»Ich muss gestehen, du hast heute ein Parfüm aufgelegt, das deinen Reizen wenig förderlich ist, meine Schöne.« Er lachte leise. »Und dennoch finde ich dich so begehrenswert wie nie zuvor. Seltsam, welchen Zauber die Liebe ausübt, nicht wahr?«
Er mochte das nett gemeint haben, aber sie fühlte sich verlegen. Sie wusste nicht, was die Trolle ihr über den Kopf geschüttet hatten, aber sie stank wie ein toter Iltis und sah mit ausgerissenen Haarbüscheln und dem tiefen Schnitt am Haaransatz wohl auch kaum besser aus.
»Nicht weit von hier werden wir warme Quellen finden. Wenn wir gebadet haben, werden die Trolle unserer Spur nicht mehr so leicht folgen können.«
Sie war ihm dankbar dafür, dass er ein Wir benutzte, obwohl völlig klar war, dass nur einer von ihnen dringend ein Bad benötigte. Doch dann stutzte sie. »Woher weißt du von den Quellen? Warst du schon einmal hier?«
»Ich habe dich eine Weile gesucht, meine Schöne.«
»Und der Immerwinterwurm?«
Er lachte. »Der hat sich als erstaunlich schlechter Schwertkämpfer erwiesen.«
Seine Unbeschwertheit war ansteckend. Auch sie lächelte, während er sie immer weiter in die Tiefe führte. Es wurde wärmer, und bald schlug ihnen stickige, feuchte Luft entgegen, der ein Hauch von Schwefelgestank anhaftete.
Endlich erreichten sie eine niedrige Höhle, in der sich ein langgezogener Teich befand. Grün und blau fluoreszierendes Licht ging von dem Wasser aus und reflektierte in einander durchdringenden Wellen an der nassen Höhlendecke. Große Blasen stiegen auf und zerplatzten mit sattem Blubbern.
Gonvalon streifte seine Kleider ab und stieg in das Wasser. Er winkte ihr zu. »Komm, es ist herrlich!«
Sie zog das lange Lederhemd über den Kopf. Ihr Haar war steif vor Schmutz und Blut. Zögerlich streckte sie den Fuß aus. Dann blickte sie zu dem Weg zurück, den sie gekommen waren. »Und wenn die Trolle uns überraschen?«
»Der Tunnel ist eng. Wenn sie uns hier angreifen, sind sie noch dümmer, als ich dachte. Ihre Übermacht hilft ihnen hier nicht. Sollten sie uns zum Kampf stellen, dann wird das in einer größeren Höhle oder im Freien geschehen. Gewiss werden sie ohnehin noch eine Weile benötigen, um sich von ihrem Schreck zu erholen, jetzt, da sie wissen, was es bedeutet, einen Drachenelfen herauszufordern. Wir sollten diese Gelegenheit zu einer Rast nutzen. Bald werden auch wir wieder all unsere Kräfte brauchen.«
Wieder winkte er ihr. Er sah unglaublich gut aus! Den Kampf mit dem Immerwinterwurm hatte er ohne eine einzige Schramme überstanden. Gonvalon hatte recht! Sie sollte die Trolle vergessen. Mit ihm an ihrer Seite konnte ihr nichts geschehen. Die Trolle würden es bereuen, falls sie ihr Bad stören sollten!
Nandalee stieg in das warme Wasser und seufzte vor Erleichterung. Ihr Körper war bedeckt mit Prellungen und Schrammen. Das seltsame Licht in dieser Grotte schien ihre Verletzungen noch zu betonen, während ihre Haut unnatürlich blass aussah. Sie tastete nach den leuchtenden Schlieren im Wasser, die sich unter ihrer Hand zerteilten, ohne dass es ihr möglich war, etwas davon zu fassen zu bekommen.
Nandalee ging in die Knie und tauchte dann ganz unter. Das Wasser brannte in der Schnittwunde an ihrer Stirn.
Als sie auftauchte, troff der Schmutz an ihr herab. Plötzlich war ihr zum Weinen zumute. Die Erleichterung, noch am Leben zu sein, und die Gewissheit, dass ihre ganze Sippe ermordet worden war, das alles war zu viel. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.
Gonvalon kam zu ihr, nahm sie in die Arme und strich zärtlich über ihr besudeltes Haar. Er sagte nichts, und sie war ihm unendlich dankbar dafür. Sie wollte nicht reden, nicht denken. Sie konnte es nicht. Nicht jetzt. Von ihm gehalten zu werden tat so gut. Sie hatte alles falsch gemacht. Seit jenem verfluchten Tag, an dem sie auf Bromgars Sohn geschossen hatte. Am liebsten würde sie sich für immer in dieser Höhle verkriechen.
»Ich hatte solche Angst um dich«, sagte Gonvalon leise. »Ich habe mich in den Tunneln verirrt. Dann hörte ich die Trommeln …« Er stockte. »Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.«
Sie begann unkontrolliert zu schluchzen. Sie wollte es nicht, doch je mehr sie dagegen ankämpfte, desto schlimmer wurde es. Sie war immer eine Einzelgängerin gewesen, hatte immer alles mit sich allein ausgemacht. Sie war es nicht gewohnt, gerettet zu werden, sich anlehnen zu können, sich fallen zu lassen. Nandalee ballte die Fäuste. Sie wollte sich wieder beherrschen können.
Gonvalon küsste sie zärtlich auf die Stirn. »Du musst leben, Nandalee. Ich brauche dich.« Seine Hände strichen zärtlich über ihren Rücken. Wohlige Schauer durchliefen sie. Sie wollte spüren, noch am Leben zu sein, mit allen Sinnen!
Ihre Lippen suchten die seinen. Wie gut er roch! Das war ihr noch nie aufgefallen. Sie küsste ihn fordernd, wollte ihn verschlingen.
Gonvalon hob sie hoch, und ihre Beine umschlangen seine Hüften. Als er in sie eindrang, schrie sie auf. Sie biss ihm in den Nacken und genoss, mit jeder Faser ihres Leibes zu spüren, wie sehr er sie begehrte. Nie hatte das Liebesspiel sie so erfüllt. Und nie zuvor hatte sie Gonvalon so leidenschaftlich erlebt.
Der Todgeweihte
Dieser Narr würde sich umbringen, dachte Cullayn, und zugleich hatte er Respekt vor ihm. Es war ein Wunder, dass Gonvalon sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten vermochte. Seine Lunge war durchbohrt! Von der Sensenklaue, die in seiner Brust steckte, ging eine tödliche Kälte aus. Wahrscheinlich lebte der Schwertmeister nur deshalb noch, weil er das Amulett Nandalees trug, das ihn vor dem Atem des Winters hatte schützen sollen und nun wohl verhinderte, dass sich der Frost tief in seine Glieder fraß. So bewirkte die unnatürliche Kälte, die von der Sensenklaue ausging, nur, dass die Blutung der schweren Wunde fast augenblicklich aufgehört hatte.
Entschlossen stemmte sich der Schwertmeister hoch. »Wir haben genug Zeit verloren. Gehen wir!« Er hustete. Blutiger Schaum perlte von seinen Lippen.
Tylwyth sah ihn zweifelnd an. Cullayn wusste, was sein Gefährte dachte. Der Schwertmeister brachte sich um. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte! Ein Wunder, dass die Sensenklaue sein Herz verfehlt hatte. Sie hatten gar nicht erst versucht, sie aus Gonvalons Brust zu ziehen. Cullayn kannte solche Wunden. Er hatte einmal erlebt, wie ein Maurawan von einem Kentaurenspeer durchbohrt worden war und noch eine halbe Stunde lang weiterkämpfte, obwohl die Speerspitze tief in seinem Rücken steckte. Als die Schlacht vorüber war und sie die abgebrochene Waffe aus seinem Fleisch zogen, war er verblutet. Gonvalon würde es nicht anders ergehen, wenn sie an dieser Sensenklaue rührten. Der Schwertmeister war dem Tod geweiht. Wahrscheinlich war es die verzweifelte Sorge um Nandalee, die ihn noch auf den Beinen hielt.
Anfangs hatte er Gonvalon nicht sonderlich leiden mögen. Er hatte ihn für arrogant gehalten und für verweichlicht wie all die anderen Elfen aus Arkadien, die ihr Band zur Natur verloren hatten und lieber in warmen Betten in ihren Palästen schliefen als unter dem Sternenhimmel. Aber Gonvalon war anders. Er bestand in der Kälte zwar nur, weil er Nandalees Amulett trug, aber er hatte eine Härte an sich, der Cullayn Respekt zollte, ebenso wie dem Mut des Elfen, sich allein dem Immerwinterwurm zu stellen. Er hätte ihnen allen die Flucht ermöglicht. Ihm nun zu helfen war er ihm schuldig. Auch wenn Gonvalons letzte Tat die reine Unvernunft war. Sie sollten nicht in die Trollhöhlen gehen, ganz gleich, was Gonvalon Nandalee versprochen hatte.
Cullayn lächelte. Er tat meistens nicht, was die Mehrheit für vernünftig hielt. Seit eine Trollkeule ihm das Gesicht eines Ungeheuers geschenkt hatte, war er nicht mehr Teil der Mehrheit. Er besaß seither die Freiheit, zu tun und zu lassen, was immer er wollte. Niemand versuchte mehr auf ihn einzureden. Dass er nicht mehr bei Sinnen sein konnte, wusste jeder, der ihm ins Antlitz sah.
Gonvalon schleppte sich bereits den Weg aus der Klamm hinauf. Er stützte eine Hand in die Hüften, als fände er dort Halt, um auf den Beinen zu bleiben. Alle paar Schritte hielt er inne und hustete. Es war zum Erbarmen.