ungeheuer des Fleischschmieds tatsächlich erschlagen. Aber um welchen Preis! Die beiden Maurawani kauerten neben ihm und versuchten die Sensenklaue abzusägen, die seinen Leib durchschlagen hatte. Noch lebte Gonvalon …

Der Goldene konnte hören, was die Elfen besprachen. Wie sie sich verzweifelt berieten und um Gonvalons schwindendes Leben kämpften. Von Norden zogen schwarze Sturmwolken auf. Sie mussten in die Klamm hinab, um Schutz zu suchen. Aber sie wollten Gonvalon nicht im Stich lassen. Tapfere Narren. Schade, dass er sich an dieser Tragödie nicht bis zu ihrem Schluss würde ergötzen können.

Der Goldene vermochte auch zu hören, was die Trolle in ihrem Berg besprachen. Sie redeten nicht viel. Meist über ihr Essen oder eine Jagd. Nandalee hatte sich erstaunlich schnell fangen lassen. Sie war wohl doch nicht so besonders, wie sein Bruder Nachtatem dachte. Alles war mehr oder minder so gekommen, wie er es vorhergesehen hatte. Nun stand ein Festmahl nach Art der Trolle an. Er war noch nie Zeuge ihrer makabren Rituale geworden. Man musste schon ein Troll sein, um zu glauben, dass man die Weisheit seines Feindes übernahm, wenn man sein Hirn fraß. Er lächelte. Ob Nandalee wohl schreien würde?

Das Deck hinter ihm knarrte. Er blickte zurück, und seine gute Laune verflog. Eine vermummte Gestalt kam auf ihn zu. Sie trug ein gelbes Kleid mit roten Blumen, darüber eine dick gesteppte, schreiend grüne Weste. Eine spitze, rotbraune Nase lugte über einen mottenzerfressenen lila Schal hinweg. Stechende, schwarze Knopfaugen fixierten ihn aus dem Halbschatten eines rosafarbenen Kopftuchs. Sata, die Personifikation des schlechten Geschmacks und der Impertinenz. In Abwesenheit des Sängers führte sie das Kommando auf dem Blauen Stern. Kurz spielte er mit dem Gedanken, eine Böe zu rufen, die das Koboldweib von Deck fegte. Er würde niemals begreifen, wie man einem solchen Geschöpf die Befehlsgewalt über mehr als nur ein paar Putzlappen geben konnte. Die Alben begannen verrückt zu werden. Anders war es nicht zu erklären. Er hätte den Sänger auf seine Liste nehmen sollen.

»Wir werden höher steigen, um dem Sturm auszuweichen.« Durch den Schal vor ihrem Mund klang die Stimme der Koboldin dumpf und undeutlich. Vielleicht nuschelte sie auch, um ihn zu ärgern. Erstaunlicherweise war sie gegen seinen Charme völlig immun. Vorgestern erst war er in Elfengestalt in die Festung der Trolle marschiert, und obwohl diese hirnlosen Hünen Elfen abgrundtief hassten, waren sie zahm wie Welpen gewesen. Sie hatten ihn sogar zu dem kleinen Mahl einladen wollen, das sie veranstalteten, nachdem sie seine Nachricht erhalten hatten.

»Euer Schwertmeister stirbt.«

Er blickte zur aufziehenden Sturmfront und dachte wieder an eine plötzliche Windböe. Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die drei Elfen oberhalb der Klamm. Gonvalon war aus seiner Ohnmacht erwacht. Er bestand darauf, dass sie in den Königsstein gingen, um Nandalee zu holen. Herrlich! Röchelnd, mit einer Sensenklaue in der Brust ein Heer von Trollen herausfordern zu wollen. Gonvalon war immer schon ein wenig weltfremd gewesen, aber heute übertraf er sich selbst. Und die sonst so nüchternen und eigennützigen Maurawani dachten ernsthaft darüber nach. Der letzte Akt dieses Dramas würde unterhaltsamer werden, als er erwartet hatte.

»Kleinliche Rachsucht und Voyeurismus stehen einem von den Alben ernannten Weltenhüter, der von manchen gar Licht des Himmels genannt wird, schlecht zu Gesicht.«

»Von ferne zu beobachten und sich nicht in die Geschicke der Albenkinder einzumischen, habe ich von meinen Schöpfern gelernt.«

»Wähnen die Himmelsschlangen, ein Ebenbild ihrer Schöpfer zu sein und sich folglich wie diese verhalten zu können?«