»Was ist so lustig?«, fragte Narek arglos.
Ein Blick Ashots sorgte dafür, dass keiner seinen Freund noch weiter verspottete. Narek war einfach zu gut für diese Welt.
»Wisst ihr, diese Mädchen sind wirklich toll!«
Ashot seufzte. Dass Narek nie ein Ende finden konnte.
»Die sind immer freundlich. Lächeln einen an und wollen einen in ihr Zelt einladen. Unglaublich! Ihr solltet einmal die Frauen in unserem Dorf erleben. Da reicht es manchmal schon, sie nur anzuschauen, und ein Donnerwetter geht hernieder, wie … wie …« Er sah Ashot Hilfe suchend an. »Na, ihr wisst schon, was ich meine. Und da geht irgend so ein seelenloser Schurke hin und schneidet einem dieser wunderbaren Mädchen den Kopf ab. Ich finde es nur gut, dass wir jetzt einen Graben um ihr Lager ziehen und besser auf sie aufgepasst wird. Das hätten wir schon früher tun sollen.«
»Wovon redest du denn da?«, fragte Lamgi.
»Ja, hast du es denn noch nicht gehört? Gestern Abend haben sie in einer der Latrinengruben die Leiche eines enthaupteten Mädchens gefunden. Dieser blonde Kerl hatte nach ihr suchen lassen. Ich hab mit einem der Söldner gesprochen, die dabei gewesen sind, als das Mädchen gefunden wurde. Das ist kein Tratsch. Das ist wirklich passiert. Und dieser Blonde, Dünne, dem kein Bart wächst, der soll geweint haben, als sie das Mädchen aus der Grube holten.«
»Du meinst den Hofmeister Datames?«, fragte Ashot. So detailliert hatte er die Geschichte auch noch nicht gehört. Er wusste lediglich, dass gestern eine tote Hure gefunden worden war.
»Ja, Datames. Genau. So heißt der Bartlose. Ich hätte nicht gedacht, dass ihm der Tod eines einfachen Mädchens so zu Herzen gehen würde. Ich hatte ihn immer für ziemlich kühl und etwas hochnäsig gehalten.«
Inzwischen hatten alle Männer der Gruppe aufgehört zu arbeiten und sich um Narek geschart, der es sichtlich genoss, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
»Machen wir Pause, Jungs. Und zwar im Schatten.« Ashot deutete auf das Sonnensegel, unter dem die drei Söldner standen. »Da ist Platz genug für uns alle. Ich möchte nicht, dass ihr in der Sonne sitzt.«
»Und du glaubst, die lassen uns da einfach so sitzen?«, fragte Lamgi. »Ich finde, es ist klüger, diesen Kerlen aus dem Weg zu gehen.«
»Ich regele das.« Ashot ging zu den Wachen hinauf.
»Kenne ich dich«, sagte der Blonde und lächelte. »Bist dich guter Anführer. War sich ein guter Sieg.« Jetzt grinste der Kerl frech. »Wird sich nicht noch mal gelingen.«
Ashot ignorierte das Gestammel. »Meine Männer brauchen eine Rast. Im Schatten, sie …«
»Dann bringt euch her. Ist sich genug Platz für alle hier.«
»Das …« Er sah den großen Krieger ungläubig an. »Das ist sehr großzügig.«
Der blonde Hüne tat das mit einem Schulterzucken ab. »Sind wir uns Waffenbrüder.«
Ashot winkte seinen Männern. Sie wirkten befangen, beobachteten ihn und den blonden Krieger und wagten kein Wort zu sagen, als sie sich im Schatten des Sonnensegels niederließen.
»Gibt es etwas Neues über das tote Mädchen?«, brach Lamgi schließlich das Schweigen.
»Über die Hure …« Der Blonde schüttelte den Kopf. »Nichts.«
Narek räusperte sich, aber Ashot schaffte es, seinen Freund mit einem Blick dazu zu bringen, den Mund zu halten.
Narek sah so aus, als wollte er gehen.
Ashot schüttelte den Kopf, aber der Kleine blieb stur. Er trat unter dem Sonnensegel hervor.
Ashot folgte ihm und packte ihn beim Arm. »Mach jetzt keinen Mist.«
»Mit so einem Arschloch will ich nichts zu tun haben.«
»Hast du doch auch nicht. Wir sitzen noch ein bisschen herum, und dann gehen wir.«
Narek stand auf. »Ich nicht. Mit dem Kerl will ich nichts zu schaffen haben.«
»Gibt sich Ärger?« Der Söldner schlenderte zu ihnen herüber und musterte Narek eindringlich. »Hat sich kleiner Mann mehr Freude an Sonne als an Schatten?«
Ashot sah die Griffe der beiden Schwerter, die über den Schultern des Kriegers aufragten, und konnte sich lebhaft vorstellen, wie dieser Barbar Ärger aus der Welt schaffte.
Narek stützte seine Hände in die Hüften. Das tat er immer, wenn er etwas besonders Dummes sagen wollte.
»Du darfst nicht auf ihn hören«, sprudelte es aus Ashot heraus. »Mein Freund war zu lange in der Sonne. Der weiß nicht mehr, was er redet. Er ist eigentlich …«
Der Barbar unterbrach ihn mit einer harschen Geste. »Dein Freund will sich reden jetzt.« Er blickte auf Narek hinab. Er war fast zwei Köpfe größer.
Blanker Schweiß stand auf Nareks Stirn. Ashot konnte sehen, wie seinem Freund die Knie schlotterten. Zugleich lag aber auch ein Ausdruck verzweifelter Entschlossenheit in dessen Gesicht. »Ich verbringe meine Zeit nicht gern mit Arschlöchern, die von netten Mädchen als Huren reden.«
Die Augen des Barbaren verengten sich. »Bin ich Loch von Arsch?« Seine Stimme klang eisig.
Ashot stellte sich schützend vor Narek. »Er meint das nicht so. Er …«
»Stinke ich mich?« Der Blonde hob einen Arm und schnupperte unter seiner Achsel. »Riecht sich nicht wie Loch von Arsch.«
»Das ist alles nur ein Missverständnis. Ich kann …«, versuchte es Ashot.
Der Söldner zog sein Schwert, zu schnell, als dass Ashot der funkelnden Klinge noch ausweichen konnte.
Nicht für alles Gold der Welt
Die Schwertklinge des Söldners stoppte einen Fingerbreit vor Ashots Kehle. »Setzen!«
»Ich bin schuld.« Narek versuchte nach dem Schwert zu greifen, doch der blonde Krieger schlug seine Hand nieder.
»Setzen!« Diesmal klang seine Stimme ganz so, als würde gleich ein Kopf in den Staub fallen.
»Du willst sehen Loch von Arsch? Wirst du dich bekommen.«
Ashot griff nach seinem Arm und zog ihn zurück unter das Sonnensegel.
»Was habe ich nur getan? Ich wollte das nicht. Ehrlich. Ich dachte …«
»Ist schon gut.« Ashots Tonfall strafte seine Worte Lügen.
Die Söldner besprachen sich leise miteinander. Dann ging einer von ihnen in das Lager der Frauen.
»Hast du eine Ahnung, was der von uns will?«, flüsterte Lamgi.
Ashot zuckte mit den Schultern.
Narek fühlte sich elend. Mit seiner Dickköpfigkeit hatte er all seine Gefährten in Gefahr gebracht. Er musste das in Ordnung bringen! Der Blonde hatte sein Schwert wieder in die Scheide auf dem Rücken geschoben. Vielleicht war er ja bereit zu reden, und er konnte sich entschuldigen.
Narek erhob sich.
Der Söldner drehte sich zu ihm um.
»Ähmm … Herr Krieger …«
Eine steile Falte bildete sich zwischen den Augenbrauen des Blonden.
»Ich meine … ehrenwerter Herr Krieger …«
»Was ist sich das? Erst du nennst mich Loch von Arsch, und jetzt willst du dich kriechen hinein in Loch? Setzen!«
Narek zögerte. Der Barbar trommelte mit den Fingern auf dem Griff seines Dolches im Gürtel. Gut, dachte Narek. Er hatte verstanden. Was konnte er von einem Wilden, der wahrscheinlich in einer Bärenhöhle aufgewachsen war, auch anderes erwarten. Reden konnte man mit diesen Barbaren nicht. Sie standen hier und wollten von jedem, der ins Lager der Frauen ging, das Freudengeld sehen. Der hatte bestimmt in seinem ganzen Leben noch keinen Acker umgegraben oder sonst etwas Sinnvolles gearbeitet.
Der Söldner, der gegangen war, kam mit einer großen Holzplatte wieder, auf der ein ganzer Berg von Sesamkringeln aufgehäuft war. Ringsherum standen flache Schalen mit Soßen auf dem Brett, es gab einige etwas schrumpelige Gurken und sogar ein paar dunkle Weintrauben. Der Krieger setzte das Brett mitten zwischen ihnen ab.
»Wir warten. Ihr Gäste«, erklärte der Blonde. »Essen!«
Seine Kameraden gehorchten. Ihre Anspannung ließ nach, als sie sich bei dem knusprigen Sesambrot bedienten. So gut aßen sie üblicherweise nicht. Hirsebrei war ihr Hauptgericht. Morgens und abends, tagaus, tagein. Wer etwas anderes haben wollte, musste ins Lager der Frauen gehen und sein Freudengeld benutzen.