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»Was ist geschehen, Bruder?« Im selben Augenblick wurde er sich bewusst, was für einen Fehltritt er sich erlaubt hatte. Wenn Cullayn vor diesem vermeintlichen Elfen kniete, dann war er eins ganz gewiss nicht, ein Bruder. Der Jäger hätte niemals vor einem anderen Elfen das Knie gebeugt. Wie hatte er sich in seiner Ergriffenheit nur so gehen lassen können?

»Es ist gut zu wissen, ganz und gar auf eure Hilfe vertrauen zu können, meine Freunde.«

»Wir sind ganz die Deinen.« Cullayn hielt unbegreiflicherweise noch immer sein Haupt gesenkt. Vielleicht wollte er dem Fremden den Anblick seines entstellten Gesichts ersparen, dachte Tylwyth, der zugleich erleichtert war, dass sein Fehltritt keine Folgen hatte.

»Ich stehe in Gonvalons Schuld und bin glücklich, dass sich heute endlich die Gelegenheit fand, ihm seine Treue zu vergelten. Ich konnte Nandalee aus den Händen der Trolle befreien. Aber mir war auch bewusst, wie sehr diese Tat vielleicht eines Tages auf ihrer beider Liebe lasten könnte. Ich weiß, sie sind ein Paar und glücklich. Aber wo war Gonvalon in ihrer höchsten Not? Die Trolle hatten sie gefangen und wollten sie regelrecht schlachten. Hätte sie Gonvalon jemals verziehen, dass nicht er es war, der kam, um sie zu retten? Gewiss, darüber gesprochen hätte sie wohl nicht, und doch wäre es ein schleichendes Gift für ihre Liebe gewesen, wenn ein anderer als der Mann, dem ihr Herz gehört, alles gewagt hätte, um sie zu retten. Um diesen Schaden abzuwenden, habe ich Gonvalons Gestalt angenommen. Und ich bitte euch, weiht nur den Schwertmeister ein, sagt Nandalee aber nichts von meiner kleinen List, auf dass die Liebe der beiden auch fortan von keinem Misston gestört werden mag.«

Während er sprach, hatte der Goldhaarige Tylwyth bei den Händen gefasst.

»Natürlich werden wir nichts verraten!« Was für eine Bitte, dachte Tylwyth. Nie zuvor war ihm jemand begegnet, der so selbstlos war. Er würde diese edle Tat doch nicht zerstören, indem er sie verriet. »Du kannst auf unser Schweigen vertrauen! Eher würde ich mir die Zunge herausreißen lassen, als dass ein Wort darüber über meine Lippen kommt.«

»Und du, Cullayn?«

»Ich werde Nandalee nicht sagen, was in dieser Nacht vorgefallen ist.« Seine Stimme klang bitter wie Galle, was Tylwyth empörte. Was hatte Cullayn nur?

»Bleib du bei Gonvalon und wache über ihn.« Der Fremde wandte sich ab und griff nach dem großen Bidenhänder. »Ich werde den Immerwinterwurm aufhalten.«

»Ganz allein?«, fragte Tylwyth ehrfürchtig.

»Töten werde ich ihn genauso wenig wie ihr. Aber er wird … ruhen. Mehr wage ich nicht. Ich will mir schließlich nicht den Zorn des Fleischschmiedes zuziehen.« Bei den letzten Worten zwinkerte der Fremde Tylwyth zu, was den Elfen verwunderte. Natürlich wäre es dumm, einen Alben zu verärgern, indem man eines seiner bevorzugten Geschöpfe tötete.

»Wir alle werden hier lebend herauskommen!« Der Fremde strahlte eine solche Zuversicht aus, dass auch Tylwyth keinerlei Zweifel daran hegte, dass alles gut ausgehen würde.

Die Botschaft des Unsterblichen

»Herr?«

Datames schreckte aus dem Schlaf auf. Er tastete nach den Bändern, die sein Haar hoch hielten und ihm viel heimlichen Spott einbrachten. Seine verräterischen Ohren waren darunter verborgen.

»Tritt ein!«

Die Plane am Eingang des Zeltes wurde zurückgeschlagen, und Aleksan, der Hauptmann, der das Kommando über die Wachen entlang des trockenen Flussbettes hatte, trat ein. Er war ein leicht untersetzter Krieger mit struppigem, rotstichigem Bart. Dunkle Ringe lagen unter seinen unstet huschenden Schweinsäuglein. Er wirkte übernächtigt und verstört. Unter den Arm geklemmt trug er eine längliche Truhe aus kostbarem, rotem Holz.

Datames seufzte. Es war die dritte Truhe dieser Art, die ihm geschickt wurde. Er erhob sich von seinem Lager. Dass er, abgesehen von den Bändern, die sein Haar in Form hielten, unbekleidet war, brachte den Hauptmann sichtlich in Verlegenheit. Er wusste nicht mehr, wohin er schauen sollte.

»Wer weiß davon?«

»Nur zwei Bauernlümmel. Die Truhe stand an derselben Stelle wie die beiden anderen. Sie haben mich sofort gerufen. Sie werden mit niemandem darüber reden.«

Datames glaubte das nicht. Aber ob die beiden Geschichten erzählten oder nicht, spielte auch keine Rolle, solange sie nicht wussten, wohin die Truhe gebracht worden war. »Stell sie dort auf den Tisch.«

Aleksan gehorchte.

Datames fuhr mit dem Zeigefinger über den Namen, der mit Muschelkalksplittern in den Truhendeckel eingelassen war. »Konnte einer der beiden lesen?«

Der Hauptmann grinste und zeigte dabei gelbfleckige Zähne. »Zwei Bauern aus einem Dorf am Ende der Welt? Nein, Herr. Macht Euch keine Sorgen. Niemand weiß, wessen Namen auf dieser Truhe steht. Aber …« Aleksan räusperte sich.

»Ja?«

Der Krieger hob seine linke Hand, die mit halb geronnenem Blut besudelt war. »In der Kiste steckt etwas, das blutet.«

»Weißt du, warum ich dich vom Werber zum Hauptmann befördert habe, Aleksan?«

Die Schweinsäuglein des Kriegers starrten geradewegs zur Decke des Zeltes. »Weil ich lesen kann, Hofmeister?«

Datames musste schmunzeln. »Das auch.« Es erstaunte den Elfen immer wieder, wie wenige Menschenkinder lesen und schreiben lernten. »Ich habe dich ausgesucht, weil ich dich für klug und verschwiegen halte. Zwei Eigenarten, die einen Mann noch über den Rang eines Hauptmanns hinaustragen können. Was meinst du, Aleksan? Steckt in dir noch mehr?«

Der Krieger blickte weiterhin zur Zeltdecke. »Das werdet Ihr sicher herausfinden, Herr.«

Schwang da ein Hauch Ironie oder gar Rebellion mit? Nein, zu Ironie war Aleksan nicht fähig. Und aufsässig war er auch nicht, dazu war er viel zu ehrgeizig. Er hatte sich lediglich missverständlich ausgedrückt, entschied Datames. »Du darfst dich nun zurückziehen, Hauptmann. Ich bin sicher, du bist sehr müde. Danke für den Dienst, den du mir erwiesen hast.«

Aleksan verneigte sich ein wenig übertrieben und ging ohne ein weiteres Wort.

Datames trommelte mit den Fingern der Linken auf dem Truhendeckel. Er ahnte, was für ein Geschenk er da bekommen hatte, und war nicht gerade erpicht darauf, es sich anzusehen. Er roch es durch den geschlossenen Deckel hindurch, das Blut und das Fleisch, dem in der Hitze des beginnenden Tages bereits erster Verwesungsgeruch anhaftete. Er war es seinen Männern schuldig, entschied er. Sie waren für ihn gestorben. Dies war die letzte Ehre, die er ihnen erweisen konnte.

Datames schob den Bronzeriegel zurück, klappte die Truhe auf und stöhnte auf. Ein Schwarm von Fliegen, die er bei ihrem Festmahl gestört hatte, stieg auf und verteilte sich im Zelt. Vier tote Augen blickten ihn an. Einer seiner Späher und Ashira. Er klappte abrupt den Deckel wieder zu. Ashira! Woher wussten sie … Er hatte in den letzten Wochen ein großes Lager organisiert, in dem die Bauern und Krieger des Heeres alle erdenklichen Dienstleistungen bekommen konnten. Es gab Wäscherinnen und Köchinnen, es gab Zelte mit Badezubern, etliche Tavernen, und die meisten der Frauen dort standen auch für andere Gefälligkeiten zur Verfügung. Er hatte all dies unter seine Obhut genommen, um besser Kontrolle ausüben zu können. Wer sich bei den Übungen hervortat, die jeden Tag abgehalten wurden, um aus den Bauern Kämpfer zu machen, bekam eine eigens geprägte Kupfermünze und konnte sie gegen Dienstleistungen eintauschen. In den meisten Fällen lief das auf käufliche Liebe hinaus. Aber darauf kam es ihm nicht an. Es gab keinen Unfrieden deshalb, keine zügellosen Besäufnisse, bislang keinen einzigen Mord und nur sehr selten Schlägereien.