Ein Schlag traf den Aal. Das kleine Boot tanzte wild hin und her. Frar jauchzte vor Vergnügen. Ein weiterer Hieb ließ das Boot erbeben. Er wurde von einem metallischen Laut begleitet und von einem leisen Knacken.
Galar hob den Barinstein an, der im Bug bei den Steuerhebeln lag. Im Holz der Decke klaffte ein feiner Spalt. Ein weiterer Hieb traf die Kupferbleche, die sie oben auf dem Aal angebracht hatten.
»Dong, Dong«, sagte Frar und lächelte Galar an.
Das Yngwi-Manöver
»Die Ballastbehälter fluten«, befahl Galar. »Den sind wir gleich los. Tatzelwürmer schwimmen nicht!«
»Woher weißt du das?«, fragte Hornbori. Ein neuer Tatzenhieb traf das Tauchboot.
Galar griff nach der Kurbel links neben sich und begann sie zu drehen. Eine runde Metallscheibe drückte die Luft aus einem Ballasttank an der Seite des Aals und sog zugleich Wasser an. »Wenn der Tatzelwurm da oben nasse Krallen bekommt, dann haut er ab«, erklärte er und bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. »Die leben in Höhlen, so wie wir. Und schwimmen wir vielleicht gerne?«
»Das stimmt!« Nyr nickte überzeugt. Hornbori hingegen schüttelte nur skeptisch den Kopf.
Ein weiterer Krallenhieb dellte das Kupferblech ein. Der nächste Treffer würde es reißen lassen. Und sie konnten nichts gegen die Bestie tun. Alles was blieb, war, hier zu sitzen und ihr Schicksal abzuwarten.
Galar kurbelte ohne Unterlass. Er hatte ein wenig über Aale gelesen und sich erklären lassen, wie sie gebaut wurden. Aber er wusste nicht in allen Einzelheiten, wie sie funktionierten. Um einen Aal durch die unterirdischen Flüsse zu steuern und immer auf neue Reisen zu gehen, musste man vollkommen verrückt sein. Kein Zwerg mit einem bisschen Verstand lieferte sich auf Gedeih und Verderb dem nassen Element aus. Das war nichts für ihn. Jetzt aber wünschte er sich, er hätte sich mehr für die Tauchboote interessiert. Er hätte … Der Aal bekam Schlagseite! Alles in der düsteren Höhle des Rumpfes verrutschte. Hornbori schrie auf. Nyr fluchte.
Galar zog die Beine an, um nicht in die sich drehende Kurbelwelle zu geraten. Ein metallisches Kreischen ertönte, als zöge jemand einen Meißel mit aller Kraft über ein Blech. Es folgte ein schweres Platschen. Dumpfe Schläge trafen den Rumpf des Bootes, das sich nicht wieder aufrichtete, sondern weiterhin mit etwa zwanzig Grad Schlagseite im Wasser trieb.
Gedämpfte Schreie drangen durch die dicke Bordwand. Dann seltsam verzerrte Laute und ein Gurgeln, tief im Wasser. Frar begann leise zu wimmern. Bald war dies der einzige Laut, der noch zu hören war.
Hornbori räusperte sich. »Wie es scheint, können Tatzelwürmer wirklich nicht schwimmen. Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.«
»Könnten wir vielleicht wieder gerade fahren? So schief im Wasser zu liegen kann doch nicht in Ordnung sein. Ich kann auch nicht richtig treten, wenn ich so gegen die Wand gedrückt bin …« Nyr hatte einen jammernden Ton angeschlagen, den Galar nicht von ihm kannte. Wahrscheinlich machte es ihm Angst, in diesem Aal zu stecken. Kein Zwerg steckte gerne in einer solchen Tonne. Ein paar Verrückte mal ausgenommen.
»Es wäre wirklich erträglicher, wenn das Boot wieder richtig im Wasser liegen würde«, griff nun auch Hornbori das Genörgel auf.
»Möchte einer von euch den Aal steuern?«, entgegnete Galar gereizt. Er hatte keine Ahnung, was zu tun war, um das Tauchboot zu stabilisieren. Aber wenn er das offen zugab, würde Panik ausbrechen. Sie mussten es irgendwie schaffen. »So zu fahren nennt man das Yngwi-Manöver. In Schräglage passiert man Engstellen, in denen sich das Boot verkanten könnte. Im Übrigen wäre ich euch dankbar, wenn sich jemand um Draupnir kümmern könnte. Wir haben schon genug undichte Stellen. Da muss es nicht auch noch von der Decke tröpfeln. Setzt euch an die Kurbelwelle. Wir müssen mehr Fahrt machen!«
»Aber …«, begann Nyr.
»Du kannst gleichzeitig Amme spielen und in die Pedale treten«, fuhr Galar ihm über den Mund.
Der Schmied blickte verzweifelt auf die Hebel im Bug. Mit einem Seufzer legte er sich zwischen die Steuerhebel, sodass er durch die dicken Glasaugen ins trübe Wasser hinausblicken konnte. Galar dachte an den Steuermann der Unyleh, der immer ein Huhn als Glücksbringer mit an Bord genommen hatte. Ob er dem Massaker entkommen war? Hatte er Glück gehabt und war mit der Unyleh auf Fahrt gewesen, als die Drachen kamen? Bestimmt! Sein Glück war sprichwörtlich. Immerhin war die Unyleh in dreizehn Jahren erst zwei Mal gesunken!
»Löscht die Lichter, damit ich die Barinsteine draußen sehen kann!« Er versuchte selbstbewusst zu klingen, dabei wusste er nicht einmal, welcher der Hebel das Tiefenruder und welcher das Seitenruder bediente. Er würde es einfach ausprobieren.
Es wurde dunkel im Inneren des Aals. Galar presste sein Gesicht gegen die Scheibe des mittleren Auges. Draußen war nichts zu erkennen. Er zog am Hebel links neben sich. Neigte sich das Boot? Warum gab es nicht irgendetwas, woran man das ablesen konnte?
»Tretet in die Pedale! Wir machen zu wenig Fahrt! So kommen wir nie aus der Höhle.« Galar dachte an die Berichte über tückische Strömungen auf einigen der Routen. Ihr Aal war für acht Mann an den Pedalen der Kurbelwelle ausgelegt. Ein ungewöhnlich kleines Boot. Doch für sie war es immer noch viel zu groß.
Galar zog an dem Hebel rechts von ihm. Drehte der Aal? Ein blasser Lichtfleck kam in sein Gesichtsfeld. Er hielt den Hebel angezogen. Noch ein Licht erschien. Die beiden Barinsteine, die die Ausfahrt aus dem Hafenbecken markierten. Jetzt musste er nur noch zwischen beiden hindurchkommen. Vorsichtig schob er den rechten Hebel wieder zurück, bis er in seiner Ausgangsposition einrastete. Jetzt noch der linke …
»Du weißt doch, wie man einen Aal steuert?«, fragte Hornbori.
»Wollen wir die Plätze tauschen, Schisser?« Dass der Kerl nie wusste, wann er besser den Mund halten sollte! Schweiß rann Galar zwischen den Augenbrauen herab auf die eingeschlagene Nase. Die Wunden auf seinem Kopf kribbelten. Seine Narbe spannte. Er war ein Wrack, und trotzdem war er es, der sie hier herausbringen musste. Er hatte die Karten studiert und eine Route geplant, die sie mit der Muskelkraft von nur vier Beinen vielleicht bewältigen würden.
Sie würden den Ausgang aus dem Hafen nicht genau treffen. Galar korrigierte ihren Kurs. Ein wenig zu viel … Er schob den Hebel ganz nach vorne. Knirschend schrammte die rechte Flanke des Aals über Felsgestein. Das Geräusch ging durch Mark und Bein.
Der Schmied blickte über die Schulter nach oben, konnte aber nichts erkennen. Nahm das Boot mehr Wasser?
»Das ist das Yngwi-Manöver …«, sagte Hornbori leise.
»Genau so wird das durchgeführt«, brummte Galar. Es kam kein Widerspruch mehr. Galar verstellte das Tiefenruder, und das schleifende Geräusch verstummte. Wie würde diese Fahrt nur enden? Die Hafenausfahrt zu treffen war noch das leichteste Manöver gewesen, das ihn erwartete.
Blutige Pfeile
Bamiyan saß unter einem Sonnensegel und beobachtete das Zelt des Unsterblichen Aaron, des Königs Geisterschwert, der ihnen ihren weisen Mann zurückgeben konnte, wenn er denn wollte. Bamiyan war seit elf Tagen in dem Heerlager, und von dem Augenblick an, in dem er es zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er begriffen, wie aussichtslos sein Auftrag war. Nie hätte er sich träumen lassen, dass es so viele Menschen gab. Und jenseits des Flusses lag noch ein weiteres Heerlager. Er war hineingeritten, hatte jedoch nicht wirklich Hoffnung gehabt, bis vor den Unsterblichen zu gelangen. Aber der Herr aller Schwarzköpfe war nicht unerreichbar. Er war ein guter Hirte. Er sorgte sich um seine Herde. Acht Tage lang war Bamiyan von einem Hofbeamten zum nächsten verwiesen worden. Dabei war er dem prächtigen Zelt des Unsterblichen Aaron immer näher gekommen. Zuletzt hatte man ihn zu diesem bartlosen, weibischen Kerl gebracht. Bamiyan hatte zwar schon davon gehört, dass es Männer geben sollte, denen kein Bart spross, aber er hatte nie zuvor einen gesehen. Und dann gleich ein Kerl, der sich mit Duftwasser einrieb. Aber der Mann mit dem Goldhaar hatte immerhin dafür gesorgt, dass man ihn heute Morgen hier unter das Sonnendach, nahe dem Zelt des Königs Geisterschwert, geholt hatte.