»Hier bin ich!« Ein weiterer Hieb mit dem Holzhammer ließ das Gerüst erbeben.
Der Tatzelwurm beim Hafenbecken wandte ihm den Kopf zu. Das Scheusal hatte große, gelbe Augen mit geschlitzten Pupillen. Seine Schnauze war mit Schrammen bedeckt. Einer der Reißzähne war ausgebrochen. Unruhig peitschte der Drachenschweif über das Pflaster am Pier. Eine zweite Bestie näherte sich entlang der Wand der weiten Hafenhöhle dem Gerüst, auf dem das Tauchboot gebaut worden war. Ein dritter Tatzelwurm kroch durch das zerstörte Tor.
Galar zog die Nase hoch. Klumpen halb geronnenen Blutes klebten an seinem Gaumen. Er spuckte in Richtung der Drachen. »Kommt! Riecht ihr das Blut? Hier gibt es ein Fresserchen. Kommt!«
Der Tatzelwurm mit der zerschrammten Schnauze hob den Kopf. Galar konnte sehen, wie sich die geschlitzten Nüstern des Ungeheuers wölbten. Es hatte Witterung aufgenommen. Vielleicht roch die Bestie wirklich das Blut. Sie kam näher. Ihre Krallen klickten bei jedem Schritt auf dem Pflaster.
Aus den Augenwinkeln sah Galar, wie Nyr hinter der Hafenmauer verschwand. Die drei hatten es also geschafft. Für ihn würde es schwieriger werden. Narbenschnauze schlich an dem Gerüst entlang. Auch der zweite Tatzelwurm hatte ihn jetzt fast erreicht.
»Komm!«, köderte Galar ihn und wich in Richtung des Hafenbeckens zurück. »Komm!«
Der Tatzelwurm, der die Wand entlanggeschlichen war, warf sich plötzlich auf das Gerüst, als vermutete er in der Holzkonstruktion eine lohnende Beute. Die Balken knirschten. Ein Kantholz splitterte unter einem wuchtigen Prankenhieb.
Narbenschnauze zwängte seinen schmalen Kopf zwischen den Streben hindurch. Er kam ihm bedrohlich nahe. Galar wich ein Stück zurück und hob den Holzhammer. Ihm war bewusst, wie lächerlich diese Waffe war. Er könnte die Höhlendrachen damit nicht einmal verwunden.
Der Schmied musste sich ducken. Ihn trennten nur zwei Schritt vom Wasser, aber die Rampe war hier so niedrig, dass er nicht mehr aufrecht stehen konnte. Auch er würde zwischen den Verstrebungen nicht hindurchkommen. Der Spalt zwischen den niedrigsten Balken am Rand des Hafenbeckens und der steinernen Mole war zu schmal für ihn.
Galar wog den Holzhammer in der Hand. Wenn er nur kräftig genug zuschlug, würde es Narbenschnauze vielleicht noch ein oder zwei Zähne kosten. Das war alles, was er erreichen konnte. Hoffentlich brachte Hornbori den Aal sicher aus dem Hafen. Galar konnte das Tauchboot von seiner Position aus nicht sehen. Es lag zu dicht an der Mauer. Sicher hatten die beiden schon begonnen, die Ballasttanks zu fluten.
Der Tatzelwurm am anderen Ende des Gerüstes warf sich erneut mit aller Kraft gegen die dicken Kanthölzer. Mit scharfem Knall splitterte einer der Balken. Ein Ruck ging durch die ganze Konstruktion.
Narbenschnauze fauchte den anderen Tatzelwurm an. Dann blickte er wieder auf Galar. Dieses Vieh ist nicht dumm, dachte der Schmied beklommen. Er konnte ihm geradezu ansehen, wie es nachdachte. Darüber grübelte, wie es ihn zu packen bekam. Plötzlich hieb es mit einer seiner Tatzen auf ein Querholz ein. Holzspäne prasselten Galar entgegen. Mit einem einzigen Hieb hatte es mindestens drei Zoll Holz zerfetzt. Der nächste Hieb würde den Balken splittern lassen.
Wieder warf sich der andere Drache gegen das Holzgerüst. Ein weiterer scharfer Knall und ein schweres Schaben erklangen. Die Balken, durch die daumendicke Halterungsbolzen in den Boden der Höhle getrieben waren, barsten. Bald würde das Gerüst verrutschen und ins Hafenbecken fallen. Wie weit das Tauchboot wohl sein mochte?
Mit einem trockenen Krachen zerbrach der Balken. Narbenschnauze schob sich weiter vor. Er fauchte den Schmied an. Der warme Drachenodem stank nach Verwesung. Galar hielt den Holzhammer hoch. »Es wird wehtun, wenn du näher kommst!«
Wieder erbebte das Holzgerüst unter dem Ansturm der zweiten Bestie. Jetzt kam Bewegung in das ganze Gerüst. Es rutschte mehr als einen Fuß weit dem Hafenbecken entgegen. Galar konnte ein Stück weiter zurückweichen. Der Aal! Er lag noch am Kai. Das Luk stand offen. Bei den Alben, was trieben Nyr und Hornbori? Warum hatten sie nicht längst abgelegt?
Narbenschnauze zerfetzte einen weiteren Querbalken. Sein Kopf schnellte vor. Kaum eine Handbreit vor Galars Gesicht schnappten die Kiefer zusammen. Der Schmied schlug mit dem Holzhammer zu. Er traf den Drachen auf eine seiner Nüstern.
Die Bestie fauchte und fuhr ein Stück zurück. Ihr schlangenhafter Leib bog sich hoch. Nicht weit. Sie war inmitten der Holzverstrebungen der Rampe gefangen. Mit wütenden Hieben drosch Narbenschnauze auf den letzten Querbalken ein, der ihn noch von Galar trennte.
Das Gerüst verrutschte erneut. Narbenschnauze kam aus dem Gleichgewicht und wurde zusammen mit dem Gerüst dem Hafenbecken entgegengeschoben. Der Tatzelwurm fauchte. In Galars Ohren klang es, als verfluche er die zweite Bestie, die sich blindlings gegen die hölzerne Rampe warf.
Galar warf sich zu Boden und robbte dem Rand der Hafenmole entgegen. Weitere Splitter prasselten auf ihn nieder. Der Schmied warf sich herum und hielt den Stiel des Holzhammers schützend vor seine Brust.
Narbenschnauze beugte sich langsam vor. Es gab kein Hindernis mehr zwischen ihm und Galar.
»Heute kneifen wir ein Auge zu«, erklang plötzlich Nyrs wohlvertraute Stimme neben ihm. »Für immer!« Dann folgte das scharfe Klacken des Abzugshebels einer Armbrust. Der Bolzen traf Narbenschnauze ins linke Auge. Die Bestie fauchte, warf sich nach hinten und fuhr mit ihrer Tatze über das verletzte Auge.
Die ganze Rampe ruckte nach oben, als der verwundete Tatzelwurm sich in seinem Schmerz aufbäumte. Während Galar noch voller Genugtuung zu der Bestie aufblickte, wurde er bei seinem Wams gepackt und unsanft unter den Holzstreben hindurchgezogen. Nyr und Hornbori standen nebeneinander auf dem Rumpf des Aals. Sie schoben ihn durch das Luk in das kleine Tauchboot. Galar wäre fast die Sprossenleiter hinabgestürzt.
»Verwechselt mich nicht mit Frar!«, giftete er die beiden an. »Ich kann alleine klettern.« Er blickte über den Rand des Luks und sah den dritten Tatzelwurm, der sich durch das geborstene Steintor geschoben hatte. Die Bestie umrundete gerade die hölzerne Rampe.
»Schnell jetzt!«, drängte Hornbori, schwang sich in das Luk und trat Galar dabei fast ins Gesicht.
Der Schmied ließ sich die Sprossenleiter hinabrutschen. Dabei sah er Frar. Seine Gefährten hatten den Jungen in eines der Netze geschoben, die unter der Decke des Aals hingen, um leichte Frachtgüter aufzunehmen.
»Nyr, schließ das Luk!«, kommandierte Galar und machte sich an den Hebeln im Bug zu schaffen. »Hornbori, an die Kurbelwelle. Nyr, du auch. Wir müssen vom Kai fort, bevor das Gerüst ins Hafenbecken stürzt.«
Galar entriegelte die Antriebsschraube, dann rutschte er herum, sodass er sich mit dem Rücken an der Bordwand abstützte, und schob die Füße in die Lederriemen der Pedale, mit deren Hilfe die Kurbelwelle angetrieben wurde.
Mit einem Geräusch wie ein Glockenschlag fiel das kupferne Luk zu. Nyr rutschte die Leiter hinab und nahm ebenfalls an den Pedalen Platz.
Galar stemmte sich mit aller Kraft gegen die Antriebswelle. Er selbst hatte sie vorgestern erst gefettet. Langsam begann sie sich zu drehen. Der Schmied konnte spüren, wie das kleine Tauchboot Fahrt aufnahm. Sie hatten es geschafft! Er stieß einen erschöpften Seufzer aus. Jetzt erst spürte er die Schmerzen. Er hatte das Gefühl, sein ganzer Kopf sei eine einzige Wunde.
Er blickte zur gewölbten Decke des Tauchbootes. Dort hing neben Frar der Sack mit den Datteln. Nie wieder würde er eine Dattel anrühren, wenn sie die Fahrt durch die unterirdischen Ströme und Seen überlebten. Eine Tatzelwurmkralle, zwei Rucksäcke mit vielleicht vierzig Phiolen Drachenblut. Etwas Werkzeug, eine Armbrust, das war alles, was ihnen geblieben war.