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Tylwyth kannte ihn zu gut, um nicht zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Er bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. Gonvalon jedoch glaubte die Lüge. Er nickte matt.

»Gehen wir Nandalee suchen!« Cullayn setzte sich an die Spitze der Gruppe. Er führte sie ins Dunkel und war erleichtert, als die Höhle sich zu einem Tunnel verengte, in den ihnen der Immerwinterwurm kaum würde folgen können.

Gonvalons Atem ging laut und unregelmäßig. Immer wieder hielt er inne und hustete. So würden sie keinen überraschen. Blieb nur zu hoffen, dass die Trolle tiefer im Berg waren und sie noch nicht bemerkt hatten.

»Ich gehe vor«, sagte Cullayn entschieden. »Sollte sich der Tunnel verzweigen, wartet ihr auf mich. Mit mir als Späher sind unsere Aussichten besser, unbemerkt zu bleiben.«

»Ja«, krächzte Gonvalon mit rauer Stimme. Er klang erschöpft und vollkommen resigniert. Auch ihm schien inzwischen klar zu sein, dass er sie in eine hoffnungslose Lage gebracht hatte.

»Vielleicht sollten wir einfach hier auf Cullayn warten«, sagte Tylwyth. Man musste ihn schon gut kennen, um den angespannten Unterton in seiner Stimme zu bemerken.

Gonvalon nickte und ließ sich mit einem erschöpften Seufzer gegen die Tunnelwand sinken. Es ging zu Ende. Cullayn hatte genug Sterbende gesehen, um zu wissen, wie nah der Tod des Schwertmeisters war.

Tylwyth winkte ihm, und sie entfernten sich ein Stück von Gonvalon. »Was machen wir jetzt?«

»Ich gehe Nandalee suchen. Bleib du bei ihm. Er soll nicht alleine sein, wenn …« Cullayn stutzte. Da war etwas. Ein fernes Geräusch, wie schwere Schritte.

»Ein Troll?«

Cullayn schüttelte den Kopf. Es war etwas Größeres. Jetzt konnte er spüren, wie der Felsboden vibrierte. Kleine Steine fielen von der Decke. Was immer es war, es wollte, dass sie es kommen hörten. Und es war nicht mehr weit entfernt.

Der Fremde

Tylwyth hatte noch nie erlebt, dass Cullayn Angst hatte. Er ging mit Cullayn auf die Jagd, weil er sich bei ihm immer sicher gefühlt hatte. Bis jetzt.

Cullayn nahm seinen Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne.

Tylwyth glaubte nicht, dass sie das, was dort kam, mit Pfeilen aufhalten konnten. Dennoch nahm auch er seinen Bogen. Zwei Pfeile steckten noch in seinem Köcher. Dies würde ihre letzte Jagd werden.

Der Boden vibrierte immer stärker. Nervös leckte sich Tylwyth über die Lippen. »Na los, zeig dich«, murmelte er. »Komm schon.«

Ein warmes, gelbes Licht flammte weit vor ihnen im Tunnel auf. Cullayn drehte sich überrascht zu ihm um. Es war, als habe das, was auf sie zukam, die geflüsterten Worte gehört. Ein Schattenriss schälte sich aus der Mitte des Lichts. Ein Elf? Ein Troll war es jedenfalls nicht, dafür war die Gestalt zu klein.

»Es ist gut, euch beide wohlbehalten zu sehen.«

Tylwyth ließ seinen Bogen sinken und atmete erleichtert auf. Ein Freund! Alle Anspannung wich von ihm. Doch Cullayn nahm den Pfeil nicht von der Sehne. Was war los mit seinem Gefährten? Sie hatten nichts zu befürchten! Der Fremde war ein Freund, das konnte Tylwyth förmlich spüren. Allerdings war es schon ein wenig seltsam, hier am Königssitz der Trolle einen Elfen anzutreffen.

Langsam füllte sich der Schattenriss mit Farbe und Form. Der Fremde war nun weniger als zwanzig Schritt entfernt. Ein hochgewachsener Elf, der ein langes Schwert lässig über der Schulter trug. Nur seine Schritte … Er stampfte mit den Füßen nicht auf den Boden, doch der Fels vibrierte bei jedem seiner Schritte. Nicht einmal ein Mammut war so schwer. Was war das? Ein Erdbeben? Ein Erdbeben im Einklang mit seinen Schritten?

Jetzt war das Gesicht des Fremden deutlich zu erkennen. Er sah genauso aus wie Gonvalon. Unwillkürlich blickte Tylwyth hinter sich. Der Schwertmeister war in sich zusammengesackt. Er lehnte mit dem Rücken an der Tunnelwand. Sein Kopf war auf die Schulter abgekippt, der Mund offen.

Tylwyth blickte zurück zu der Gestalt im Tunnel und erkannte sofort seinen Fehler. Der Elf sah Gonvalon nur ähnlich! Und der Boden vibrierte auch nicht mehr unter seinen Schritten.

»Was bist du?« Cullayn hatte seinen Bogen gehoben und zog die Sehne zurück.

»Nicht!«, entfuhr es Tylwyth. Was war denn los mit seinem Freund? Vor dem Fremden mussten sie sich nicht fürchten. Das sah man doch auf den ersten Blick!

Der goldhaarige Elf nahm das Schwert von der Schulter und lehnte es an die Höhlenwand. Dann hob er seine Hände auf Kopfhöhe, sodass die Handflächen zu ihnen wiesen. »Ihr müsst euch nicht vor mir fürchten. Ich bin gekommen, um euch zu retten.«

»Dann besteht ja kein Grund, uns zu verheimlichen, wer du bist«, beharrte Cullayn.

»Ich bin der, der Gonvalon retten kann, wenn du mich zu ihm lässt. Wohingegen du dich zu seinem Mörder machst, wenn du mich mit Waffengewalt daran hinderst, Cullayn.«

Der Fremde sprach mit solcher Ruhe und solchem Gleichmut! Tylwyth war ganz ergriffen von seinen Worten. Warum konnte Cullayn das nicht sehen? Er war ihr Freund! Tylwyth griff seinem Gefährten in den Arm, sodass dieser den Bogen senkte.

»Wir können jede Hilfe gebrauchen. Lass ihn. Bitte!«

Widerwillig nahm Cullayn den Pfeil von der Sehne. »Niemand kann Gonvalon mehr retten«, sagte er bitter.

»Aber ein Versuch ist erlaubt?« Das Lächeln des blonden Elfen nahm der ironischen Bemerkung die Spitze. Er ging zu Gonvalon und kniete neben ihm nieder. »Ich hätte nicht gedacht, dass ein einzelner Elf den Immerwinterwurm besiegen könnte. Gonvalon ist wahrlich ein Schwertmeister.«

»Der Wurm ist wieder zum Leben erwacht«, bemerkte Cullayn gallig. »Wir kommen auf diesem Weg nicht mehr aus dem Königsstein hinaus.«

»Was?« Tylwyth war fassungslos. »Aber …«

»Er hat es um Gonvalons willen nicht gesagt.« Der Elf legte seine Hand auf die Brust des Schwertmeisters, und goldenes Licht umfing sie. »Der Nordwind hat den Wurm wieder lebendig werden lassen. Er ist ein Geschöpf der Kälte und mit dem Land verbunden. Eine wahrhaft einzigartige Kreatur. Er macht unsere Welt nicht schöner, aber man muss dem Fleischschmied schon zubilligen, dass er immer wieder den Mut hat, etwas ganz Neues zu erschaffen. Den Wurm kann man nur dann endgültig besiegen, wenn man sein Herz herausschneidet und es im Licht der Mittagssonne schmelzen lässt. Gelingt dies nicht, wird ihn der Nordwind immer wieder neu erstehen lassen.«

Während der Elf sprach, verschwand die Sensenklaue. Sie schien im Licht zu vergehen, das die Hand des Fremden umspielte.

Cullayn kniete nieder, demütig das Haupt gesenkt. »Bitte, verzeiht mir, Herrscher des Himmels.«

Der Fremde lachte. Es war ein gut gelauntes, ansteckendes Lachen, und Tylwyth konnte nicht anders, als einzufallen, obwohl er nicht begriff, was vor sich ging.

»Du weißt nun, wer ich bin?«, fragte der Fremde.

»Nicht wer, aber was.« Cullayn wagte nicht aufzublicken.

Tylwyth lächelte immer noch. Er konnte nicht anders, obwohl er sich zugleich zu fürchten begann. Aber etwas an der Ausstrahlung des Fremden zwang ihm dessen gute Laune auf. Es war unmöglich, sich dieser Macht zu widersetzen.

Gonvalon schlug die Augen auf. Die Wunde auf seiner Brust hatte sich geschlossen. Nichts zeugte mehr von seiner tödlichen Verletzung. Doch der Schwertmeister schien sich dessen gar nicht bewusst zu werden. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen den Fremden an. »Ihr …«

»Du bist müde, Gonvalon.« Der goldhaarige Elf berührte den Schwertmeister sanft an der Schläfe. »Du musst dich ausruhen und neue Kräfte sammeln.«

Noch bevor er ein weiteres Wort herausbringen konnte, fielen Gonvalon wieder die Augen zu. Tylwyth verstand das! Das war nur folgerichtig. Nach dieser schweren Verletzung musste ihr Gefährte sich ausruhen. Wie sehr der Fremde doch auf ihrer aller Wohl bedacht war. Er hatte sie gerettet, völlig selbstlos. Gewiss war er einer der Meister unter den Drachenelfen. Tylwyth konnte seine Macht spüren. Sie war fast greifbar.

»Cullayn, du solltest nun Nandalee holen. Folge diesem Tunnel, bis er sich nach etwa sechzig Schritt gabelt. Halte dich dort links. Bei der nächsten Gabelung gehst du wieder links. Du gelangst in einen Gang, der steil in die Tiefe führt. An seinem Ende findest du eine Grotte mit einer heißen Quelle. Dort wirst du Nandalee finden und …« Er richtete sich auf und sah plötzlich so niedergeschlagen aus, dass Tylwyth nicht anders konnte, als zu ihm zu eilen und ihm voller Sorge die Hand auf den Arm zu legen.