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Tylwyth fragte sich, was das bedeuten mochte. Eine Gefesselte Göttin? Davon hatte er noch nie gehört.

Die Weiße Frau schlug die Augen auf. Sie waren ganz und gar schwarz. Selbst die Augäpfel. Tylwyth konnte diesen Anblick nicht ertragen. Er sah auf seine Füße. Die Wurzeln bewegten sich! Ganz sicher. Sie würden ihn hier festhalten, wenn die Weiße Frau es wünschte.

»Die Gefesselte Göttin träumt von dir, Nandalee. Sie wartet auf dich.«

»Bitte öffne mir ein Tor in den Jadegarten. Auch dort werde ich erwartet, Herrin.«

Ein Wort der Macht erklang, dunkel und fremdartig. Aus dem weißen Wurzelgeflecht erhoben sich zwei vielfarbig schillernde Schlangen aus Licht. Ihr Strahlen ließ selbst das weiße Leuchten verblassen. Die Schlangen neigten sich einander zu und verschmolzen zu einem funkelnden Torbogen. Dahinter lag ein Goldener Pfad, der in die Dunkelheit des Nichts führte.

»Ich danke dir, Weiße Frau«, sagte Nandalee und verbeugte sich vor der Herrin der Höhle. Sie wandte sich um, und zum ersten Mal, seit Tylwyth sie kannte, wirkten ihre Gesichtszüge weich. »Ich danke auch euch, Cullayn und Tylwyth, die ihr Gonvalon und mich sicher durch große Gefahr geführt habt. Ich stehe tief in eurer Schuld.«

Cullayn nickte nur knapp. Abschied zu nehmen war nicht seine Sache, dachte Tylwyth ein wenig beschämt. So konnten sie die beiden doch nicht ziehen lassen. »Es war mir eine Ehre, mit euch gewandert zu sein. Ich werde nie vergessen, was wir erlebt haben und …«

Cullayn räusperte sich scharf.

Manchmal war er ein ungehobelter Klotz, dachte Tylwyth. In den Geschichten der Alten endete ein Abenteuer, wie sie es erlebt hatten, mit einem Fest, nicht in einer unheimlichen Höhle. Es sollten wenigstens ein paar feierliche Worte gesprochen sein, dachte er verärgert und schwieg doch.

»Gonvalon!« Die Weiße Frau hielt ihren schwarzen Blick auf den Schwertmeister gerichtet. »Wisse, dort, wo Nandalee schreitet, ist der Tod stets nahe. Nicht du bist der Verfluchte. Wenn du jetzt hier bleibst, wird das Schicksal dreier Welten einen anderen Lauf nehmen.«

»Weiser Rat hat mich zu einem seelenlosen Mörder werden lassen.« Gonvalon ergriff Nandalees Hand. »In Zukunft werde ich allein der Stimme meines Herzens folgen.«

Nandalee sah ihren Schwertmeister voller Stolz und Liebe an. Seite an Seite traten sie durch das gleißende Portal.

Tylwyth sah ihnen nach, bis das Tor sich schloss. Er sollte ein Lied über die beiden dichten! Eine Liebe wie die ihre sollte unsterblich sein.

»Komm.« Cullayn legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dies ist kein Ort zum Verweilen.«

Die Weiße Frau hatte ihren unheimlichen Blick nun auf ihn gerichtet. Wusste sie um seine Zukunft? Eine Prophezeiung, wie sie sie für Gonvalon ausgesprochen hatte, wollte er nicht hören. Wie Cullayn wandte er sich wortlos ab und folgte seinem Freund aus der Höhle ins Freie. Selbst dort hatte er noch das Gefühl, dass sie ihm nachsah.

Erst als der Wald ohne unnatürliche Spuren von Weiß war, fühlte er sich wieder ganz frei. »Die beiden sind ein schönes Paar, nicht wahr?«

Cullayn stieß einen knurrenden Laut aus, der alles bedeuten konnte. Manchmal war sein Freund wirklich zu einsilbig! Tylwyth konnte es nicht ertragen, jetzt einfach schweigend durch den winterlichen Wald zu gehen.

»Der Goldene scheint Gonvalon verziehen zu haben. Ohne ihn wären wir den Trollen und dem Immerwinterwurm niemals entkommen.«

Wieder knurrte Cullayn.

»Du wirst Zeuge einer Liebesgeschichte, die so anrührend ist, dass selbst der Goldene seinen Groll aufgegeben hat und den beiden zu Hilfe geeilt ist, und alles, was du dazu zu sagen hast, ist ein Knurren, das sich nach verstimmtem Magen anhört?«

Cullayn blieb abrupt stehen. Als er sich umwandte, sah sein entstelltes Gesicht noch schrecklicher aus als sonst. »Du glaubst wirklich, du warst Zeuge edler Taten? Bist du blind? Hast du nicht gesehen, welche Gestalt der Goldene angenommen hatte, als er zu uns kam? Er war Gonvalon. Alles, was er getan hat, diente einzig und allein dem Zweck, den Schwertmeister zu vernichten.«

»Das ist doch widersinnig!«, empörte sich Tylwyth. »Ohne die Hilfe des Goldenen wäre Gonvalon gestorben. Warum hätte er ihn heilen sollen, wenn er ihn vernichten will?«

»Das liegt doch klar auf der Hand! Um sich daran zu weiden, wie er zerbricht. Nicht aus Barmherzigkeit. Er hat eine Liebesnacht mit Nandalee verbracht. Und ich bin mir sicher, er hat all seine Macht aufgeboten, damit sie unvergesslich wird. Gonvalon weiß all das, und doch wird er schweigen, um Nandalee vor der Wahrheit zu schützen. Sie aber wird sich fragen, was aus dem wunderbaren Liebhaber jener Nacht wurde, in der Gonvalon sie vor den Trollen rettete. Hast du die Distanz nicht gespürt, die schon jetzt zwischen den beiden herrscht? Das schleichende Gift des Goldenen hat bereits zu wirken begonnen.«

»Davon habe ich in der Tat nichts gesehen, als die beiden durch den Albenstern gingen«, entgegnete er beleidigt und wusste es doch besser.

Cullayn schüttelte stumm den Kopf und ging weiter. Tylwyth wusste, dass sein Freund nichts mehr sagen würde. Er hatte ohnehin schon ungewöhnlich viel gesprochen. Er war kein Mann der Worte. Was ihn aufwühlte, machte er mit sich allein aus.

Tylwyth fügte sich in das frostige Schweigen des winterlichen Waldes und seines Gefährten. Aber er dachte immer noch an das Lied, das er dichten wollte. In einem Lied durfte die Welt besser sein, als sie es in Wirklichkeit war. Bei ihm würde es nur eine alles überwindende Liebe und ein großes Abenteuer geben. Und den Goldenen würde er verschweigen. Er lächelte. Das war der Weg eines Dichters, eine Himmelsschlange zu besiegen.

Der Sohn des Schweinezüchters

Marwad kauerte hinter einem Felsen und beobachtete das trockene Flussbett, das die beiden Heere voneinander trennte. Es war eine gute Nacht. Der Mond war schmal wie eine Meuchlerklinge. Er gab genug Licht, dass Männer wie er ihrem Geschäft nachgehen konnten, und zugleich war es so dunkel, dass sie nicht leicht zu entdecken waren.

Nur wenige Wolken zogen über den Himmel. Tausende Sterne strahlten am Firmament wie gleißende Augen. Sie waren die einzigen Zeugen des kleinen Krieges, der schon seit Wochen zwischen den beiden Heerlagern tobte. Ein Krieg, der ihn zu einem reichen Mann machte. Für den Kopf eines jeden Spitzels, den er vorweisen konnte, bekam er zehn Goldstücke. Und hier musste er nicht einmal fürchten, dass ihn die Verwandten eines seiner Opfer tagsüber in seinem Versteck aufspürten. Wenn er in Muwattas Heerlager zurückkehrte, war er vollkommen sicher. Auch war es seine Entscheidung, in welchen Nächten er hinausging. Er schritt seit fast zwanzig Jahren auf dem Pfad des Blutes, doch so erfolgreich wie in den letzten Monden war er noch nie gewesen. Wenn das hier vorüber war, dann könnte er sich zur Ruhe setzen. Marwad dachte an den Geldbeutel, den er drei Meilen vom Heerlager entfernt in einer felsigen Senke vergraben hatte. Er war ein gemachter Mann. Nach Isatami würde er nicht mehr zurückkehren. Die Heilige Stadt hatte ihn viele Jahre lang ernährt, doch dort hatte er inzwischen zu viele Feinde. Es war schon erstaunlich, wie die Reichen und Mächtigen miteinander umgingen. Es hatte immer Bedarf für Meuchler gegeben. Ganz besonders zur Zeit der Heiligen Hochzeit, wenn die Satrapen, Adligen und großen Kaufherren des ganzen Königreichs sich dort versammelten.

Eine Wolke schob sich vor die Mondsichel. Marwad nutzte den Augenblick des Dunkels, um das Flussbett zu durchqueren. Er kannte die Gegend gut. Er hatte bei Tag wie bei Nacht endlose Stunden damit verbracht, das Terrain auszuspähen. Und er wusste, wie die Jäger auf der anderen Seite dachten. Es machte einen Unterschied, ob man Wölfen und Schneeleoparden nachstellte oder Menschen. Wieder lächelte Marwad. Selbstsicher duckte er sich in eine flache Mulde und verschmolz mit dem Gelände. Er hatte Grasbüschel auf seine erdfarbene Tunika genäht und seinen Leib mit Ruß eingerieben. Seine Silhouette verschmolz in Nächten wie dieser vollständig mit der Landschaft. Er brauchte nicht einmal eine Senke. Er musste sich nur auf den Boden legen und reglos bleiben, dann war er so gut wie unsichtbar.